von Giacomo Puccini (1858-1924), Oper in vier Bildern, Libretto: Luigi Illica und Giuseppe Giacosa nach Henri Murgers Scènes de la vie de bohème, UA: 1. Februar 1896 Turin, Teatro Regio
Regie: Michael Hampe, Regiemitarbeit: Eike Ecker, Bühne/Kostüme: German Droghetti, Licht Andreas Grüter, Video: Thomas Reimer, Darmaturgie Tanja FaschingDirigent: Francesco Angelico, Gürzenich-Orchester, Chor der Oper Köln, Kölner Domchor, Choreinstudierung: Andrew Ollivant
Solisten: Jaquelyn Wagner (Mimì), Aoife Miskelly (Musetta) Jeongki Cho (Rodolfo), Miljenko Turk (Marcello), Wolfgang Stefan Schweiger (Schaunard), Kihwan Sim (Colline), Reinhard Dorn (Benoit), Alexander Fedin (Alcindoro) u.a.
Besuchte Aufführung: 22. November 2015 (Premiere)
Kurzinhalt
Rodolfo lernt seine Nachbarin Mimì kennen und beide verlieben sich Hals über Kopf ineinander. In Mimìs Begleitung trifft er sich an späten Abend im vielbesuchten Café Momus im Quartier Latin in Paris mit seinen Freunden. Dort singt auch Marcellos Geliebte Musetta, die sich kurzzeitig von diesem getrennt hatte. Doch an diesem Abend versöhnen sich beide wieder.
Das Leben der vier Freund, der eine Maler, der andere Musiker, der dritte Philosoph und schließlich der Maler Rodolfo verläuft in Armut und ausgelassener Freude. Als Rodolfo von der schweren Erkrankung seiner Geliebten Mimì erfährt, verläßt er sie, um ihr die Möglichkeit zu geben, durch eine Beziehung mit einem reichen Mann ihre Krankheit behandeln zu lassen. Aber Mimì erscheint nach kurzer Zeit todkrank in der ärmlichen Wohnung der vier Freunde und stirbt in Rodolfos Armen.
Aufführung
Der Saal 2 im Staatenhaus besitzt keinen Vorhang. So erfolgen alle Bildänderungen auf offener Bühne. Bei geringer Beleuchtung werden die Kulissen (!) auf der hochgesetzten Bühne so behende bewältigt, daß die wenigen Techniker regelrechte Schattenspiele vollführten. Danach wurde die Bühne hell beleuchtet und die Zuschauer sehen – wie von Puccini sowie den Librettisten Giacosa und Illica vorgegeben – vier Bühnenbilder, einmal ein großes atelierartiges Zimmer mit hohem Fenster zu Stadt Paris, dann das Studentenmilieu Quartier Latin mit dem Café Momus auf der rechten Seite mit einer Reihe von Tischen davor und einer Treppe, auf deren Treppenabsatz eine Reihe von Verkaufsständen stehen , vier Händler bemühen sich um die Menge an Schaulustigen, im Hintergrund erkennt man die Silhouette des Pantheon. Das dritte Bild zeigte links die Fenster eines Wirtshauses, aus dem immer mal wieder mal ein beschwipstes Paar herauskommt. Der kleine Platz davor wird im Hintergrund von einem Zollhaus mit Schranke begrenzt. Das letzte Bild entspricht dem ersten.
Sänger und Orchester
Zu Beginn ein großes Atelier. Marcello, der Maler und Rodolfo beginnen eine Unterhaltung über die schlimme Kälte im ungeheizten Raum. Als Rodolfo vor Verzweiflung dabei ist, sein Manuskript zu verbrennen, tritt Colline ein und kurz danach der Musiker Schaunard. Dieser präsentiert Holz zum Heizen, Zigarren, Speisen und Wein, was mit großem Hallo begrüßt wird. Das anschließende Ensemble der vier Freunde beeindruckt durch Lebhaftigkeit und Präzision. Es bleibt im gesamten Opernverlauf bei den mustergültig geführten Ensembles.
Jeongki Cho (Rodolfo), Ensemblemitglied seit 2010, läßt schon im Duett mit Mimì aufhorchen: sein Tenor ist klar, sicher geführt und durchaus dominant gegenüber dem manchmal etwas zu forcierten Orchester unter Francesco Angelico. Chos schlanker Tenor erreicht, ohne irgendeine Spur von Anstrengung, die Höhenlage bis zum zweigestrichenen B. Leidenschaftlich kommen die Rubati und die forcierten Höhepunkte. Perfekt ist sein häufiges Innehalten der Gesangslinie bei: che gelida manina – wie eiskalt ist das Händchen, bis zum grandiosen talor dal mio forziere ruban tutti i gioelli due ladri: gli occhi belli – bisweilen stehlen zwei Diebe Juwelen aus meiner Schatzkammer: schöne Augen und dem Höhepunkt mit poichè v’ha preso stanza la speranza – die Hoffnung ist nun eingezogen. Seinem Gesang schmiegt sich das Orchester mit großer Einfühlung an. Verdienter Beifall, der aber leider den genialen Übergang in die Tonart der anschließende Antwort Mimìs (Jaquelyn Wagner) zunichte macht.
Die amerikanische Sängerin Jaquelyn Wagner beginnt etwas zögernd und leise mit: mi chiamano Mimì – sie nennen mich Mimì, steigert sich dann aber mit ungemein sanftem Sopran, der immer inniger wird. Von Beginn an besitzt ihre lyrische Stimme eine große Klangfülle, die bei den Fortestellen des Orchesters mühelos die Oberhand behält. Dabei kann sie ihrer Gesanglinie sowohl strahlende Fülle bei il primo sole è mio, il primo baccio dell’aprile è mio – mein ist die erste Sonne, mein ist der erste Kuß des April verleihen als auch Schlichtheit bei i fior ch’io faccio, ahimè, non hanno odore – die Blumen, die ich sticke, ach, die haben keinen Duft verleihen. Der folgende Beifall ist diesmal nicht störend, da die Rufe der Freunde, wo Rodolfo denn bliebe, die bezaubernde Liebesszene unterbrechen.
Der zweite Akt, für dessen Umbau des Bühnenbildes es eine kurze Unterbrechung gibt, wird zu Beginn mit langem, begeisternden Applaus begleitet: die Scheinwerfer offenbaren geradezu ein prächtiges Szenenbild mit vielen Menschen in bunten Kleidern. Selten bieten Bühnenbilder eine solche Überraschung. Und die Ensembles wie auch die solistische Gesänge lassen kaum einen Wunsch offen. Großer Star ist hier Aoife Miskelly (Musetta), die die kapriziöse Freundin von Marcello in Stimme und Gestik gekonnt darstellt, zumal sie allein mit roten Haaren und rotem Kleid die Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Der vor Kälte mit Schneefall an der Peripherie von Paris spielende dritte Akt läßt die Zuschauer regelrechte die Kälte spüren, die dem Schock bei Mimì, die erstmals von ihrer tödlichen Krankheit hört, genau entspricht. Zuletzt empfinden die Zuschauer das traurige Ende von Mimì in Rudolfos Armen bis ins Einzelne mit.
Fazit
Ein großer Abend, sowohl in der musikalischen Darstellung auch in den diese unterstützende Bühnenbilder. In jedem Moment der Handlung bemerkt man die überlegene Personenführung. Zu verdanken ist dies der souveränen Regie Michael Hampes, der musikalischen Leitung Francesco Angelico mit dem Gürzenich-Orchester und der Chöre in der Einstudierung Andrew Ollivants sowie der überragenden Solisten und Sänger der Nebenrollen. Eine Sternstunde der Oper Köln!
Dr. Olaf Zenner
Bild: Paul Leclaire
Das Bild zeigt: Kihwan Sim (Colline), Aoife Miskelly (Musetta), Miljenko Turk (Marcello), Jacquelyn Wagner (Mimì), Jeongki Cho (Rodolfo), Chor der Oper Köln