von Georges Bizet (1838-1875), Opéra comique in 3 Akten in vier Tableaus (Bildern), Libretto: Henri Meilhac u. Ludovic Halévy, UA: 3. März 1875, Paris
Regie: Tatjana Gürbaca, Bühnenbild/Lichtdesign: Klaus Grünberg, Kostüme: Silke Willret, Choreinstudierung: Sören Eckhoff
Dirigent: Antonello Allemandi, Gewandhausorchester, Chor und Kinderchor der Oper Leipzig
Solisten: Ekaterina Semenchuk (Carmen), Neil Shicoff (Don José), Gábor Bretz (Escamillo), Ainhoa Garmendia (Micaëla), Anett Fritsch (Frasquita), Jean Broekhuizen (Mercédès), Andreas David (Moralès), Roman Astakhov (Zuniga), Jürgen Kurth (Dancairo), Michael Bennett (Remendado), u. a.
Besuchte Aufführung: 10. Mai 2009 (Premiere)
Kurzinhalt
Sergeant Don José verfällt in blinder Liebe zu der in einer Zigarrenfabrik arbeitenden Zigeunerin Carmen. Darüber vergißt er seine Vorsätze, zu seiner Mutter zurückzukehren und das Bauernmädchen Micaëla zu heiraten. Später geht José für Carmen sogar ins Gefängnis, damit jene einer Verhaftung entgeht und er schließt sich, wieder auf freiem Fuß, einer Schmugglerbande um Carmen an, um bei ihr sein zu können. Auch der Stierkämpfer Escamillo ist in Liebe zur verführerischen Carmen entbrannt. Vor der Stierkampfarena in Sevilla kommt es schließlich zum Showdown: Carmen gesteht José, daß sie allein Escamillo liebe und mit ihm ein neues Leben beginnen werde. In verzweifelter Wut ersticht José seine Geliebte, für die er alles aufzugeben bereit war.
Aufführung
Tristes Grau dominiert als Generalfarbe alle Bühnenbilder, vom Gemeinschaftsschlafraum in der Kaserne mit rückprojiziertem Kampfpanzer im Hintergrund im ersten Bild, über die Kasernenhofatmosphäre mit Flutlicht im zweiten Bild, bis hin zum Grenzübergang mit Durchfahrtsanzeigetafeln und vorgelagertem Spielplatz mit Rutsche und Schaukeln im dritten Bild. Das vierte Bild schließlich zeigt einen monotonen Plattenbau mit Blick auf eine Einraumwohnung, in der Carmen und Escamillo bieder hausen. So bevölkern Plüschtiere den Schlafraum im ersten Akt, der Kinderchor tritt als von Soldaten mißbrauchte Lolitas auf, die Überleitungen zwischen den Gesangsszenen in Originalsprache werden von deutschen (!) Sprechtexten zerhackt, wobei die sprechenden Akteure in zumeist am Bühnenrand vorhandene Mikrofone raunzen, dabei nach vorne blickend und daher in keiner echten Interaktion zueinander stehen. José in moderner Soldatenmontur ersticht, ohne erkennbaren Grund (von Bizet nicht vorgesehen) Micaëla am Ende des dritten Tableaus.
Sänger und Orchester
Der Mezzosopran der aus Minsk stammenden Hauptakteurin Ekaterina Semenchuk (Carmen) besticht insbesondere durch ihren dunkel sinnlichen Klang. Trotzdem bleibt ihr Ansatz ohne ausdruckvollen Esprit und temperamentvoll verführerisches Feuer glimmt selbst bei der Habanera: L’amour est un oiseau rébelle – die Liebe ist nur ein widerspenstiger Vogel nur auf Sparflamme. Auch die Stimme des Tenors Neil Shicoff (Don José) war wohl schon besser. Seine in den Höhen nicht mehr perfekt sitzende, schlanke Stimme, deren schwacher Grundglanz dort merklich um Luft ringend ausdünnt, klingt insbesondere in den expressiven Passagen der letzten beiden Bilder deutlich angestrengt und gepresst. Beide Hauptakteure haben keinen zündenden Zugang zueinander. Abgesehen vom letzten Tableau wirken sie derart gelangweilt, als läsen sie sich aus dem Telefonbuch etwas vor. Lichtblicke tun sich mit Ainhoa Garmendia (Micaëla) auf. Ihr jugendlich wirkender Sopran läßt aufhorchen. Ihre Interpretation im Duett ist voller leidenschaftlicher Hingabe, das Je dis que rien m’épouvante – ich sagte, nichts könne mich erdrücken erblüht mit hinreißend lyrisch-dramatischer Emphase. Weitere Höhepunkte: Anett Fritsch (Frasquita) und Jean Broekhuizen (Mercédès). Sie blitzen mit ihren herrlich ausdrucksstarken Stimmen wie lupenreine Diamanten. Technisch solide mit jedoch kantigem Relief zeigt sich der Baß Gábor Bretz (Escamillo). Die Leistungen der anderen Beteiligten sind beschämend blaß und uninspiriert.
Das Gewandhausorchester unter Antonello Allemandi spielt mit vollem Einsatz, jedoch entstehen, insbesondere im Zusammenklang mit den Chorszenen, schrill aufgetürmte Klangmassen. Die Spielweise ist zudem bisweilen zu stark sezierend. So wirken die Vorspiele des dritten und vierten Tableaus ungewohnt hölzern und staksig. Chor und Kinderchor der Oper Leipzig singen technisch einwandfrei, wobei jedoch eine stärkere Tiefenstaffelung wünschenswert wäre.
Fazit
Was vielleicht modern provokativ wirken möchte, erzeugt gähnende Langeweile und Unverständnis.
Statt schwül schillernder Erotik und dem Feuer Spaniens, wird mit der Inszenierung uninspiriert fade, zuweilen unlogische und nervige Kost geboten, die sich auch im temperamentlosen Auftritt der Hauptakteure wiederspiegelt. Darüber kann auch die z. T. überdurchschnittliche Gesangsleistung einiger Nebenrollen nicht hinwegtrösten.
Dr. Andreas Gerth
Bild: Andreas Birkigt
Das Bild zeigt: Ekaterina Semenchuk als Carmen und Neil Shicoff als Don José.