Musik und Text von Leoš Janáček (1854-1928), Oper in drei Akten, UA 12. April1930, Brünn
Regie: Stein Winge, Bühnenbild/Kostüme: Herbert Murauer
Dirigent: John Fiore, Düsseldorfer Symphoniker, Chor der Deutschen Oper am Rhein, Einstudierung: Gerhard Michalski
Solisten: Ludwig Grabmeier (Gorjantschikow), Alfons Eberz (Luka Kusmitsch alias Filka Morozow), Jan Vacik (Skuratow), Oleg Bryjak (Schischkow), Bruce Rankin (Schapkin), Michael Pflumm (Aljeja) u.a.
Besuchte Aufführung: 08. Mai 2009 (Premiere)
Kurzinhalt
Ein sibirisches Straflager im 19. Jahrhundert: Ein verletzter Adler weckt die Spottlust der Häftlinge und zugleich ihre Sehnsucht nach Freiheit. Da erscheint ein Neuankömmling: Gorjantschikow, ein wegen politischer Umtriebe verurteilter Intellektueller. Zum Einstand lässt ihn der Kommandant verprügeln.
Ein Jahr später: Zwischen Gorjantschikow und dem jungen Mitgefangenen Aljeja hat sich eine Vater-Sohn-Beziehung entwickelt. Sie schauen sich ein Theaterstück an, das die Häftlinge aus Anlaß eines Feiertages aufführen dürfen. Nach dem Stück kommt es zum Streit mit einem eifersüchtigen Gefangenen, bei dem Aljeja schwer verletzt wird. Während Gorjantschikow im Lazarett an Aljejas Bett wacht, erfährt er, daß er entlassen werden soll. Er nimmt Abschied von Aljeja. Während Gorjantschikow geht, befreien die Gefangenen den Adler.
Die Handlung wird mehrfach durch Monologe von einzelnen Gefangenen unterbrochen, die ihre Geschichte erzählen: Luka, Skuratow, Schapkin und Schischkow. Schischkow z.B. hat seine Frau aus Eifersucht wegen eines gewissen Filka getötet. Ausgerechnet Filka erkennt Skuratow in dem Mitgefangenen Luka, als dieser im Lazarett stirbt.
Aufführung
Zu den ersten Takten des Vorspiels hebt sich der Vorhang und gibt den Blick auf ein modernes Gefängnis frei. Grautöne bestimmen Bühnenbild und Kostüme. Große, bewegliche Glaskästen dienen als Zellen oder Durchgangsbereich und betonen die Abwesenheit jeglicher Intimsphäre. Der Adler ist hier ein riesiges Spielzeug, das die Gefangenen zu ihren Träumen von Freiheit anregt. Wie in Trance ahmen sie die Bewegungen seiner Flügel nach, bis einer davon gebrochen ist. Die folgenden Gewaltszenen sind drastisch: Gorjantschikow wird vor seiner Mißhandlung bis auf die Unterwäsche ausgezogen. Die im Slapstick-Stil dargebotene Theateraufführung des zweiten Aktes bringt nur vorübergehend Auflockerung: Der wegen Mordes an seinem Nebenbuhler einsitzende Skuratow muß als gehörnter Müller mitwirken und verliert über den Parallelen zu seiner eigenen Geschichte den Verstand. Im Lazarett vegetieren die Kranken, sich selbst überlassen, auf sterilen Krankenhausbetten dahin. Als Aljeja sich von Gorjantschikow nicht trennen will, lenkt ihn dieser mit dem Spielzeugadler ab. Das Schlußbild zeigt Aljeja und die anderen Gefangenen auf dem Rücken liegend und selbstvergessen mit den Armen wie mit Flügeln schlagend.
Sänger und Orchester
Ludwig Grabmeier (Gorjantschikow) hat wenig Gelegenheit, sich stimmlich zu profilieren, überzeugt aber in der Darstellung des sanften Intellektuellen. Alfons Eberz (Luka) und Oleg Bryjak (Schischkow) können sich während ihrer Monologe optimal in Szene setzen, auch wenn beide etwas zu eindimensional auf die Demonstration ihrer imposanten stimmlichen Mittel bedacht sind. Differenzierter fällt die Interpretation von Jan Vacik (Skuratow) und Bruce Rankin (Schapkin) aus, die sich offensichtlich etwas intensiver auf den Text eingelassen haben. Der junge Michael Pflumm (Aljeja) berührt vor allem in der Schlußszene. Sein vielversprechender Tenor kämpft jedoch mit dem Orchester, denn John Fiore und die Düsseldorfer Symphoniker nähern sich der Partitur zwar mit Leidenschaft und Sinn für die Ecken und Kanten. Leider setzen sie zu sehr auf Lautstärke – nicht nur zum Nachteil von stimmlichen Leichtgewichten, sondern auch von Details wie dem virtuosen Trompetensolo am Ende des ersten Aktes.
Fazit
Nach Moses und Aron im März kann die Rheinoper erneut mit der gelungenen Produktion eines schwierigen Werkes punkten. Stein Winges nur dezent modernisierende Inszenierung fesselt durch Szenen von großer emotionaler Intensität, ohne je in Kitsch abzugleiten. Musikalisch bietet die Aufführung eine Ensembleleistung auf höchstem Niveau, die durch die Lautstärke des Orchesters etwas geschmälert wird.
Das Publikum zeigt sich beeindruckt. Dennoch fällt der Beifall etwas verhalten aus – was wohl in erster Linie auf die gewöhnungsbedürftige Dramaturgie des Werkes zurückzuführen sein mag, das ohne Handlung und Hauptfiguren im eigentlichen Sinn auskommt.
Dr. Eva-Maria Ernst
Bild: Eddy Straub
Das Bild zeigt Jan Vacik (Skuratow), rechts am Bildrand Michael Pflumm (Aljeja).