von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) Commedia per musica (Opera buffa) in vier Akten, Libretto: Lorenzo da Ponte nach Beaumarchais UA: 1. Mai 1786 Wien, Burgtheater
Regie: Gil Mehmert, Bühne: Jens Kilian, Kostüme: Falk Bauer, Licht: Andreas Fuchs, Choreinstudierung: Alexander Stessin, Chor der Oper Leipzig
Dirigent: Matthias Foremny, Gewandhausorchester, Cembalo: Ugo D’Orazio
Solisten: Mathias Hausmann (Graf Almaviva), Marika Schönberg (Gräfin Almaviva), Olena Tokar (Susanna), Sejong Chang (Figaro), Wallis Giunta (Cherubino), Karin Lovelius (Marcellina), Milcho Borovinov (Bartolo), Sunnyboy Dladla (Don Basilio), Magdalena Hinterdobler (Barbarina), Keith Boldt (Don Curzio), Roland Schubert (Antonio), Julia Danz (Contadina 1), Lissa Meybohm (Contadina 2)
Aufführung: 14. November 2015 (Premiere)
Figaro bereitet seine geplante Hochzeit mit Susanna vor, möchte sich aber zuvor die Genehmigung seines Herrn, des Grafen Almaviva, einholen. Susanna eröffnet ihm, daß der Graf ihr nicht nur nachstellt, sondern auch das „Herrenrecht der ersten Nacht“ einfordern will. Figaro wird von der ältlichen Haushälterin Marcellina umgarnt und an eine früher vereinbarte Hochzeit mit ihr gegen Darlehen erinnert. Zusätzliche Verwirrung stiftet der junge Page Cherubino, der die Gräfin und überhaupt alle Frauen liebt. Almaviva schafft sich den Nebenbuhler durch Beförderung in ein entferntes Regiment vom Halse. Er selbst wird von Susanna und seiner Gattin Rosina in eine Falle gelockt. Ein Tag voller Intrigen und Tollheiten, der sich am Abend doch noch in Zufriedenheit auflöst.
Aufführung
Der Leipziger Figaro spielt in einem dreigeschossigen Palais mit vielen verschlossenen Türen. Das Bühnenbild von Jens Kilian bildet eine Klassengesellschaft en miniature ab, zwischen Herrschaft und Dienern, zwischen Mann und Frau. Im Treppenbereich des Erdgeschosses, sichtbar ohne Intimsphäre, richten Figaro und Susanna ihre künftige eheliche Kammer ein. In der Ebene darüber dient ein Kleiderkabinett als Ort für Versteck- und Verwechslungsspiele. Ganz oben residieren Graf und Gräfin in getrennten Gemächern, flankiert von Marmorbüsten. Vor den Türen dieser Puppenstube steht nicht die Französische, sondern die 1960er Revolution, die sich mit Blumenmädchen und Bob Dylan ihren Weg ins Palais bahnt.
Sänger und Orchester
Unter der Leitung von Mathias Foremny begleitete das Gewandhausorchester Leipzig Sänger und Bühnengeschehen farbig und illustrativ. Deutlich brachte das Orchester musikalische Themen wie die einfache repetitive Streicherbegleitung Figaros beim Abschreiten des Zimmers oder das kreisende Holzbläsermotiv zu Susannas Brautkranzversen zu Gehör. Die Hörner setzten der Orchestereinleitung
und dem Anfangsduett ein markantes Ende und kommentierten auch im weiteren Verlauf, worum sich im Figaro alles dreht, um Eifersucht, Untreue und gehörnte Ehemänner. Abgerundet wurde eine betont musikalische Inszenierung durch ein gut aufeinander eingespieltes Gesangsensemble. An diesem Abend nahm vor allem das Grafenpaar die Bühne für sich ein.
Mathias Hausmann verlieh dem aristokratischen Schürzenjäger mit klangvollem Bariton genaue Kontur. Jeder Ton wurde sicher gebildet und korrekt moduliert. Marika Schöneberg überzeugte in der Rolle der Gräfin Rosina mit großer stimmlicher und darstellerischer Ausdruckspalette. In ihrer Klage Dove sono i bei momenti di dolzezza e di piacer – Wo sind die schönen Augenblicke von Süße und Freude (3. Akt, 8. Szene) vermochte die Sopranistin das unglückliche Los der Gräfin auf beeindruckende Weise im Klang ihrer Stimme abzubilden.
Sejong Chang (Figaro) wirkte dagegen darstellerisch hölzern und musikalisch blaß. Seine Stimme ließ Charakter und Ausdruck vermissen, auch ein Fundament in den tiefen Lagen. Mit gefrorenem Lächeln, farbloser Linie und Ton brachte Chang Se vuol ballare signor Contino – Wenn sie tanzen wollen, lieber Herr Graf (1. Akt, 2. Szene) über die Bühne.
Insgesamt fehlte es an Expressivität und Melodie. Olena Tokar sang den Part der Susanna flüssig und mit Leichtigkeit. Ihre Sopranstimme von lieblichem Klang könnte lediglich etwas mehr Finesse in den Vortrag legen. Berührend harmonierte sie im Duett mit Marika Schöneberg Che soave zeffiretto – Welch sanfter
Windhauch (3. Akt, 10. Szene). Wallis Giunta ging in der Hosenrolle des Cherubino/Bob Dylan ganz und gar auf. Stimmlich und darstellerisch eine Idealbesetzung. Berührend inszeniert und gesanglich interpretiert war das Ständchen auf die Frauen Voi che sapete che cosa è amor – Ihr, die ihr wißt, was Liebe ist (2. Akt, 2. Szene).
Für weitere musikalische Höhepunkte sorgten Milko Borovinova als volltönender und ausreichend agiler Bartolo, Karin Lovelius in der Rolle der Marcellina und Magdalena Hinterdobler mit ihrer Interpretation der Haarnadel-Arie (4. Akt, 1. Szene) L’ho perduta – Ich habe sie verloren.
Fazit
Die Regiearbeit von Gil Mehmert konzentrierte sich auf den Kern der Verwechslungskomödie: die Geschichte zweier Paare, das eine aristokratisch und unglücklich, das andere diensteifrig und glücklich. Die Momentaufnahme eines Mikrokosmos, in dem die persönlichen Beziehungen der Figuren ein Schlaglicht auf die Mißstände einer Gesellschaft vor dem Umbruch werfen. Diese Lesart wurde
unaufgeregt, mit viel Situationskomik, einer funktionierenden Personenführung und aufsehenerregenden Kostümen in Szene gesetzt. Selten genug: eine Inszenierung, die vom Publikum bejubelt wurde!
Norma Strunden
Bild: Kirsten Nijhof
Das Bild zeigt: Olena Tokar (Susanna), Mathias Hausmann (Graf Almaviva), Sunnyboy Dladla (Don Basilio)