City life – Köln – Wassermannhalle (Köln Ehrenfeld)

City life, ein Konzertprojekt des GMD Francois-Xavier Roth (Gürzenichorchester)

Besuchte Aufführung: 27. Februar 2016

Vorbemerkung

Das Konzertprojekt das am Abend des 27. Februar um 21 Uhr in der Wassermannhalle (einer ehemaligen Fabrikhalle) in Köln-Ehrenfeld aufgeführt wurde, darf in jeder Hinsicht als ungewöhnlich bezeichnet werden. Es handelte sich um einen der vielen Versuche, Elektronische Musik mit solcher für traditionelle Instrumente zu kombinieren. Bemerkenswert war, daß dieser Versuch in weiten Teilen als gelungen angesehen werden kann, geistige Offenheit und eine gewisse ästhetische Flexibilität vorausgesetzt. Das Publikum, das die gut 400 Plätze des Konzertraums nahezu restlos ausfüllte, reagierte auf jeden Fall mit frenetischem Applaus und belohnte den GMD des Gürzenich-Orchesters François-Xavier Roth für seine vorbildliche Leistung als Dirigent teilweise hoch anspruchsvoller Stücke in jeder Hinsicht angemessen.

City life Gürzenich ODas Programm

Das Gürzenich-Orchester selbst kam in reduzierter Form als ca. zwanzigköpfiges Kammerorchester zum Einsatz mit „Klassikern“ der Moderne wie Octandre von Edgard Varèse (1883-1965), dem ersten Satz des Kammerkonzerts von György Ligeti (1923-2006), sowie Roadrunner, dem dritte Satz der Kammersymphonie von John Adams (*1947).

Der andere Teil des Programms umfaßte Werke für reine Elektronik wie  Param von Marcus Schmickler (*1968), „Koze’s Room 303“ von Gregor Schwellenbach (*1971) und KONSTRAKT 1 von Wolfgang Voigt (*1961). Die letzte Werkgruppe kombinierte elektronische Klänge mit traditionellen Instrumenten und bestand aus Geduld-Ungeduld von Gregor Schwellenbach, And Death von Pierre Charvet (*1968) und City Life von Steve Reich (*1936).

Schon allein an dieser Aufzählung offenbart sich eine kluge Konzeption hinter dem Programmaufbau, der nicht nur jede Werkgruppe gleichermaßen berücksichtigt, sondern auch zwischen die Extrempositionen reiner Instrumentalmusik und reiner Elektronischer Musik eine vermittelnde Kombinationsgruppe setzt. Darin spiegelt sich auch die Kooperation zwischen dem Gürzenich-Orchester und dem Kölner Elektroniklabel KOMPAKT, resp. seiner beiden Chefs  François-Xavier Roth und Wolfgang Voigt wider.

Das Programm wurde durch eine Pause in zwei Hälften gegliedert, die Stücke in jeder der Konzerthälften folgten jedoch lückenlos aufeinander (attacca, wie der Musiker zu sagen pflegt). Dies war mit einer der stärksten Unterschiede zu einem traditionellen Konzert, wo zwischen den Werken geklatscht wird. Durch den Wegfall dieses gliedernden Beifalls erhielt jede der Konzerthälften eine viel stärker wirkende dramaturgische Gliederung, welche vor allem im ersten Teil in höchstem Grade überzeugend war.

Hier umfaßten die beiden Kammerorchesterwerke Octandre (1923) und Roadrunner (1992) zwei rein elektronische Kompositionen Param und Koze’s Room 303“, die ihrerseits wieder And Death für Viola und Elektronik (2005) in ihre Mitte nahmen. Graphisch sieht diese Gliederung folgendermaßen aus:

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Octandre – Param – And Death – Koze’s Room 303 – Roadrunner

└───────────────┘

Dem Zuhörer teilte sich die damit verbundene Dramaturgie zwingend und unmittelbar mit. Sie machte die attaca-Übergänge zwischen den verschiedenen Stücken nicht zu einem interessanten Konzept oder Experiment, sondern zu einer künstlerischen Notwendigkeit. Und welche ungeheuren klanglichen Spannungen ließen sich auf diese Weise schlüssig zusammenfügen!

Die reinen Instrumentalwerke waren von einer so unglaublichen Klarheit und Plastizität vorgetragen und gleichzeitig so enorm präzise und packend im Rhythmus, daß sie schon die Qualität einer Studioaufnahme erreichten. François-Xavier Roth dirigierte mit einer suggestiven Körpersprache, die sich Musikern und Zuhörern gleichermaßen unmittelbar mitteilte und – wie üblich – ohne Taktstock. Die starke Präsenz des Klanges im Raum, noch im leisesten Pianissimo, verriet, daß die Instrumente mit Mikrophonen verstärkt und über die vier riesigen, in den Ecken aufgehängten Lautsprechertürmen übertragen wurden. Dies geschah jedoch subtil und relativ unaufdringlich, auch um keinen klanglichen Bruch zu den Elektronikkompositionen zu riskieren.

Param war von allen Elektronikkompositionen die Packendste dieses Abends, Koze’s Room  die schwächste. In Param sah der Zuhörer sich einem (einfach ausgedrückt) an- und abschwellenden Heulen konfrontiert, das manchmal in seiner archaischen Unmittelbarkeit an Ligeti erinnerte und auf seinen Höhepunkten fast schon die Gewalt eines Düsenjägertriebwerks erreichte. Tatsächlich überlappten sich mehrere solcher Prozesse, das Ergebnis war jedoch von einer fast schon unmenschlichen körperhaften Intensität. Illuminationen der großen Diskokugel riefen Assoziationen an den Weltraum hervor. Koze’s Room hingegen erinnerte mehr an Hintergrundmusik, war jedoch sehr kurz. Auch schuf es den nötigen Gegensatz zum darauf folgenden Roadrunner, dessen zündende rhythmische Energie und ungeheurer musikalischer Witz dadurch umso stärker wirkten.

Vielgestaltig und variantenreich präsentierte sich And Death, welches dem Bratschisten Florian Peelman sein ganzes technisches Können abverlangte. Zeitweise verschlangen die elektronischen Klänge die Bratsche förmlich. Peelmans Spiel bekam in solchen Momenten pantomimische Qualitäten und gewann zusätzlichen dramatischen Effekt durch gerissene Bogenhaare, die nicht selten in krampfhaften Zuckungen wild durch die Luft flogen.

Der zweite Teil konnte leider das Niveau des ersten nicht ganz halten, da die Gesamtanlage und damit auch die Dramaturgie nicht die Stringenz und das Packend-Zwingende des ersten Teils hatten. Zwar gab es auch hier eine Art Rahmen, nämlich Werke mit Elektronik-Instrumentalkombination, jedoch wirkte das Finalstück, das namengebende City life (1995) zu lang und auch zu heterogen im Vergleich zum schlichteren, kürzeren Geduld-Ungeduld für Soloklavier und Elektronik, welches diese zweite Konzerthälfte eröffnete.

Der erste Satz des Kammerkonzerts von Ligeti konnte erneut sowohl von der Mikrophonübertragung wie auch vom präzisen Dirigat von François-Xavier Roth und der deutlich überdurchschnittlichen Leistung der Instrumentalisten profitieren. Gegenüber den Stücken der ersten Hälfte schlichen sich ein paar minimale Unregelmäßigkeiten ein, die von den Mikrophonen natürlich genauso unbarmherzig übertragen wurden wie all die sauberen, präzisen Töne und Rhythmen, die jedoch nicht weiter ins Gewicht fielen und nur deshalb auffielen, weil sie in der ersten Hälfte eben gefehlt hatten.

KONSTRAKT 1 gehört (wie auch die anderen Elektronikkompositionen des Abends) zu jenen positiven Beispielen Neuer Musik, die einen guten architektonischen Aufbau und eine schlüssige Dramaturgie besitzen. Die einzelnen Phasen drohten manchmal zu lange zu dauern, die Wechsel und Übergänge erfolgten jedoch im richtigen Timing.

Fazit      Darf’s ein bißchen mehr sein?

Was dieser Abend durch die Gegenüberstellung von Elektronik- und Instrumentalmusik, sowie ihre Kombination schlüssig zeigen konnte, war die Tatsache, daß die Stärken der Elektronik genau dort liegt, wo die Schwäche der Instrumentalmusik liegt und umgekehrt;  und daß eine glückliche Kombination beim derzeitigen Stand der Dinge eine äußerst schwierige, aber ebenso lohnende Herausforderung darstellt.

Trotz ihrer rein technisch, viel größeren Möglichkeiten gegenüber traditionellen Instrumenten hat die Elektronik ihre größte Stärke in der rein körperlichen Wirkung auf das vegetative Nervensystem. Egal ob es ein hämmernder Baßbeat ist oder ein brausendes Düsenjägerjetheulen, eine solch elementare, direkte, archaische Wirkung können traditionelle Instrumente kaum hervorbringen (der Anfang des Orgelstücks „Volumina“ von Ligeti ist eine der wenigen Ausnahmen). Paradoxerweise nähert sie sich damit trotz ihrer hochgezüchteten Technologie der elementaren Musik von Naturvölkern.

Umgekehrt ist die Elektronik (noch?) nicht imstande, ähnlich differenzierte Wirkungen auf die „höheren Hirnwindungen des Geistes“ hervorzubringen wie analoge Instrumente. Sie ist mehr der naturhaften Einfachheit/Komplexität verhaftet, die über den geschützten Rahmen des abendländischen Kunstverständnisses hinausgeht.

Insofern liegt es nahe, das beste aus beiden Welten zu kombinieren, um auf diese Weise einen weiteren Fortschritt in der Musik zu erreichen. Oder nicht? Die vorgestellten Werke dieses Abends zeigten die Herausforderung und Problematik dieses Unterfangens. Um nicht wie Öl und Wasser nebeneinander getrennt zu bleiben muß das traditionelle Instrument sich durch elektronische Verstärkung dem neueren Medium anpassen und büßt dadurch einige seiner Vorteile ein, ohne wesentliche neue hinzuzugewinnen (größere Klarheit durch Mikrophonierung wird erkauft durch einen Wegfall des natürlichen Raumklangs). Andererseits wurde auch deutlich, daß die Elektronik – besonders auf dem Gebiet der Lautstärke –  einige Konzessionen an das traditionelle Instrumentarium zu leisten hätte, um eine tatsächliche Synthese zu erreichen und nicht in Vereinnahmung zu verfallen.

In diesem Sinne mögen noch interessante Zeiten der Klangentdeckung vor uns liegen!

Christian Christoph Krause

Bild: Das Gürzenich-Orchester, Kölner Philharmonie

Veröffentlicht unter Aktuelles