von Engelbert Humperdinck (1854-1921), Märchenoper in drei Bildern, Libretto: Adelheid Witte, nach dem Märchen der Brüder Grimm, U.A. 23. Dezember 1893 Weimar
Regie, Bühne/Kostüme: Hinrich Horstkotte
Dirigent: Roland Vieweg, Hofer Symphoniker, Opernchor, Kinderchor des Jean-Paul-Gymnasiums Hof, Choreinstudierung: Hsin-Chien Chiu
Solisten: James Tolksdorf (Peter), Stefanie Rhaue (Gertrud, Knusperhexe), Patrizia Häusermann (Hänsel), Inga Lisa Lehr (Gretel), Dong-Joo Kim (Sandmännchen, Taumännchen)
Besuchte Aufführung: 11. März 2016 (Premiere)
Hänsel und Gretel singen und tanzen, um ihren Hunger zu vergessen. Schließlich schickt die Mutter ihre Kinder in den Wald, um Beeren zu sammeln, weil sie nichts mehr zum Abendessen hat. Der Vater kommt erfreut nach Hause, weil er all seine Besen verkauft hat und Lebensmittel kaufen konnte. Die Kinder sind vom Weg abgekommen und fürchten sich. Das Sandmännchen legt sie zur Ruhe und vierzehn Engel behüten sie. Am Morgen entdecken sie ein verlockendes Knusperhäuschen, an dem sie ihren Hunger stillen. Doch die Hexe überrascht sie: Hänsel wird in einen Käfig gesperrt, Gretel soll Hänsel mästen, damit er einen fetten Braten für die Hexe abgebe. Doch Gretel gelingt es, Hänsel zu befreien, und gemeinsam stoßen sie die Hexe in den Backofen. Damit befreien sie auch all die anderen Kinder, die von der Hexe gefangen gehalten wurden. Kinder und Eltern feiern ein Freudenfest.
Aufführung
Zu einer märchenhaften Inszenierung gehört auch eine Verwandlung auf offener Bühne, die entweder von Geisterhand geschieht – oder durch gute Geister: In diesem Fall schieben vier Lebkuchenmännchen die Kulissen. Zunächst sieht man die karge Gute Stube, beherrscht von einem Klavier, die Möblierung ist spärlich, Tisch und Stühle sind improvisiert. Rechts oben hängt an der Wand ein Wagner-Porträt. Das Klavier ist nicht nur Kulturmöbel, sondern auch Zugang für einige nachtaktive Gestalten. Die Rückwand fährt hoch und Bäume bilden eine Waldlichtung. Mit einem bißchen Bühnennebel rund um den Konzertflügel wird der Auftritt des Sand- und Taumännchens mystisch. Die vierzehn Engel ähneln Figuren aus verschiedenen Wagner-Werken und Inszenierungen. Dann fahren die Bäume beiseite und erlauben den Blick auf das Hexenhaus, das Bayreuther Festspielhaus, Brezeln an der Außenmauer bilden den Buchstaben W. Die Kostüme der Hauptdarsteller sind einem zeitlosen Märchenfundus entnommen und eindeutig für Kinder erkennbar. Die Vielschichtigkeit ist wohl eher für Erwachsene gedacht.
Sänger und Orchester
Humperdinck ist ohne Zweifel ein Wagnerepigone. Dennoch nimmt seine Musik, bald polternd, bald unheimlich dunkel, dann wieder ausgelassen, dann fast operettenhaft fröhlich mit den hineingewobenen bekannten Volksweisen eine resolute Eigenständigkeit an. Roland Vieweg durchleuchtet diese vielschichtige Partitur mit Schwung, zeichnet für die Älteren die Wagner-Parallelen auf, die Motive werden deutlich. So mitfühlend erlebt man den Abendsegen selten. Für die Kinder werden die Volksweisen mit viel kindlichem Charme zelebriert, so sind alle Zuschauer eingebunden. Die Solisten, mit Begeisterung bei der Sache, zaubern einen märchenhaften Abend. Besonders Patrizia Häusermann (Hänsel) und Inga Lisa Lehr (Gretel) wirken in den Kinderrollen glaubhaft, so wie die Knusperhexe angsteinflößend ist. Inga Lisa Lehr ist am Haus die jugendlich naive Operettensoubrette, die das Publikum mitreißt, und ihren Jungmädchen-Charme eindrucksvoll ausspielt. Herzerfrischend das Brüderlein, komm tanz mit mir. Über ein deutlich tieferes Timbre verfügt Patrizia Häusermann. Leider verfügt sie nicht über ein entsprechendes Stimmvolumen oder Durchschlagskraft, so daß ein blasser Eindruck des Hänsels bleibt. James Tolksdorf ist als Vater Peter fast schon überqualifiziert, so polternd heftig ist sein Auftritt mit Rallalala, rallalala, heissa, Mutter, ich bin da. Mit seinem hohen Timbre und seiner kräftigen Stimme könnte er auch als Tenor durchgehen.
Eine selten besetzte Doppelrolle hat Stefanie Rhaue als Mutter Gertrud und Knusperhexe. Mit ihrer dunkel timbrierten kräftigen Altstimme kann sie die beiden Rollen klar abgrenzen, die Mutter legt sie mitfühlend heftig, die Hexe bösartig keifig an. Für die Hexe wird manchmal ein (von Humperdinck abgelehnter) Tenor vorgesehen, für Sand- und Taumännchen in Hosenrollen ein Sopran. Hier ist Dong-Joo Kim doppelt besetzt. Sie ist Mitglied des Opernchores mit solistischen Verpflichtungen. Der hohe klare und dennoch voluminöse Klang gibt den beiden Märchenfiguren entsprechende Gestalt. Ein wichtiger Rückhalt ist auch die gelungene Integration des Kinderchores in die Damenstimmen des Opernchores: Der Auftritt der Kuchenkinder gelingt in den Stimmgruppen einheitlich und harmonisch.
Fazit
Eine farbenfrohe bilderreiche Märchenstunde, der die Nähe Humperdincks zu Richard Wagner szenisch und musikalisch heiter karikiert: Da wird die Hexe zu einer Mischung aus Richard und Cosima Wagner sowie Wotan! Dadurch oder deswegen ist diese Produktion uneingeschränkt für kleine Kinder und große Wagnerianer geeignet, die an dem kurzweiligen Abend Spaß und Freude haben. Großes Publikum, große Oper, große Momente, großer Applaus!
Oliver Hohlbach
Bild: Harald Dietz
Das Bild zeigt: Patrizia Häusermann (Hänsel), Stefanie Rhaue (Knusperhexe), Inga Lisa Lehr (Gretel)