Orgelkonzert Olivier Latry, Titulaire-Organist von Notre Dame, Paris
Johann Sebastian Bach (1685-1750): Fantasie und Fuge g-Moll BWV 542
Johannes Brahms (1833-1897) Aus den elf Choral-Vorspiele op. 122 (1896)
Herzlich tut mich erfreuen, O Gott, du frommer Gott, O Welt, ich muß dich lassen
Franz Liszt (1811-1886) Variationen über zwei Motive der h-Moll Messe von J.S. Bach (1862)
Charles Tournemire (1870-1939) Victimae paschali laudes aus: Cinq Improvisation für Orgel, transkribiert von Maurice Duruflé (1958)
Olivier Messiaen (1908-1992): Joie et Clarté des Corps glorieux, aus: Les Corps glorieux (1939)
Thierry Escaich (geb. 1965), Cinq Versets sur Victimae Paschali (1991)
Olivier Latry (geb. 1962) ImprovisationKonzertbesuch: 22. März 2016
1985 gewann Olivier Latry als 23jähriger den Wettbewerb in der Nachfolge von Pierre Cocherau an Notre Dame. Damit wurde er einer der (damals) vier Titulaires der Orgel.
Sein Ruf als einer der wichtigsten Organisten der heutigen Zeit wuchs seither durch viele Konzerte und Meisterkurse.
Zum zweiten Mal nach 2008 spielte der Kathedralorganist die Klais-Orgel der Philharmonie in Köln, wo sich an diesem Abend in dem amphitheatralischen Halbrund eine große Zahl Orgelliebhaber einfinden. Man hatte den Orgeltisch inmitten der Bühne plaziert , so daß die Spielkünste mühelos zu verfolgen waren.
Das Programm respektierte die Zeit der Karwoche: im ersten Teil deutsche Komponisten (Der Ungar Liszt lebte ja viele Jahr in Weimar) und im zweiten Teil französische Orgelmeister.
Bei der großangelegten Fantasie und Fuge g-Moll zu Anfang kann man gut die Schwächen und Stärken der Klais-Orgel bemerken: für die Fantasie fehlt der Hall, den man vom Klang in Kirchen kennt; für die Fuge allerdings ist das ein Vorteil, da sie in großer Klarheit dargestellt werden kann, trotz des ziemlich raschen Tempos, das Latry vorlegt. Aber seine spieltechnische Souveränität bewältigt dieses leicht.
Die Brahms-Choräle, die Johannes Brahms ein Jahr vor seinem Tod in Bad Ischl anfertigte, erlebt man mit all ihrer Traurigkeit und Innigkeit geradezu mit, da Latry, in einigem Unterschied zu anderen französischen Organisten, sie geradezu „deutsch“ vorträgt.
Ein überwältigendes Ergebnis von Spiel und Registerkunst kann man beim Vortrag der monumentalen Liszt-Komposition, Variationen über die Motive Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen und des Cruzifixus von Joh. Sebastian Bachs h-Moll Messe wiederum erleben. Dieses Werk birgt die Gefahr, daß die vielen einstimmigen Läufe zusammen mit den gewaltigen „Akkordstellen“ ihren Zusammenhang verlieren, was zu Spannungsverlust führt.
Nicht bei dem Pariser Organist!
Mit großem Ernst und überwältigender Spieltechnik, wo die Virtuosität des dauernden Registerwechsels hinzukommt, erlebt man Liszts leidenschaftliche Meditation über die beiden Motive. Wenige Organisten werden in der Lage sein, ihm das nachzumachen.
Nach der Pause eröffnet Olivier Latry mit den französischen Orgelmeistern eine andere Welt.
Zunächst die Komposition von Charles Tournemire, César Francks Nachfolger an der Orgel von Sainte Clotilde (Paris, der kaum je in Deutschland gespielte Ostergesang (Victimae paschali laudes – Lob dem Opferlamm) und Messiaens Joie et Clarté – Freude und Glanz, sechster Satz des siebenteiligen Zyklus Les Corps glorieux – Die verklärten Leiber.
Auch hier zeigt Latry die enorme Wandlungsbreite der siebzig Register der Philharmonie-Orgel. Diese beiden Kompositionen werden noch übertroffen von der Version des Ostergesangs von Thierry Escaich, dem genialen französischen Komponisten, mit den ungemein rhythmischen Finessen.
Zum krönenden Abschluß darf eine ausgedehnte Improvisation auf einen Osterhymnus des Notre-Dame Organisten nicht fehlen. Sie ist umwerfend in ihrer Vielfalt und Überlegtheit.
Frenetischer Beifall wurde mit einer Zugabe belohnt : der langsame Satz aus Widors Symphonie gothique c-Mol.
Ein ungewöhnliches Konzert des stupend begabten Kathedralorganisten!
Dr. Olaf Zenner
Bild: Wikipedia