von Wolfgang A. Mozart, Singspiel in drei Akten, Libretto: Christoph Friedrich Bretzner UA: 16. Juli 1782 Wien, Burgtheater
Regie/Bühne: Sebastian Hirn, Kostüme: Lisa Däßler
Dirigent: Kazem Abdullah, Sinfonieorchester Aachen
Solisten: Pascale Schiller (Selim), Çiğdem Soyarslan (Konstanze), Larisa Vasyukhina (Blonde), Patricio Arroyo (Belmonte), Keith Bernard Stonum (Pedrillo), Randall Jakobsh (Osmin)
Besuchte Aufführung: 10. April 2016 (Premiere)
Belmonte reist über das Meer, um seine Verlobte Konstanze aus der Gewalt des Bassa Selim zu befreien. Dieser hält Konstanze, ihre Dienerin Blonde und dessen Geliebten Pedrillo als seine Sklaven gefangen und will Konstanze zu seiner Geliebten machen. Konstanze wehrt sich gegen den Bassa; ebenso verweigert sich Blonde Osmin, Selims Diener. Belmonte plant zusammen mit Pedrillo die Flucht: Pedrillo macht Osmin betrunken, so daß dieser einschläft und die vier fliehen können. Doch bevor sie das Schiff erreichen, erwacht Osmin und führt sie vor den Bassa Selim. Alle rechnen mit der Todesstrafe, doch Selim ist gnädig und läßt die Gefangenen frei.
Aufführung
Sebastian Hirn läßt die Darsteller in einem leeren Raum agieren: ein Perserteppich aus Plastiklaminat ist das einzige Requisit auf der Bühne, so daß man auf schwarze Bühnenwände starrt. Der Zuschauerraum dient als erweiterte Bühne; der Chor beispielsweise singt vom zweiten Rang aus und die Sänger nutzen den Seitenaufgang und die erste Reihe für ihre Darbietung. Während der Gesangsarien werden Zitate von Schopenhauer, Nietzsche u.a. digital eingeblendet, die auf den ersten Blick nichts mit dem Gesungenen zu tun haben. Die Kostüme erinnern an modernen Freizeit-Look: die Herren tragen legere Hosen und T-Shirts, Selim wird von einer Frau in Hosenanzug und Mantel gespielt, Konstanze erscheint im Satineinteiler. Am Ende wird Selim von Osmin als Akt der Rache erstochen, was leider dem Originaltext widerspricht und den versöhnlichen Moment der Gnade untergräbt.
Sänger und Orchester
In einem leichtfüßigen Presto dirigiert Kazem Abdullah das Orchester durch die Ouvertüre und sorgt besonders in den Streichern für schöne Crescendo-Bögen und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen lebendigen und ruhigen Partien. Patricio Arroyos (Belmonte) erster Auftritt findet aus der ersten Reihe statt. Leider fehlt ihm der Atem für die hohen Töne, danach steigert sich seine Leistung aber zunehmend und sein schimmernder Tenor, der ein sehr helles, zerbrechliches Timbre hat, kommt gut zur Geltung. Besonders in der Arie Oh wie ängstlich schafft er es, die Halbtonschritte der Phrase liebevolles Herz sanft im sotto voce zu hauchen und klingt in den Höhen geschmeidig und voll. Keith Bernard Stonum (Pedrillo) braucht ebenfalls einen zweiten Anlauf, um seine Stimme vollends entfalten zu können. Sein Höhepunkt ist die Romanze Im Mohrenland gefangen, in der er seine Stimme in einem erzählenden Parlando glänzen läßt und durch die lang gehaltenen Crescendi von Strophe zu Strophe steigert.
Herausstechend unter den Männerstimmen ist Randall Jakobsh (Osmin), der mit seinem grollenden, sehr dunkel geprägten Baß von Anfang bis Ende eine hervorragende Leistung abliefert. In der Arie Oh wie will ich triumphieren klingt sein Baß in den Höhen strahlend majestätisch, in den Tiefen warm und sonor. Dabei intoniert er bis zum tiefen D sauber und artikuliert den Text sehr gut verständlich – das Publikum applaudiert dafür lange.
Die Sopranistinnen zeigen beide eine durchweg solide Leistung Çiğdem Soyarslans (Konstanze) warmer, inbrünstiger Sopran besticht durch ein wohliges Vibrato in der Höhe, mit dem sie dramatische Höhepunkte setzt. Die Wandlungsfähigkeit ihrer Stimme präsentiert sie im zweiten Akt in der Arie Martern aller Arten, wo sie die Phrase zuletzt befreit mich doch der Tod sehr akzentuiert singt, dabei gut die Wechsel zu den Legato-Teilen meistert und die lang gehaltenen Töne mit mezza di voce singt. Larisa Vasyukhina (Blonde) beeindruckt durch einen glockenklaren, kühlen Sopran, den sie im ersten Akt in der Arie Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln durch das gekonnte Anschwellen ihrer Stimme und die klare Intonation der Spitzentöne zur Geltung bringt. Besonders erwähnenswert ist auch das Quartett im Finale des zweiten Akts, bei dem die vier Sänger sehr synchron und dynamisch aufeinander abgestimmt harmonieren. Dies wird auch vom Publikum als Höhepunkt mit Applaus und Bravorufen gefeiert. Pascale Schiller (Selim) spielt die Sprechrolle des Selim mit verwirrten Gesten, dabei schreit sie ihren Text oft und bringt so die ganze Verzweiflung über die Zurückweisung ihrer Liebe zum Ausdruck.
Fazit
Die Kluft zwischen musikalischer Darbietung und Inszenierung könnte nicht größer sein! Während Sänger und Orchester durchweg ein Genuß sind und für viele unterhaltsame Momente sorgen, hinterläßt die Inszenierung eine Menge Fragen. Ungereimtheiten wie das Einblenden von philosophischen Sprüchen, die Selim hin und wieder auf Französisch spricht und der Eingriff in den Originaltext lenken nicht nur von der Musik ab, sondern verändern auch die Aussage der Oper. So sieht es auch das Publikum: Kazem Abdullah und das gesamte musikalische Ensemble bekommen überlauten Applaus. Für Regie, Bühne und Kostüme gibt es laute Buh-Rufe.
Melanie Joannidis
Bild von: Carl Brunn
Das Bild zeigt: Larisa Vasyukhina (Blonde), Keith Bernard Stonum (Pedrillo), Patricio Arroyo (Belmonte) und Çiğdem Soyarslan (Konstanze)