von Richard Wagner (1813-1883), Musikdrama in drei Aufzügen, Erster Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen, Libretto: R. Wagner, UA: 26. Juni 1870 München, Königliches Hof- und Nationaltheater
Regie: Gerd Heinz, Bühne/Kostüme: Frank Philipp Schlößmann, Videos: Matthias Lippert
Dirigent: Frank Beermann, Nordwestdeutsche Philharmonie
Solisten: Thomas Mohr (Siegmund), Tijl Faveyts (Hunding), Renatus Meszar (Wotan), Magdalena Anna Hofmann (Sieglinde), Dara Hobbs (Brünnhilde), Kathrin Göring (Fricka), u.a.
Besuchte Aufführung: 9. September 2016 (Premiere)
Der verfolgte Wälsunge Siegmund findet bei seiner verloren geglaubten Zwillingsschwester Sieglinde Zuflucht und zeugt mit ihr Siegfried. Fricka verlangt Sühne für Ehebruch und Blutschande. Durch die eigenen Gesetze gebunden, muß Wotan Siegmund opfern. Todgeweiht will Siegmund die Schwester lieber töten als ungeschützt zurückzulassen. Da beschließt Brünnhilde – entgegen Wotans Befehl – die Wälsungen zu retten. Doch Wotan bewirkt Siegmunds Tod. Brünnhilde flieht zunächst mit Sieglinde vor Wotan, aber Wotan bestraft Brünnhilde und bettet sie in einen Feuerring, aus dem nur ein Held sie erretten kann.
Aufführung
Die Räumlichkeiten in dem kleinen, historischen Stadttheater in Minden sind begrenzt. Deswegen sitzt das große Orchester hinter einem Gazevorhang auf der Bühne. Der eigentliche Orchestergraben ist überdeckt, so daß die Spielfläche bis zur Rampe reicht. Viel Dekoration ist nicht vorhanden. Links befindet sich eine Wendeltreppe, um den ersten Rang als zusätzliche Spiel- und Auftrittsfläche zu nutzen. Ein überdimensionaler Ring umschließt das Bühnenportal, rotglühend wird er Waberlohe. Solche Beleuchtungseffekte kommentieren die Handlung, ebenso durch die Projektion komplexer Figuren auf den Gazevorhang, deren Sinn sich nicht leicht erschließt. Die Kostüme erinnern an den abstrakten historischen Realismus der Wieland Wagner-Inszenierungen und passen zu den Charakterzügen der Rollen – die durch die detaillierte und ausgefeilte Personenführung deutlich hervortreten.
Sänger und Orchester
Nicht zum ersten Mal steht Frank Beermann, GMD in Chemnitz, am Dirigentenpult in Minden. In gewohnt souveräner Manier leitet er die Nordwestdeutsche Philharmonie Ostwestfalen-Lippe. Beermann beleuchtet das innerste Wesen der Personen und macht damit den Handlungsablauf verständlicher. So wird der Walkürenritt eher zu einer epischen Erzählung über die Walküren und weniger zu einer blechlastigen Filmmusik. Da die Sänger direkt vor dem Publikum postiert sind, wird die Wortverständlichkeit verbessert und die Hörbarkeit auch leisester Töne möglich.
Thomas Mohr ist ein Wagnertenor mit hoher baritonal gefärbter Durchschlagskraft und strahlender Höhe. Für den Siegmund muß er aber noch an der Wortverständlichkeit und an der Phrasierung innerhalb der Gesangslinie arbeiten. Renatus Meszar ist ein strahlender Baßbariton mit großer Spielfreude und sicherer Technik. Viele Wagnerianer erinnern sich noch positiv an seinen Auftritt im Ring in Weimar. Leider fehlt ihm mittlerweile das Durchhaltevermögen und die Leuchtkraft – besonders in der Höhe und der Tiefe. So spricht er eher mit verhaltener Stimme Wotans Abschied, was er aber dennoch zu einem tiefbewegenden Ereignis gestalten kann.
Tijl Faveyts ist ein Baß mit einer sehr sicheren leuchtenden Tiefe und kann so die Härte Hundings verständlich machen. Sein Hunding bleibt aber stets menschlich. Eine Entdeckung ist Dara Hobbs als Brünnhilde. Ein dramatischer Sopran mit eleganter beweglicher Stimmführung: Die Motivation ihres Meinungswechsels aus Mitleid gegenüber dem Wälsungenpaar wird für jeden hör- und fühlbar. Die Verzweiflung hingegen charakterisiert die Rolle der Sieglinde im zweiten Akt. Magdalena Anna Hofmann überzeugt mit den leiseren Tönen und mit viel Einfühlungsvermögen. Den strahlenden Momenten des ersten Aktes fehlt ein wenig die Leuchtkraft. Etwas mehr Durchschlagskraft möchte man auch Kathrin Göring wünschen. Ihre Fricka ist durch Häme und Spott gegenüber ihrem sich windenden untreuen Gatten mehr als deutlich gekennzeichnet. Deiner ew’gen Gattin heilige Ehre wird zum Menetekel des Untergangs Siegmunds und Wotans.
Fazit
Man tut sich schwer diese Produktion als „halbszenisch“ zu bezeichnen, denn die Personenführung kompensiert den Mangel an Bühnentechnik eindeutig. Gerd Heinz, dessen Inszenierung von Thomas Bernhards Der Ignorant und der Wahnsinnige dieses Jahr bei den Salzburger Festspielen als Überraschungserfolg gefeiert wurde, gilt nicht erst seit seinem Parsifal in Meiningen als Hoffnungsträger werkgetreuer Inszenierungen: gegen den Strom des derzeit vorherrschenden Regietheaters zeigt er auf, daß es auch ohne kontraproduktive Regieeinfälle geht! Der völlig zu Recht fast schon hysterische Applaus für eine sehens- und hörenswerte Produktion gilt auch der Vorsitzenden des Richard Wagner Verbandes in Minden, Dr. Jutta Hering-Winckler, deren bürgerliches Engagement wieder einmal eine Oper am Mindener Stadttheater möglich gemacht hat, das aktuell über kein Musikensemble verfügt und auch keine Musikproduktionen anbietet. Lobenswert!
Oliver Hohlbach
Bilder: Dorothee Rapp und Friedrich Luchterhandt
Das Bild zeigt: Magdalena Anna Hofmann (Sieglinde) und Thomas Mohr (Siegmund). Letzterer zieht das Schwert aus der Esche Stamm (1.Akt)