von: Jerry Bock (1928-2010), Musical in zwei Akten, Text: Sheldon Mayer Harnick, UA: 22. September 1964 New York, Imperial Theatre Broadway
Regie: Ewa Teilmann, Bühne/Kostüme: Andreas Becker, Choreographie: Hakan T. Aslan
Dirigent: Justus Thorau, Sinfonieorchester Aachen
Solisten: Bart Driessen (Tevje), Irina Popova (Golde), Lisa Katharina Zimmermann (Zeitel), Soetkin Elbers (Hodel), Michal Bitan (Chava), Rebecca Or (Yente), Sebastian Franz (Motel), Benedikt Voellmy (Perchik), Pawel Lawreszuk (Lazer Wolf), Hannes Schumacher (Fedja)
Besuchte Aufführung: 18. September 2016 (Premiere)
Tevje, der Milchmann des jüdischen Viertels von Anatevka (um 1905), einem Dorf in Rußland, lebt ein traditionsbewußtes Leben als Jude. Doch als sich seine drei Töchter entgegen der jüdischen Tradition ihre Ehemänner frei wählen, wird sein Glaube auf eine Probe gestellt. Seiner ältesten Tochter Zeitl erlaubt er den Schneider Motel zu heiraten. Tevjes Tochter Hodel bittet ihren Vater um seinen Segen für ihre Verbindung zu Perchik, einem Revolutionär. Tevje entscheidet sich erneut für das Glück seiner Tochter. Hodel verläßt Anatevka und folgt Perchik in ein Gefängnis nach Sibirien. Als Chava, Tevjes dritte Tochter, mit einem Russen durchbrennt, verstößt er sie. Ein Erlaß des Zaren zwingt alle Juden, Anatevka zu verlassen. Tevje und seine Frau Golde entschließen sich, nach Amerika auszuwandern.
Aufführung
Die Bühne zeigt in der Mitte eine Drehkonstruktion, die das jüdische Viertel darstellt. Kästen aus Wellblech sind als Zimmer übereinander gestapelt. Im ersten Akt ist auf die Wand eines Hauses eine Friedenstaube und ein Davidstern gemalt, im zweiten Akt liegen diese Symbole unbeachtet am Boden. Die Kostüme sind traditionell: bei den Männern Kippa, Gebetsmantel und Gebetsriemen, bei den Frauen bescheidene Röcke und Blusen in Beige- und Brauntönen. Der Fiedler wird von verschiedenen Schauspielern dargestellt, die Tevje während seiner Gespräche mit Gott stets begleiten und die Handlung durch Mimik und Gestik kommentieren.
Sänger und Orchester
Mit dem Song Tradition eröffnet das Ensemble den Abend und stimmt mit Tanz und markantem Chorgesang die jüdische Lebensart an. Bart Driessen (Tevje) überzeugt von Anfang an durch sein charismatisches Schauspiel. Er ahmt den jüdischen Milchmann nach, durch markante Gesten sowohl als traditionsbewußten Gläubigen, als auch als humorvollen und liebevollen Ehemann und Vater. In dem bekannten Schlager If I were a rich man – Wenn ich einmal reich wär‘ läßt er seinen blechernen Bariton in der Höhe glänzen, dabei intoniert er das jabadabada sehr leicht und läßt seine Stimme anmutig an-und abschwellen, während er dazu tanzt.
Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist auch der Gesang mit seiner Partnerin Irina Popova (Golde) in dem Stück Sabbat Prayer – Sabbat Gebet. Hier ergänzen sich Popovas voluminöser, sehr üppiger Sopran mit dem rauchigen Timbre von Driessens Bariton zu einem ruhigen, harmonischen Gesamtklang. Der Chor unterstreicht mit seinen leisen, legato gesungenen Partien die friedliche Stimmung des Gebets. Sanftere Tönte schlägt Sebastian Franz mit seinem zarten Tenor in der Rolle des verschämten Motel an und paßt durch seine helle, zerbrechliche Klangfarbe gut zu dem etwas tollpatschigen jungen Mann. Ebenso sanft intoniert Soetkin Elbers (Hodel) ihren warmen, schillernden Sopran. Dabei gelingen ihr die Übergänge zwischen schmissiger Bruststimme und lyrischer Kopfstimme besonders gut.
Erwähnenswert sind ebenfalls die Tanzeinlagen, die von Tänzern während der Hochzeit als jüdische Tänzer, und später auch als russische Soldaten gestaltet werden. Die Choreographie ist eine Mischung aus traditionellen Tanzelementen und modernem Showtanz, die den typischen Musical-Charakter vermitteln. Daneben ist der Chor ein wichtiger Stimmungsträger an diesem Abend, der in den Feierszenen eine große Lautstärke erzeugt und dabei dennoch in den einzelnen Stimmlagen sehr ausgewogen klingt. Das Orchester kann unter dem dynamischen Dirigat von Justus Thorau, besonders in den Bläsern, die Anklänge chassidischer, ritueller Musikelemente sehr gut wiedergeben.
Fazit
Mit dieser Inszenierung zaubert Ewa Teilmanns ein unterhaltsames und gleichzeitig emotional berührendes Stück auf die Bühne, ohne dabei Klischees zu bedienen. Der Inhalt des Musicals wirkt dank der authentischen Umsetzung bis ins kleinste Detail glaubwürdig. Musikalisch ist der Abend sehr mitreißend. Allen voran macht Bart Driessen durch seinen hervorragenden Gesang und sein Schauspiel den Abend zu einem besonderen Moment. Das weiß auch das Publikum zu schätzen, das für Bart Driessen am längsten applaudiert. Weitere Publikumslieblinge sind die Tänzer, die für spritzige Stimmung auf der Bühne sorgen. Ein unterhaltsamer Musical-Abend!
Melanie Joannidis
Bild: Carl Brunn
Das Bild zeigt: Ensemble, Stadttheater Aachen