Faust
von Charles Gounod (1818-1893), Oper in vier Akten, Libretto: Jules Barbier und Michel Carré nach J. W. von Goethes Faust, UA: 19. März 1859 Paris, Théâtre Lyrique
Regie/Bühne/Kostüme: Reinhard von der Thannen, Choreographie: Giorgio Madia
Dirigent: Alejo Perez, Wiener Philharmoniker, Philharmonia Chor Wien
Solisten: Piotr Beczala (Doktor Faust), Ildar Abdrazakov (Mephistopheles), Alexey Markov (Valentin), Paolo Rumetz (Wagner), Maria Agresta (Marguerite), Tara Erraught (Siebel), Marie-Ange Todorovitch (Marthe).
Besuchte Aufführung: 17. August 2016 (großes Festspielhaus
Don Giovanni
von W.A. Mozart (1756-1791), Dramma giocoso in zwei Akten, Libretto: Lorenzo da Ponte, UA: 1787, UA: 29. Oktober 1787 Prager, Nationaltheater
Inszenierung: Sven-Eric Bechtolf, Bühne: Rolf Glittenberg, Kostüme: Marianne Glittenberg
Dirigent: Alain Altinoglu, Wiener Philharmoniker, Philharmonia Chor Wien
Solisten: Ildebrando D’Arcangelo (Don Giovanni), Luca Pisaroni (Leporello), Alain Coulombe (Il Commendatore), Carmela Remigio (Donna Anna), Paolo Fanale (Don Ottavio), Layla Claire (Donna Elvira), Valentina Nafornita (Zerlina), Iurii Samoilov (Masetto), u.a.
Besuchte Aufführung: 18. August 2016 (Haus für Mozart)
Liederabend Rolando Villazón
Werke: Giuseppe Verdi (1813-1901), Gioachino Rossini (1792-1868), Vincenzo Bellini (1801-1835), Giovanni Bononcini (1670-1747), Francesco Durante (1684-1755)
Solist: Rolando Villazón (Tenor), Carrie-Ann Matheson (Klavier)
Besuchte Aufführung: 26. August 2016 (Haus für Mozart)
Vorbemerkung
Salzburg steht für Kunst, Kultur, Mozart, aber auch für Prominentenrummel und Blitzlichtgewitter. Die hochpreisigen Festspielproduktionen wirken manchmal wie ein Mittel zum Zweck, zwischen Jubel und Buh-Gewitter ist manchmal nur ein kleiner Schritt. Von den Festspielhäusern ist es auch nur ein Schritt zur barocken Altstadt, zu den Wohnungen Mozarts, zur Residenz und zum Dom. Auf dem Domplatz wird der Jedermann aufgeführt, gleich daneben steht auch die Videoleinwand des Sponsors Siemens, die nun hier Touristen und Festspielsüchtige mit Übertragungen und Aufzeichnungen erfreuen. Wiederum wenige Schritte entfernt die stets gut gefüllten zahlreichen Kaffeehäuser und Restaurants, nur nach mancher Spätvorstellung ab 23 Uhr wird es mit der Essensversorgung schwierig.
Faust
Aufführung
Die akustischen Verhältnisse im großen Festspielhaus sind schwierig. Ein möglicher Erklärungsansatz ist darin zu suchen, daß Alejo Perez das Orchester auf einer oberen Position des Orchestergraben-Hubpodiums spielen läßt. Sicherlich kommt dadurch der (wie immer!) phänomenale Klang der Wiener Philharmoniker besser zur Geltung, aber die Sänger müssen stets ein bißchen gegen das Orchester ankämpfen. Vielleicht liegt es auch daran, daß die Sänger sich einsam und verlassen auf der riesig breiten Bühne fühlen. Diese ist im strahlend hellsten Weiß gehalten, in der Mitte ein Portal, zu dem zwei mehrstufige Rampen kreisförmig hinaufführen. Das Portal soll ein überdimensionales Auge sein, es öffnet sich und läßt die Protagonisten auftreten. Es erinnert mit seinem geschwungenen Rahmen aber auch frappierend an das alte ORF-Sendezeichen. Fausts Studierzimmer besteht aus einem Stuhl, Bücherstapeln und mehreren Raben auf ihren Ständern. Dieser kommt im historischen Gelehrtengewand daher. Eine einsame Blume gehört zum Osterspaziergang, ein kreisförmiger Kubus mit zwei Rundmauern ermöglicht zusätzliche Handlungsräume. Die Protagonisten tragen wechselnd elegante Kleidung, die zur Goethezeit passen könnte, aber auch weiße Anzüge, die wahrscheinlich für Fausts Verjüngung stehen. Marguerite besingt die Juwelen in einem Karton, in dem sich später das tote Kind befindet. Der Chor trägt eine gelbe Einheitsuniform, die auf Clown- oder Harlekin Kostüme hindeutet. Für den Militärchor setzen sie einen Stahlhelm auf und fuchteln mit Gewehren herum. Die Wirkung des Margarethen-Marsches wird zusätzlich vernichtet, da während des Marsches die kurze Szene zwischen Valentin und Siebel den Marsch unterbricht. Das ist zwar korrekt, aber in anderen Produktionen wird diese kurze Szene in den Anschluß gerückt.
Sänger und Orchester
Alejo Perez dirigiert ihn ohne Pep, Schmiß und auch noch viel zu leise. Normalerweise feiert das Publikum den Chor, beim Margarethen Marsch auf den Stühlen stehend. Hier geht er völlig emotionsfrei und unbemerkt vom Publikum über die Bühne. Auch das dramatische Finale wird verschlafen: Maria Agresta ist eine warmherzige, volltönende Marguerite, zwar kann sie sich mit großem Ausdruck und demonstrierter Leidensfähigkeit mit Anges purs, anges radieux – Reine Engel, Strahlende Engel in den Vordergrund singen, aber schon die Apotheose des Chores und das Erlösungsmotiv der Streicher haben keine Ausstrahlung, wirken viel zu ausgewaschen und verfehlen die dramatische Wirkung. Eine wenig aufwühlende musikalische Interpretation: immerhin freundlicher Applaus gepaart mit einigen Buh-Rufen. Diese betreffen nicht die Sänger, denn Piotr Beczala überzeugt mit seinem lyrisch-baritonal fundiertem Tenor, sicherer Höhe und meistert die anspruchsvollen Passagen der Monologe Fausts im Studierzimmer meisterlich mit seinem schweren italienischer Tenor, der auch im französischen Fach zu Hause ist.
Ildar Abdrazakov ist als schwerer volltönender, russischer Baß die ideale Besetzung des Mephistopheles und Alexey Markov ist ein Bariton, der mit seiner sicheren Höhe auch als Tenor durchgehen könnte. Mit hoher Durchschlagskraft spielt er Valentin als wichtige dramatische Rolle in den Vordergrund.
Fazit
Die ganze Oper in einer über weite Strecken nichtssagenden Inszenierung.
Don Giovanni
Szenisch blieben einige Fragen offen: Dieser Don Giovanni spielt in einem Grand Hotel des letzten Jahrhunderts mit Holztäfelung und Seidentapeten. Vorne rechts eine Cocktailbar, links eine Sitzgruppe, dazwischen, in der Mitte, befindet sich eine Treppe, die in den ersten Stock führt. In diesen Zimmern logieren offensichtlich ganz Familien. Donna Anna bewohnt mit ihrem Vater, dem Commendatore gleich das Zimmer in der Mitte. Auch der Geist des Commendatore (Der Komtur) taucht aus diesem Zimmer auf, während sein Gedenkstein mit vielen Blumen geschmückt unten vor der Treppe steht. Der Hoteldirektor unternimmt den Versuch die Gäste aus den Zimmern zu vertreiben, scheitert aber, da Masettos und Zerlinas Hochzeitsgesellschaft seine ganze Aufmerksamkeit bindet.
Sänger und Orchester
Die Besetzung der Hauptrolle ist meist das Problem: für die Rolle Don Giovannis benötigt man einen durchschlagsstarken Heldenbariton, der den Furor und die dramatischen Ausbrüche glaubhaft gestalten kann. Hingegen benötigt man für den weichen zarten Schmelz der süßlichen Liebesarien einen eher lyrischen samtigen Bariton. Ildebrando D’Arcangelo verfügt über beides: er kann süffisant Liebesarien an die Zofe schmettern Deh, vieni alla finestra – Ach, komm ans Fenster, aber auch böse und gemein mit voller Härte sein. Luca Pisaroni kann da zwar nicht mithalten, aber als ein lyrischer Bariton mit überzeugender Reichweite bis in den Tenorbereich, kann er Leporellos Registerarie spielerisch leicht (und damit wirklich witzig – mit Fotoalbum!) die „Erfolge“ Don Giovannis aufzählen.
Layla Claire als Donna Elvira ist ein erfahrener schwerer Mozartsopran. Sie verfügt über Ausdrucksstärke, aber auch lyrischen Glanz bis hinunter ins Pianissimo. Carmela Remigio als Donna Anna besitzt eine ähnliche Stimme, ihre Koloraturen wirken sicherer, dafür ist ihre Durchschlagskraft etwas geringer. Valentina Nafornita ist eine jugendliche naive Zerlina, während Iurii Samoilov mit Wut und Wucht einen Masetto zeichnet, der sich zumindest ein bißchen gegen Don Giovanni auflehnt. Paolo Fanale als Don Ottavio wirkt zu zurückhaltend, dabei verfügt er über eine leuchtende baritonale Mittelage, klingt aber in den tenoralen Höhen zu wenig kraftvoll. Man wünscht ihm deutlich mehr Durchschlagskraft, Aufmerksamkeit kann er so nicht auf sich ziehen. Alain Altinoglu will einfach keinen richtigen Zugang zu Don Giovanni finden. Die Raffinessen und Feinheiten Mozarts werden nicht deutlich, dynamischen Steigerungen ergeben sich nicht – es wirkt eigentlich so, als würden die Wiener Philharmoniker ohne Dirigent spielen.
Fazit
Immerhin ist die Personenführung der Personen zueinander wirklich gut gelöst, so kommt man kaum dazu darüber nachzudenken, wie unsinnig die Handlung zusammengeschustert wird. Freundlicher Applaus für alle Beteiligten.
Liederabend Rolando Villazón
Wenn jemand vor den Vorhang tritt bevor die Veranstaltung angefangen hat, ist dies selten ein gutes Zeichen. Erleichterung, als sich Rolando Villazón nur als indisponiert ankündigen läßt. Die Show kann starten, doch von einem klassischen Liederabend kann man nicht mehr sprechen. Die früher gefeierte große Tenorstimme ist aber immer noch für große Unterhaltung gut. Seit seinem enormen Erfolg in der Traviata (Salzburg 2005) mit Anna Netrebko liebt ihn die Salzburger Opernwelt. Sein Humor, sein schauspielerisches Talent, seine Darstellung eines gescheiterten Verliebten überdeckt alles und man darf seiner Indisposition ankreiden, daß das Forte nur noch mit Kraft zu erreichen ist oder die Stimme in der Höhe zu eng geführt ist. Eine glückliche Wahl seine Begleitung: Carrie-Ann Matheson nimmt ihn an die Hand und führt ihn über die Stolperstellen der Intonationen, die sich immer wieder auftun. Der Dank an sie beim Schlußapplaus war der schönste Moment an diesem Abend. Dem Publikum ist es egal, mit der letzten Zugabe Funiculi, Funicula steht es auf den Stühlen und singt begeistert mit. Unterhaltung der Extraklasse eben. In Deutschland hätte man das wohl nicht als E-, sondern als U-Musik klassifiziert.
Fazit
Salzburg bietet seinen Besuchern eine große Auswahl verschiedenster Produktionen: Oper, Schauspiel und Konzerte und mittlerweile auch Wiederaufnahmen aus dem Vorjahr – aber nicht jedes Stück kommt nächstes Jahr wieder. Falls die großen Namen wie Netrebko oder Domingo dabei sind, kann man das Pech haben keine Karten zu bekommen und auch für das nächste Jahr das Nachsehen zu haben. Aber auch große Namen sind keine Garantie mehr für ein Ausverkauft!, gerade im konzertanten Bereich kann man noch (allerdings teure) Karten an der Abendkasse erhalten. Man bleibt gespannt, wie der nächstjährige Spielplan ausfällt.
Oliver Hohlbach
Bild: Ruth Walz
Das Bild zeigt: Ildebrando D’Arcangelo (Don Giovanni), Layla Claire (Donna Elvira)