Camille Saint- Saëns (1835-1921), Oper in drei Akten, Libretto: Ferdinand Lemaire, UA: 2. Dezember 1877 Weimar, Großherzogliches Hoftheater
Regie: Damiano Michieletto, Bühne: Paolo Fantin, Kostüme: Carla Teti, Licht: Alessandro Carletti
Dirigent: Philippe Jordan, Chor und Orchester der Opéra National de Paris, Choreinstudierung: José Luis Basso
Solisten: Anita Rachvelishvili (Dalila), Aleksandrs Antonenko (Samson), Egils Silins (Der Hohepriester de Dagon), Nicolas Testé (Abimélech), Nicolas Cavallier (ein alter Häbräer), John Bernard (Ein Philisterbote), Luca Sannai (Erster Philister), Jian-Hong Zhao (Zweiter Philister)
Besuchte Aufführung: 4. Oktober 2016 (Premiere, Coproduktion mit der Metropolitan Opera, New York)
Ob es richtig ist zu sagen – wie viele Franzosen –, Saint-Saëns sei neben Berlioz der größte französische Musiker des 19. Jahrhunderts, das bleibe dahingestellt. Daß er vieles angeregt und die Bewegungen der musikalischen Erneuerung anführt, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich vollzieht, ist unbestreitbar, ebenso eine gewisse international Wirkung (Arnold Feil). Camille Saint-Saens war damals weitgehend zu unrecht in seiner Heimat als „unverbesserlicher Wagnerianer” verschrieen. Von seinen zahlreichen Opern war Samson et Dalila die einzige, die sich durchgehend auf den internationalen Bühnen gehalten hat. Dieses drame lyrique wurde von Franz Liszt in Weimar uraufgeführt.
Kurzinhalt
Die Hebräer schmachten als Sklaven unter dem Joch der Philister. Doch ihr Held Samson erschlägt schließlich den Satrapen Abimelech und befreit das Volk Israel. Die Philister ziehen sich darauf in die Berge zurück, doch der Hohepriester des Gottes Dagon ruft zur Rache auf. Sie schicken ihre Jungfrauen aus, um die Krieger Israels, die ihren Sieg feiern, zu verderben. Allen voran die verführerische Dalila umgarnt Samson, der ihr nicht widerstehen kann. Als sie ihm ein Stelldichein gewährt, wird er von den Soldaten der Philister gefangen und die Hebräer werden wieder unterjocht. Samson, geblendet und seiner Haarespracht beraubt, dient den Philistern als Spottfigur. In seiner ohnmächtigen Wut betet der Held zu Gott, ihm doch nur einige Momente seine Kraft zurückzugeben. Mit dieser neuen Kraft gelingt es ihm, die Säulen des Dagontempels ins Wanken zu bringen und sich sowie die Philister unter den Trümmern zu begraben.
Aufführung
Damiano Michieletto läßt in seiner psychologischen Interpretation des Dramas Samson im entscheidenen Augenblick sich selbst seinen langen Haarzopf abschneiden und Dalila als Beweis seiner Hingabe darbringen. Auch sie wird darauf in ihren Gefühlen gegenüber ihrem Volk und ihrer Religion wankend. Sie fühlt nach dem Verrat Mitleid mit dem Geblendeten und Abscheu vor den zügellosen Philistern. Sie ist es denn auch, die das Gebäude mit Benzin überschüttet und Samson den Zunder reicht, um es anzuzünden (keine wankenden Tempelsäulen!). In seiner Version ist auch der Oberpriester darauf aus Dalila zu verführen.
Die Verführungsszene spielt in einem Schlafzimmer à la Fünf-Stern-Hotel. Dalila in weitem Morgenrock. Samson ärmlich gekleidet, der Hohepriester wie ein brutaler Marines-Sergeant. Der Tempel ein modernes Gebäude mit Obergeschoß-Terrasse. Die Kostüme zeitgenössische Straßenkleider, die der Hebräer schmutzig und zerrissen. Im dritten Akt ist der Gegensatz zwischen den orientalisierenden Baccantenrythmen der Philister und dem lamento des verhöhnten Samsons schon vorgegeben. Die Inszenierung steigert dies zu einem wilden Orgienfestmahl mit bunt glitzernden Antik-Kostümen à la Hollywood-Peplum. Die Choreographie ist einleuchtend.
Sänger und Orchester
Anita Rachvelishvili ist Dalila mit langsamer, schwerer Sinnlichkeit. Sie hat einen Mezzo von beträchtlicher Brillanz und Stärke, die weder in den hohen Registern noch in den dunklen, tiefen Lagen an Klangfarbe verliert. Alexandrs Antonenko singt und spielt den tragischen Samson mit ebenmäßiger Tenorstimme, in deren mittleren und tiefen Lagen warme Baritontöne mitschwingen. Im Duett En ce lieu, malgré moi, und in Dalilas Arie Mon cœur s’ouvre à ta voix (2. Akt, 3. Szene) entfalten sich beider Stimmen zum Höhepunkt der Oper. Nicolas Cavallier singt mit tiefer sonorer Baßstimme den alten Hebräer. Egils Silins ist der Hohepriester und Nicolas Testé Abimélech. Philippe Jordan erforscht alle Nuancen dieses romantischen Melodramas, in dem der 1. und der 3. Akt in einer Art von Oratorienstil weitgehend aus Ensembleszenen besteht, in denen der Chor eine wesentliche Rolle spielt, während der 2. Akt nur Dalila, dem Hohepriester und Samson vorbehalten ist. José Luis Basso hat dem Chor die nötige dramatische sowie weihevolle Kraft verliehen.
Fazit
Mit einer szenisch nicht übermäßig inspirierten, aber musikalisch erfolgreichen Aufführung dieser Oper, die sowohl von Berlioz und Wagner, zum Teil wohl aber auch von den Oratorien Bachs und Mendelssohns beeinflußt ist, hat das Haus an der Bastille die neue Saison eröffnet.
Alexander Jordis-Lohausen
Bild: Vincent Pontet
Das Bild zeigt: Anita Rachvelishvili (Dalila), Aleksandrs Antonenko (Samson)