von Ludwig van Beethoven (1770-1827), Oper in zwei Aufzügen, Libretto: Joseph Sonnleithner, Stephan von Breuning, Friedrich Treitschke, (Leonore), UA: 20. November 1805 Wien, Theater an der Wien (erste Fassung), 23. Mai 1814 Wien, Kärtnertortheater (endgültige Fassung)
Regie: Rudolf Frey, Bühne: Madeleine Boyd
Dirigent: Roland Kluttig, Philharmonisches Orchester, Opernchor des Landestheaters Coburg (Choreinstudierung: Lorenzo Da Rio).
Solisten: Salomon Zulic del Canto (Don Fernando), Michael Lion (Don Pizarro), Roman Payer (Florestan), Tünde Szaboki (Leonore), Felix Rathgeber (Rocco), Julia Da Rio (Marzelline), David Zimmer (Jaquino), u.a.
Besuchte Aufführung: 12. Oktober 2016
Leonore vermutet, daß ihr verschwundener Mann Florestan sich in den Händen seines Feindes, des Gefängnisgouverneurs Don Pizarro, befindet. Deshalb verkleidet sie sich als Mann und heuert unter dem Namen Fidelio als Helfer bei dem Kerkermeister Rocco an. Dessen Tochter Marzelline verliebt sich in Leonore, was ihrem bisherigen Geliebten Jaquino mißfällt. Don Pizarro erfährt derweil, daß der Minister Don Fernando das Gefängnis inspizieren möchte und fürchtet, daß dieser den unrechtmäßig inhaftierten Florestan entdecken könnte. Sein Versuch, den Gefangenen zu ermorden, scheitert: Florestan wird gerettet und Pizarro das Handwerk gelegt.
Aufführung
Während des Vorspiels agieren die Hauptdarsteller in heutiger Alltagskleidung miteinander, um an zwei modernen Arbeitstischen mit Bürostühlen die Vorgeschichte um die Verhaftung Florestans und seines Laptops zu bebildern. Eine Trennwand fährt herunter, ein Schalter öffnet sich und der Gefängniswärter Rocco übergibt Leonore einen Aktencontainer, der die Kleidung Florestans enthält. Die hintere Wand fährt hoch und ein großer Raum öffnet sich. Auf Feldbetten ruhen die Gefangenen, die zwar nicht an die Sonne kommen, aber wenigstens Frischluft erhalten. Der Kerker Florestans ist ein Treffpunkt für untote Gestalten aus der griechischen Mythologie oder der Vampirwelt. Florestan entdeckt ein Einschußloch in seiner Brust, die Beerdigung findet nicht in einer Zisterne statt, sondern in einem erdgefüllten Loch, die Erde wird dabei häufchenweise verstreut. An der Trauerfeier in schwarzer Kleidung nehmen alle teil, auch Pizarro.
Sänger und Orchester
Der Dirigent Roland Kluttig erhält an diesem Abend seinen Ritterschlag: zum einen für die langjährige Entwicklung des Philharmonischen Orchesters und zum anderen für seine Interpretation des Fidelio. Beethovens Musik, diese zwar verstörende, aber auch faszinierende Mischform aus Singspiel, Oper und Oratorium, ist bei ihm in den besten Händen. Hier fließt alles ineinander zu einem Meisterwerk der Wiener Klassik und der europäischen Romantik. In diesem ausgewogenen, dicht gestrickten Klangteppich entwickeln sich die Leidengeschichte und der Drang zur Sonne, eben zur Freiheit. Nicht nur das Orchester auch der Chor ist Teil dieser harmonischen Zusammenarbeit.
Bemerkenswert die Leistung der Solisten: Roman Payer, ist fast ein Heldentenor, der aber dennoch dem Florestan tenoralen Schönklang verleihen kann. Aus einem verhaltenen Gott, welch Dunkel hier wird ein hochdramatisches Zur Sonne, zur Freiheit. Tünde Szaboki ist eine Leonore, die sich im Verlauf des Abends erst steigern muß, denn am Anfang fehlt der Stimme ein wenig die Gelenkigkeit, um die schwierigen Koloraturketten Beethovens entstehen zu lassen. Zum Ende hin kann sie ihre Erfahrung voll ausspielen. Felix Rathgeber zeichnet den Gefängniswärter Rocco etwas eindimensional als unsicheren Kantonisten, der sich an die Vorschriften klammert. Sein sicherer Baßbariton paßt hier stimmlich gut. Da ist die jugendlich leuchtende Julia Da Rio als überagil strahlende Marzelline ein echter Gegenpol. David Zimmer in der zweiten Tenorrolle gdes Jaquino, paßt als leichter, stimmlich immer trittsicherer Jugendlicher hervorragend zu dieser Marzelline. Michael Lion zeichnet Don Pizarro als fragwürdige Gestalt. Wahre Abgründe tun sich auf, wenn dieser tiefe und schwere Wagnersänger zum Mord aufruft. Don Fernando ist Salomon Zulic del Canto, der mit weniger Ausdruckskraft kaum dagegen halten kann.
Fazit
Szenisch ist diese Produktion unverständlich, ohne die Hinweise im Programmheft nicht zu entschlüsseln. Doch ist für die Szene nicht maßgebend. Was der Freiheitsgedanke (gestrig oder heute) mit einem Alptraum Leonores über die Verhaftung und Tod Florestans zu tun hat, bleibt unbeantwortet. Auch die Bedeutung der zusätzlichen Dialoge bleibt im Dunkeln, sie ersetzen teilweise die Originaldialoge. Z. B. fehlt der Hinweis auf den Trompeter, der das Zeichen für die Ankunft Don Fernandos geben soll. Musikalisch und sängerisch ist dieser Abend dank Roland Kluttig, dem Orchester, dem Chor und aller Solisten eine einer Staatsoper ebenbürtige Leistung. Großes Bravo hierfür!
Oliver Hohlbach
Bild: Andrea Kremper
Das Bild zeigt: Roman Payer (Florestan) an seinem Arbeitsplatz