KONZERT – Kölner Philharmonie

György Ligeti (1923-2006): Lux Aeterna

Johannes Brahms (1833-1897): Ein deutsches Requiem Op. 45

Dirigent: François-Xavier Roth, Gürzenich-Orchester,

Vokalensemble Schola Heidelberg, Bach-Verein Köln

Konzertbesuch: 22. November 2016

Vorbemerkung

Es gibt Musikstücke, die ob ihres Charakters – und der sich daraus entwickelten Tradition – mittlerweile fest einen bestimmten Platz im Jahr haben. Das Weihnachtsoratorium von Bach ist das wahrscheinlich bekannteste Beispiel. Ein weiteres ist Ein Deutsches Requiem von Johannes Brahms, das seit seiner Uraufführung am 10. April 1868 häufig in der Fastenzeit oder zu Ostern gespielt wird. Der ernste Inhalt des Werkes – Leid, Tod und Tröstung – mag nicht so recht etwa in die Weihnachtszeit passen. Der Chefdirigent des Gürzenich-Orchesters, François-Xavier Roth, ging nun nicht ganz so weit, aber die Aufführungen des Brahms-Requiems am 22. November in der Kölner Philharmonie rückten es doch recht nahe an den Beginn der Adventszeit (1. Advent ist am 27. November). Da die ganze Stadt bereits seit mehr als einem Monat vom Vorweihnachtsfieber und der fieberhaften Betriebsamkeit der Vorbereitungen auf den Advent zugepackt ist (in den Supermärkten stehen seit Anfang Oktober die Schokoladenweihnachtsmänner Hab Acht!) wurde der mahnende Aspekt dieses Werks eher unterstrichen.

Denn alles Fleisch es ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen. Das Gras ist verdorret und die Blume abgefallen. (1. Petrus 1.24, nach Jesaja 40.6-8)

Brahms schrieb die Musik zu diesem Text im Frühjahr 1854 unmittelbar unter dem Eindruck von Robert Schumanns geistigem Zusammenbruch und Einlieferung in die Endenicher Nervenheilanstalt, wo er schließlich am 29. Juli 1856 starb.

koeln-philharmonieDas Programm

Trotz dieses ernsten Grundtones und der Erinnerung an existentiellen Fragen unseres Daseins war die Philharmonie am Abend des 22. November gut gefüllt. François-Xavier Roth ließ dem Requiem allerdings noch Lux Aeterna von György Ligeti vorangehen, eine unerhörte Kombination, wenn man sich den gewaltigen stilistischen und auch ausdrucksstarken Unterschied der beiden Werke vor Augen (und Ohren!) führt.

Lux Aeterna ist eine a capella Komposition, kaum zehn Minuten lang, geschrieben für sechzehnstimmigen gemischten Chor aus dem Jahr 1966. Es enthält keine hörbaren Melodien, der polyphone Satz ist so dicht, die Stimmen in ihrer kleinschrittigen, langsamen Bewegung so eng gesetzt, daß der Hörer nur mehr harmonische Veränderungen im Klang wahrnehmen kann. Auch der lateinische Text kann nicht mehr verstanden werden (nicht nur wegen der Sprachbarriere), weil die Silben lang gedehnt werden und sich meist verschiedene Textpartien in den verschiedenen Stimmen überlappen. Übrig bleibt der Eindruck eines fremdartigen, kaum mehr faßbaren, aber in seiner Zartheit trotzdem wunderschönen, oszillierenden, sich langsam bewegenden und verändernden Klanggebildes. Der legendäre Filmregisseur Stanley Kubrick (1928-1999) unterlegte mit dieser Musik den Flug eines Raumschiffs über die silbrig schimmernde Mondoberfläche in seinem Film 2001 Odyssee im Weltraum (1968).

Das siebensätzige Deutsche Requiem von Johannes Brahms dauert dafür etwa 70 Minuten und ist ein sowohl ungemein expressives als auch innerliches Werk. Es entstand gut 100 Jahre vor Lux Aeterna, wobei das Jahr 1866, in dem die Sätze III, VI und VII entstanden, die Hauptschaffensperiode markiert. Schon 1861 hatte Brahms die ersten beiden Sätze geschrieben und dafür z.T. auf älteres Material zurückgegriffen, wie etwa das Scherzo aus seiner nie veröffentlichten Sonate für zwei Klaviere. Der vierte Satz des Deutschen Requiems entstand 1865, im nahen zeitlichen Abstand zum Tod von Brahms‘ Mutter, der fünfte Satz mit dem Sopransolo einen Monat nach der Uraufführung im Mai 1868.

Aufführung

Die Programmidee, ein hochromantisches, von tragischem Lebensgefühl getragenem Werk aus einer mikropolyphon gestalteten Klangflächenkomposition von geradezu „außerirdischer Atmosphäre“ herauswachsen zu lassen, war so von jeglicher Norm entfernt, daß sie hohe Erwartungen weckte.

Roth ließ auch tatsächlich keinen Applaus zwischen den Stücken zu, sondern „dirigierte“ die letzten Pausentakte von Lux Aeterna eisern durch, hielt die Spannung und ließ tatsächlich sofort das Requiem folgen. Das Publikum, um seine wohlverdiente Entspannungs-, Räusper- und Hustenpause gebracht, untermalte den Beginn denn auch prompt mit einer nervösen Geräuschkulisse. Dies verdarb den Übergang zwischen den beiden Werken nachhaltig und ruinierte auch die Atmosphäre des Beginns des Requiem, der dem sonst so takt- und rhythmussicheren François-Xavier Roth eine Spur zu unruhig geriet.

Auch die Aufführung von Lux Aeterna konnte nur streckenweise – in den Baßpartien – die Magie des Stücks entfalten. Das lag zum einen daran, daß die Akustik der Philharmonie mit ihrem geringen Nachhall für diese Musik nur bedingt geeignet ist. Das Vokalensemble Schola Heidelberg zeigte sich zwar recht intonationssicher, hatte die Stimmen jedoch nur solistisch besetzt. In einer halligen Akustik ginge es, weil der Klang sich dort freier entfalten kann. Hier hätte man jedoch jede Stimme mehrfach besetzen müssen, um die Philharmonie damit zu füllen. Die Bässe waren gegenüber den Sopranen dabei im Vorteil, weil tiefe Frequenzen natürlicherweise weiter tragen. Roth nahm das Tempo des Stücks relativ langsam, was der Entfaltung der Musik hier im Grunde entgegenkommt, die Sänger jedoch streckenweise in Atemnot brachte und zu klanglichen Pausen führte, die man normalerweise nicht hört.

Besser gelang die Aufführung des Requiems, wobei die Interpretation eine interessante romanische Färbung aufwies, die teilweise neue, selten gehörte Facetten des Werks hörbar machte. An manchen Stellen, wie etwa dem zweiten Satz, nahm sie der Musik dafür etwas von ihrem holzschnittartigen, eindringlichen Charakter. Roths teilweise mehr elegische, nach innen gerichtete Interpretation rückte das Werk manchmal in überraschende Nähe zu Schubert. Eine nicht offensichtliche, aber doch zutreffende Parallele, sagte der eine Komponist doch einmal: Ihnen brauche ich wohl nicht zu sagen, daß ich innerlich nie lache, während vom anderen der Ausspruch überliefert ist: Kennen Sie lustige Musik? Ich nicht.

Der Kölner Bach-Verein sang superb und bewältigte auch intonatorisch schwierige Passagen mit selbst auf CD-Aufnahmen kaum gehörter Perfektion und darüber hinaus mit großer Textverständlichkeit. Auch bei Krešimir Stražanac, der die Solo-Baritonpassagen im dritten und sechsten Satz sang, war der Text gut verständlich und der Ausdruck von großer Intensität. Nur in den Höhen zeigte er manchmal etwas Druck. Das Gürzenich-Orchester Köln hielt dem die Stange, auch die heiklen Bläserschlußakkorde waren sauber und rein.

François-Xavier Roth kam nach dem nicht ganz geglückten Beginn gut hinein und dirigierte besonders die klanglichen Höhepunkte mit mitreißendem Feuer. Auch die nicht ganz leichte Verschränkung von Anfang und Ende, die innere Brücke über das ganze Werk zu dehnen, gelang hervorragend, wie auch die klangliche Ausleuchtung der Orchesterstimmen.

Fazit

War das Experiment geglückt, die künstlerische Idee des Abends verwirklicht worden? Auf jeden Fall teilweise! Die Aufführung des Deutschen Requiems muß (abgesehen vom Sopransolo im fünften Satz und dem Beginn) als gelungen angesehen werden! Freundlicher, wenn auch nicht zu lange andauernder Applaus am Ende bezeugte das.

Als problematisch erwies sich ausgerechnet die Schlüsselstelle der künstlerischen Konzeption dieses Abends: die Kombination dieser beiden diversen Kompositionen und der Übergang von der einen zur anderen, wobei erkennbar war, daß es funktionieren kann, rein künstlerisch und ohne Beschränkungen von außen. Es ist möglich, das Deutsche Requiem aus dem Pausenende von Lux Aeterna herauswachsen zu lassen, die Sphäre der Immaterialität quasi zu „erden“ und damit metaphorisch Himmel und Erde zu verbinden. Wenn die Schlüsselkomponente, der Mensch, mitspielt!

Philipp Kronbichler

Bild: Gürzenich-Orchester, Köln

Veröffentlicht unter Aktuelles