Szenenentwurf für La Pisanelle
Die Opéra de Paris, die Bibliothèque Nationale de France und das Verlagshaus Alban Michel haben am 22. November 2016 im Palais Garnier in Paris zum 150. Geburtstag von Léon Bakst eine Ausstellung eröffnet, die bis zum 5. März 2017 läuft.
Sie soll den Künstler und sein Werk in Erinnerung zu rufen.
Jugend im russischen Zarenreich
Außer vielleicht in Fachkreisen kennen heute nur noch wenige den Namen Léon Bakst, und dennoch stand er zu seiner Zeit im Mittelpunkt der Kulturszene und hat sie bis heute beeinflußt.
Lev Samoïlovich Rosenberg, der sich später Léon Bakst nannte, kam am 10. Mai 1866 in Grodno in Weißrußland als Kind einer bürgerlichen, jüdischen Familie zur Welt. Er erkannte früh sein Zeichentalent und setzt bei seinen Eltern durch, Maler zu werden. Mit 17 Jahren beginnt er seine Studien an der Kunstakademie in Sankt Petersburg, die allerdings schon vier Jahre später zu Ende gehen sollten. Wohl unter dem Einfluß der Genossenschaft der künstlerischen Wanderausstellungen, deren Künstler in realistischem Stil das Leben des Volkes und der sozialen Ungerechtigkeit malten, erregt Bakst mit einer sehr lebensnahen und zeitnahen Darstellung der Jungfrau Maria beweint den Leichnam Christi die Empörung seiner Lehrer und verläßt, statt sich zu fügen, wütend die Akademie. Das Ereignis stärkt zwar seinen Charakter, aber bedeutet erstmal eine Zeit bitternster Armut. Noch dazu stirbt 1887 sein Großvater und seine Eltern lassen sich scheiden. Er ist nun gezwungen, auch für den Unterhalt seiner Großmutter, seiner Mutter und seiner Geschwister aufzukommen. Bakst arbeitet pausenlos, nun auch als Buch-Illustrator und als Zeichenlehrer. Und langsam wird der Name Bakst in Künstlerkreisen bekannt. Graf Benckendorff, einer seiner ersten Schüler und Mäzene, stellt ihn dem Großfürsten Wladimir Alexandrowitsch, dem Bruder des Zaren Alexander III., vor. Um 1891 führt ihn sein Freund, der Schriftsteller Alexander Benois, in eine Gruppe von Künstlern und Schriftstellern ein, die sich Les Pickwickiens nennen. Unter ihren Mitgliedern befinden sich viele, die später bei der Gründung der Ballets Russes eine Rolle gespielt haben, in erster Linie Sergei Pawlowitsch Djagilew.
Mit Djagilew und Benois gründet Bakst 1999 die avant-garde Kunstzeitschrift Mir Iskusstwa (Welt der Kunst). Djagilew übernimmt die Leitung und Bakst wird künstlerischer Direktor. Ähnlich wie vor ihnen die Präraffaeliten in England bekämpfen auch die Künstler, die sich um Mir Iskusstwa geschart haben, das Anti-Ästhetische der industriellen Revolution und den Positivismus in der Kunst. Ihre Vorbilder sind einerseits die traditionelle russische Volkskunst und die Welt der Märchen und Träume, andererseits der Rokoko des 18. Jahrhunderts, besonders Antoine Watteau. Ihre Traumstadt ist Venedig mit ihrer faszinierenden Welt der Karnevalsmasken und ihrer verfeinerten Kultur. (Interessant in diesem Zusammenhang, daß sich sowohl Djagilew wie auch Strawinsky in Venedig haben begraben lassen).
Die Suche nach Ästhetik sowie die zauberhafte Welt der Märchen übt auf Bakst einen nachhaltigen Einfluß aus. Diese Ausrichtung wird durch die Eindrücke der archaischen Klassik und des Orientalischen auf späteren Reisen nach Griechenland und Nordafrika noch verstärkt und findet dann seinen Niederschlag in seinen Bühnenbildern und Bühnenkostümen.
Durch die starke Verquickung der kulturellen und intellektuellen Kreise in Sankt Petersburg lernt Bakst immer mehr russische Musiker und Schriftsteller kennen. Und diese Freundschaften, besonders mit Schriftstellern, sind ihm sein Leben lang wichtig gewesen. Eine der ersten davon ist ihm besonders wertvoll: er lernt den Mann kennen, der das Theater revolutioniert, Anton Tschechow.
Ich werde mich lange an diesen regnerischen Tag erinnern, an das freudig-lächelnde Gesicht Tschechows, an seine feierliche Stimme…..Dieses erste Zusammentreffen hat mich buchstäblich bezaubert, schreibt er später darüber.
Während der Jahre 1901-1908, zwischen Musikern, Dichtern und Malern, beginnt er seine ersten Arbeiten für die Bühne und kreiert die Kostüme und Bühnenbilder für Aufführungen in verschiedenen Theatern.
Dort entwirft er das Konzept seiner Bühnentätigkeit:
In Rußland ist es der Maler, der die Gestaltung des Ballets und des lyrischen Dramas anregt. Er entscheidet den Stil, die bildliche Gesamtlinie, den Grundton der Bühnenbilder, und sogar den Geist der Regie……… Die Darsteller, die ich anziehe (denn hier in Rußland entwerfen wir sowohl die Bühnenbilder als auch die Kostüme), werden behandelt wie die
Kostümentwurf für Narcisse und Programmheft
letzten Pinselstriche eines Gemäldes. Und den Hauptdarstellern habe ich immer den vorherrschenden Farbton des Gemäldes vorbehalten. Deswegen ist es für mich unglaublich schwer, der Änderung auch nur einer Nuance bei einem meiner Hauptdarsteller zuzulassen, weil diese Veränderung sowohl die Farbabfolge als auch meinen vorherrschenden Farbton zerstören würde schreibt er 1911.
Zwischen Sankt Peterburg und Paris
Ab 1893 pendelt Bakst zwischen Sankt Peterburg und Paris hin und her. Nicht zuletzt auf Grund amouröser Beziehungen werden die Aufenthalte in der französischen Hauptstadt immer ausgedehnter und Paris wird langsam zu seiner zweiten Heimat.
Ein weiterer entscheidender Schritt auf dem Wege zum Ruhm wird für Bakst die 1905 erst in Sankt Petersburg und im folgenden Jahr beim Salon d’Automne in Paris gezeigte, von Djagilew organisierte Ausstellung russischer Maler. Bakst fällt auf als Portraitmaler (u.a. das noch ganz konventionelle Ölgemälde Djagilew und seine Gouvernante), als Illustrator und als Bühnenbildner.
Kostümentwurf für den Nachmittag eines Fauns
Im Jahre 1902 heiratet Bakst Liubow Pavlowna Gritsenko, die Witwe des Malers Nikolaus Gritsenko und Tochter des reichen Industriellen und Mäzenen Pavel Tretiakow. Um sie heiraten zu können, muß er zum Christentum übertreten. Eine seiner neuen Schwägerinnen ist die Frau des Pianisten Alexander Ziloti, eines Cousins Serge Rachmaninows. Vier Jahre nach dieser Hochzeit kommt sein Sohn André zur Welt, der sich als Bühnen- als auch als Filmkünstler einen Namen machen wird. Doch 1910 wird Baksts Ehe geschieden, und er kehrt zum jüdischen Glauben zurück.
Während der Zeit 1906-1908 übernimmt er außerdem die Leitung der Schule Zvantseva, die sich als freie Kunstschule gegenüber der offiziellen Kunstschule profiliert. Dort nimmt er einen jungen Maler namens Marc Chagall als Schüler an, obwohl dieser nicht das Geld aufbringen konnte, um die Schulgebühren zu bezahlen. Chagall hat seinem Lehrer sein Leben lang eine große Dankbarkeit und Bewunderung bewahrt.
Als er viele Jahre später von seinem Tod erfährt, schreibt er: Ich bin unglücklich über den Tod meines ersten und unvergeßlichen Lehrmeisters, Lev Samoïlovich Bakst, dem ich so viel verdanke. Du sehr Teurer, ich weiß, daß Du mich geliebt hast. In meinem Herzen wird eine ewige Liebe für Dich wohnen. Marc Chagall, Paris, 1924. Ob er wohl auch an Bakst gedacht hat als er 1959 für die Pariser Oper die Bühnenbilder und die Kostüme für das Ballet Daphnis et Chloé entwarf?
Les Ballets Russes
Paris ist zu der Zeit die weltweit gefeierte Kulturhauptstadt. Und es durchlebt eine der kulturell reichsten Perioden seiner, die sich kurz vor der Katastrophe des Ersten Weltkriegs mit diesem magisch-glitzernden Feuerwerk von Djagilews Ballets Russes ein letztes Mal verschwendet und erlischt. Denn mit ihrem Auftreten im Théâtre du Châtelet und später auch im Théâtre des Champs Élysées beginnt eine der brillantesten, aber auch eine der revolutionierendsten Kapitel der Bühnengeschichte der französischen Hauptstadt.
In einer selten fruchtbaren Zusammenarbeit verschiedener Kunstgattungen bringt Djagilew eine
Kostümentwurf für Der blaue Gott
unaufhörlich scheinende Abfolge von Werken auf die Bühne, für die Bakst meistens die Bühnenbilder und Kostüme schafft, für die Michel Fokine, Vaslav Nijinsky, Ivan Clustine oder Léonide Massine die Choreographie erfinden und für die Komponisten wie Igor Strawinsky, Nikolaus Rimsky-Korsakow, Modeste Mussorgsky, Claude Debussy, Maurice Ravel und Richard Strauss die Musik schreiben. Die vielleicht bekanntesten dieser Ballette sind Scheherazade, Der Feuervogel (1910), Der Nachmittag eines Fauns, Daphnis und Chloe, Salome (Ida Rubinstein, 1912).
In diese Reihe gehören auch Petruschka (1911) und Le Sacre du Printemps (1913), obwohl Bakst hier nicht mitgearbeitet hat. Gerade noch kurz vor dem ersten Weltkrieg, kommt es 1914 auch zu einer Zusammenarbeit mit Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss und zu der Aufführung deren Balletts Die Josefslegende im Théâtre de l‘Opéra.
Die Werke Baksts für die Bühne werden sowohl in Paris 2011 (Musée des Arts Décoratifs) als auch in London 1912/13 (Fine Arts Society) öffentlich ausgestellt. Während dieser reichen Schaffensperiode kommt Baksts „Bühnenkonzept“ voll zur Anwendung und auch seine Theorien über die Symbolik und emotionelle Kraft der Farben:
Ich habe oft bemerkt, daß jede Farbe des Primas seine Abstufung hat, die manchmal die Offenheit und die Keuschheit, manchmal die Sinnlichkeit, ja sogar die Bestialität, manchmal den Stolz und manchmal die Verzweiflung ausdrückt. Das kann man durch die verschiedenen Nuancen andeuten. Und das habe ich in ‚Scheherazade‘ versucht. Gegen ein trostloses Grün habe ich ein Blau voller Verzweiflung gestellt, so paradox das auch erscheinen mag. Es gibt Rots, die sind triumphierend und andere, die sind mörderisch. Ein Blau kann die Farbe der Maria Magdalena sein, ein anderes die der Messalina.
Und wenn die Musik oder die Choreographie hin und wieder auch wildtobende Skandale entfacht hat (vgl. dazu auch den Artikel Le Massacre du Printemps, OPERAPOINT, Heft 3/2013), so kann man sicher sein, daß der Zauber und die Farbenpracht, ja das Märchenhafte der Bühnenbilder und Kostüme begeistern. Und diese Begeisterung geht so weit, daß es nun überall Mode wird, sich einen Salon à la Bakst einzurichten, mit farbenprächtigen Kissen und märchenhaften Wandbespannungen.
Das führt so weit, das Bakst in den 1920 Jahren Textilentwürfe für die Textilindustrie macht, so wie er auch mit Künstlern der Branche Art Décoratif zusammenarbeitet, wie mit dem Schmuck- und Kunstglashersteller René Lalique.
Auch auf die Pariser Mode haben seine Entwürfe einen unmittelbaren Einfluß. Seit dem triumphalen Erfolg des Ballets Scheherazade entdecken die Pariserinnen und mit ihnen die ganze Welt, plötzlich ihren Geschmack fürs Orientalische.
Jean Cocteau schrieb dazu etwas ironisch:
Die elegante Damenwelt ist unter das Joch des Bakst geraten. Die Korsetts, die Girlanden, die Puffärmel, die Diademe, der Tüll, die Haarknoten, all das ist verschwunden und wird nun durch Turbane, Federbüsche, persische Tuniken, Halsbänder und all die anderen schrecklichen Verlockungen von 1001 Nacht ersetzt.
Kostümentwurf für Die Josefslegende
So ist er nicht erstaunlich, daß sich auch im weiteren und heute noch die „Hohepriester“ der Haute Couture, wie z.B. Karl Lagerfeld oder Yves Saint Laurent, sich gerne von Bakst beeinflussen lassen, so wie auch Christian Lacroix 2001 bei den Kostümentwürfen zu einer Neuproduktion von Scheherazade an der Pariser Oper. Auch während und nach dem Ersten Weltkrieg versucht Bakst seine Bühnentätigkeit fortzusetzen. Er ist dazu gezwungen, denn der Krieg und danach die Revolution haben ihn von seiner Heimat abgeschnitten, und er hat sonst keine Einkünfte. So kommt es u.a. 1921 noch einmal zur aufsehenerregenden Aufführung des Ballets Dornröschen im Alhambra Theatre in London. Am 27. Dezember 1924 stirbt Léon Bakst. Pablo Picasso, Ida Rubinstein, Jean Cocteau, Sergei Prokofiev und viele andere begleiten seinen Sarg zum Friedhof von Batignolles in Paris.
„ …….. Grüßen Sie Bakst vielmals von mir. Ich bewundere ihn unendlich, denn für mich gibt es nichts Schöneres als Scheherazade. Marcel Proust.“ (Ausschnitt aus einem Brief).
Alexander Jordis-Lohausen
Bilder: Alle in diesem Artikel verwendeten Illustrationen unterliegen dem © Bibliothèque nationale de France/Photo département de la Reproduction. Une coédition Albin Michel/BnF Éditions en partenariat avec l’Opéra de Paris. Der reich illustrierte Ausstellungskatalog wurde unter der Leitung von Mathias Auclair, Sarah Barbedette und Stéphan Barsacq herausgegeben.
Kostümentwurf fürScheherazade
Szenenentwurf für Phaedra