Bielefeld, Stadttheater – HELGES LEBEN

von Mark Moebius (geb. 1973) und Karola Obermüller (geb. 1977), Oper nach dem Theaterstück von Sibylle Berg, Libretto: Christin Bahnert, Tobias Kratzer, Jón Philipp von Linden, Florian Lutz, Janina Moelle, Juliane Scherf, Mark Moebius und Karola Obermüller. UA: 31. Mai 2009, Stadttheater Bielefeld
Regie: Florian Lutz, Juliane Scherf, Bühne und Kostüme: Rainer Sellmaier, Dramaturgie: Jón Philipp von Linden
Dirigent: Carolin Nordmeyer und Witolf Werner, die Bielefelder Philharmoniker
Solisten: Hubert Wild (Helge), Christiane Linke (Tina), Sünne Peters (Helga/Krankenschwester), Sebastian Pilgrim (Helmut), Elisabeth Umierski (Frau Gott), Diana Amos (Frau Tod), Jens Krogsgaard (Helges Angst), Melanie Hirsch (Tinas Angst), Jan Andreesen (Tapir), Helmuth Westhausser (Schnapphamster), Nicole Paul (Reh)
Besuchte Aufführung: 31. Mai 2009 (Premiere, Uraufführung)

Kurzinhalt
bielefeld-helges-leben.jpgFerne Zukunft: Die Menschen sind Geschichte geworden. Tapir, Reh und Schnapphamster lassen sich allabendlich von den Entertainerinnen Frau Gott und Frau Tod unterhalten. So sehen sie sich dieses Mal Ein ganz normales Menschenleben an: Helmut und Helga gründen eine Familie: Helge wird geboren. Als ständiger Begleiter gesellt sich die Angst zu ihm. Arbeitslosigkeit und Alkoholprobleme führen zum Scheitern der Ehe. Der inzwischen achtjährige Helge versucht, sich die Pulsadern zu öffnen. Tapir empfiehlt Helge, mit seinem Vater zu reden, was er auch versucht. Als dieser ihm nicht antwortet, erschlägt er ihn. Helge beginnt eine Psychotherapie. Jahre später lernt er Tina kennen, schwängert und verläßt sie. Nachdem Helge zwei Frauen brutal ermordet hat, wird er von Frau Gott zwanzig Jahre festgesetzt – Zeitsprung. Als alter Mann im Krankenbett liegend, wird ihm von einer Krankenschwester sein Alter und Siechtum vor Augen geführt. Schließlich stirbt auch Helges Angst, und er bleibt allein zurück.
Aufführung
Laute Sirenen und die Lautsprecherdurchsage Achtung, Achtung, infolge einer technischen Störung muß das Gebäude unverzüglich geräumt werden schien als äußerst ungewöhnlicher Opernbeginn, entpuppte sich aber als ernstgemeinte Aufforderung aufgrund eines defekten Rauchmelders. Nach dieser Verzögerung öffnet sich der Vorhang und Helga und Helmut treten in hautfarbenen Adams- und Eva-Kostümen auf die in rotem Licht gehüllte Bühne Sie ist mit rotbraunem Sand ausgelegt und zeigt im Hintergrund eine sandbelegte Anhöhung. Frau Tod und Frau Gott bringen eine Tür auf die Bühne, hinter der die angedeutete Zeugung Helges unsichtbar fortgesetzt wird.
Die weitere Handlung vollzieht sich auf parallel laufenden Ebenen: Tapir, Reh und Schnapphamster, mit Sprechstimmen besetzt, nehmen die Beobachterposition ein, können aber aktiv in die Handlung eingreifen. Sie bewirken eine Werbepause, das Vorspulen der Handlung oder raten Helge zu einem Gespräch mit seinem Vater. Frau Gott und Frau Tod füllen die Zeitellipsen, die Helges Lebensabschnitte komprimieren, mit gesanglichen Zusammenfassungen. Die Angst von Tina und Helge ist personifiziert und sucht diese in ihren Handeln zu lenken. Die Szenen, in denen Helge seinen Vater sowie zwei Frauen ermordet, werden in der Inszenierung ausgedehnt dargestellt.
Sänger und Orchester
Das Orchester steht unter der Leitung von Carolin Nordmeyer und Witolf Werner, zwei Dirigenten, die, wie die Komponisten, Regisseure und Dramaturgen dieser Oper, Stipendiaten der Akademie Musiktheater heute (Deutsche Bank Stiftung) sind. Die instrumentale Zuordnung zu den handelnden Personen ist konsequent beibehalten: die Bläser den Ängsten (Helges Angst überwiegend von der Solo-Posaune und anschwellenden Akkorden) und Tinas Angst von den Holzbläsern. Frau Tod wird von einem Bühnenmusiker am Cembalo unterstützt, Frau Gott durch prägnante Dur-Akkorde einer Orgel. Helge und Tina sind meist vom Streicherklang begleitet. An manchen Stellen ist der Orchesterapparat deutlich zu lautstark. Unter den Vokalisten singt Diana Amos (Frau Tod) wahrhaft exzellent. Der Bariton Hubert Wild (Helge) hat ein breites Stimmenspektrum und bringt dieses mit Volumen und Ausdruckskraft vor. Der Handlungsverlauf, der sich überwiegend in schlichte, instrumental begleitete Rezitative und unbegleitete Sprechszenen vollzieht, läßt die gesanglichen Leistungen der übrigen Vokalisten im Hintergrund.
Fazit
Viele Leute gingen mit einem Schmunzeln in die Pause und so manche Plätze blieben nach der Pause unbesetzt. Die brutalen Mordszenen und der sexistisch herbe Jargon, wie beispielsweise die häufige Verwendung des Wortes Ficken oder schnappende Mösen positionieren das Werk in eine sehr gewöhnungsbedürftige Musiktheaterrichtung. Das Libretto ist im Programmheft nicht abgedruckt, so daß eine entsprechende Vorbereitung auf diesen Jargon fehlt. Diese Oper zeigt aus der Zukunftsperspektive einen Blick auf einen komprimierten, knallharten und sehr einseitigen Ausschnitt unseres jetzigen Daseins.

Britta Winkelnkemper

Bild: Philipp Ottendörfer
Dad Bild zeigt von links nach rechts: Christiane Linke (Tina), Hubert Wild (Helge), Jens Krogsgaard (Helges Angst), Jan Andreesen (Tapir) und Nicole Paul (Reh).

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