Dirigent: Daniel Barenboim, Wiener Philharmoniker
Bedrich Smetana (1824-1884) Mein Vaterland – Má Vlast
Zyklus sinfonischer Dichtungen für Orchester
Konzertbesuch: 21. Dezember 2016
Über die Wiener Philharmoniker wurde in OPERAPOINT Heft 3/2016 ausführlich berichtet, sowohl über ihre besondere Organisationsform als auch ihre klangliche Höchstqualität. Beim Zuhören drängt sich der Begriff Klangkörper auf und erhält plötzlich eine ganz intensive, bildhafte Bedeutung.
Das Konzert begann ungewöhnlich, denn Daniel Barenboim griff zunächst zum Mikrofon und bat das Publikum mit bewegter Stimme, sich zu einer Schweigeminute für die Opfer des Anschlags auf dem Berliner Weihnachtsmarkt zu erheben. Die danach einsetzenden Harfenklänge des Vyserad-Motivs kann man sich schöner gespielt nicht vorstellen.
Der Zyklus Mein Vaterland schildert in sechs verschiedenen sinfonischen Dichtungen Landschaftsbilder und Episoden aus der Geschichte Tschechiens. Auch zu Smetanas Lebzeiten war das Land von Zerrissenheit und politischen Machtkämpfen geprägt, so daß das Werk zu einem politischen Bekenntnis wurde und Smetanas Ruf als Nationalkomponist gefestigt wurde.
Fels und Burg Vyserad sind der sagenumwobene Ursprung der tschechischen Besiedlung, die Harfen symbolisieren den Gesang eines Barden, der von einer versunkenen Zeit berichtet. Nach bewegten lautmalerischen Erzählungen erklingen sie auch wieder zum Schluß des ersten Teils.
Der bekannteste Teil des Zyklus ist Die Moldau. Smetana beschreibt sie von ihren beiden Quellen an bis zu ihrem Entschwinden in die Ferne, wo sie irgendwo in die Elbe mündet. Die musikalischen Bilder, die der Komponist hier entwickelt, sind meisterlich gestaltet. Rasche Läufe der Flöten suggerieren das sanfte Plätschern der beiden Quellen, eine Jagd wird natürlich durch Hörnerklänge erkennbar, eine Bauernhochzeit durch eine muntere Polka, der Vorbeifluß an der Burg Vyserad durch die Aufnahme des Anfangsthemas.
Das Stück Sarka ist eine Rachegeschichte für eine verratene Liebe. Sarka lockt mit einer List die Ritter, die die Herrschaft ausüben, in den Wald, um sie mit ihrem Gefolge erbarmungslos niederzumetzeln. Die Personen werden durch Instrumente symbolisiert, Sarka durch die Klarinette, Ctirad, der Anführer der Ritter, durch ein Violoncello.
Die vierte sinfonische Dichtung trägt den Titel Aus Böhmens Hain und Fluren und gibt laut Smetanas eigener Aussage einen Gesamtausdruck der Gefühle wieder, welche die Betrachtung der tschechischen Landschaft erwecken.
Tábor und Blanik zeigen zum Schluß die Glaubenskämpfe, die schon im Mittelalter stattfanden und auf die Hussitenkriege verweisen.
Autor Oliver Binder, der einen hervorragenden Programmtext verfaßt hat, schreibt dazu lapidar: Seit jeher weiß im Krieg jedes Lager Gott auf seiner Seite. Der Choral Die ihr Gottes Kämpfer seid bildet das Grundmotiv, das durchgängig immer wieder angerissen wird.
Am Ende schließt sich buchstäblich ein Kreis, indem das anfängliche Vyserad-Motiv mit dem Choral verwoben wird.
Daniel Barenboim hat die Wiener Philharmoniker teils mit empathischen Gesten, aber überwiegend mit minimaler Gestik geführt. Seine Ausstrahlung ist so enorm, daß es oft aussah, als würden die Musiker ihn anspielen. So konnte er sich auch einfach zurücklehnen und das Orchester die Musik entwickeln lassen, ohne daß der großartige Spannungsbogen jemals abbrach. Das ist absolut höchstes Können. Die einzelnen Instrumentengruppen, vor allem Holz und Blech, haben ihre solistischen Aufgaben meisterhaft erfüllt, ein solcher Wohlklang ist bei kaum einem Orchester in dieser Qualität zu finden.
Starker Beifall und von einem begeisterten von den Stühlen sich erhobenen Publikum in der restlos ausverkauften Philharmonie.
Dorothee Riesenkönig
Bild: Wiener Philharmoniker, Wikipedia