von Jacques Offenbach (1819-80), Komische Oper in drei Akten, Libretto: Paul de Musset nach einem Theaterstück von Alfred de Musset, U.A.: 18. Januar 1872 Paris, Opéra Comique
Regie: Thomas Jolly, Bühne: Thibaut Fack, Kostüme: Sylvette Dequest, Licht: Antoine Travert und Philippe Berthomé
Dirigent: Laurent Campellone, Orchestre Philharmonique de Radio France, Chœurs Ensemble Aedes, Einstudierung: Mathieu Romano
Solisten: Marianne Crebassa (Fantasio), Frank Leguérinel (König von Bayern), Marie-Eve Munger (Prinzessin Elsbeth), Jean-Sébastien Bou (Der Prinz von Mantua), Loïc Félix (Marnoni), u.a.
Produktion: Opéra Comique in Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Genève, Opéra Rouen-Normandie, Opéra National de Montpellier, Kroatischen Nationaltheater Zagreb. Korealisation mit dem Théâtre du Châtelet, Paris, wo die Aufführung stattfand
Besuchte Aufführung: 14. Februar 2017 (Premiere)
Vorbemerkung
In seinem Bestreben als Opernkomponist ernst genommen zu werden und das Etikett eines Operettenkönigs abzuschütteln, was ihm erst neun Jahre später posthum mit Hoffmanns Erzählungen gelingt, hatte Offenbach große Hoffnungen auf die Oper Fantasio gesetzt. Und ganz besonders mit der Rolle der Elsbeth wäre ihm der Schritt ins Repertoire der romantischen Oper glaubhaft gelungen. Doch er hatte Pech. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg kommt die neue Oper eines gebürtigen Deutschen, die noch dazu den Frieden predigt, in einer Zeit, in der man in Frankreich eher an Revanche denkt, nicht gut an. Das Werk wird nach zehn Aufführungen abgesetzt. Einige Jahre später, beim Brand der Opéra Comique geht auch das Originalmanuskript verloren. So verschwindet Fantasio für über ein Jahrhundert in der Versenkung. Es ist dem Offenbach-Spezialisten Jean-Christoph Keck zu verdanken, daß die Partitur in langjähriger Arbeit mit Teilabschriften aus verschiedenen Ländern in der ursprünglichen Form wieder zusammengestückelt werden konnte, so wie sie in dieser Aufführung geboten wird. Und man kann nun den musikalischen und literarischen Charme dieser romantisch-philosophischen Fabel neu entdecken.
Es sollte der Eröffnungsabend des neu restaurierten Zuschauerraums der Opéra Comique werden (vgl. dazu den Artikel: 300. Jubiläum der Opéra Comique, Paris, Operapoint Heft 2, 1915). Doch die Restaurationsarbeiten haben sich verzögert, und so mußte die Eröffnungsfeier im Théâtre du Châtelet stattfinden.
Kurzinhalt
In München, Königreich Bayern, soll durch die Hochzeit der Prinzessin Elsbeth mit dem Prinzen von Mantua der Frieden wiederhergestellt werden. Doch der König ist nicht sicher, ob er seine Tochter der Staatsräson opfern soll, zumal der Prinz keinen guten Ruf hat. Fantasio, ein verschuldeter, melancholischer Student, sehnt sich nach einem neuen Leben und wird Hofnarr des Königs. Der Prinz, hingegen, will um seiner selbst willen geliebt werden und tauscht Identität mit seinem Adjutanten. Elsbeth verfällt langsam der wohlwollenden Fantasie des Hofnarren, der überall heitere Verwirrung stiftet. Er will, daß sie nur auf ihr Herz horcht. Der als Adjutant verkleidete Prinz macht einen taktlosen Fehler nach den anderen. Schließlich zieht ihm Fantasio vor dem ganzen Hof die Perücke vom Kopf. Eine solche Majestätsbeleidigung droht einen neuen Krieg zu entfesseln. Fantasio wird ins Gefängnis geworfen, wo die Prinzessin ihn besucht und er sich als gutaussehender Student entpuppt. Fantasio entflieht aus dem Gefängnis und fordert, um einen Krieg abzuwenden, den Prinzen zum Zweikampf heraus. Der Prinz hat Angst, bläst den Krieg ab und kehrt nach Hause zurück. Fantasio wird vom König zum Prinzen gemacht. Das Ende bleibt offen.
Aufführung
Auf der Bühne führt eine Treppe auf zwei Altane rechts und links, und in der Mitte zu einem kreisrunden Tor, das sich je nach Bedarf wie der Verschluß einer Kamera öffnet und den Blick auf die Silhouette des Königspalasts, der Stadt, eines Friedhofs oder eines Gartens, freigibt. Die Dekorationen, Garten, Kerker, u.a. sind stilisiert und werden auf offener Bühne abgebaut. Ein oder mehrere Ausführenden sitzen oder stehen hin und wieder auf fahrbaren Gestellen, die herum geschoben werden, was auf der Bühne eine stete Beweglichkeit schafft. Auch bunte Luftballons gehören zu den Requisiten
Die Beleuchtung ist dem poetisch-romantischen Geschehen angepaßt: auf der meist dunklen Bühne glitzern Duzende von kleinen Lichtpunkte, die Sterne am Nachthimmel, Leuchtkäfer in Garten, Äpfel am Apfelbaum, oder Lampions in Biergarten der Studenten darstellen. Darüber kreieren dünne Scheinwerfer von oben her immer wieder eine wirkungsvolle Lichtarchitektur.
Die Kostüme sind dunkle Straßenkleider für die Studenten und das Volk. Der König trägt eine weiße Uniform und eine große goldenen Zackenkrone auf dem Kopf, die Prinzessin ein einfaches langes, weißes Kleid, ihre Begleiterin sieht aus wie eine dueña von Velazquez. Der Prinz ist ganz in Rokoko gekleidet mit Puderperücke, sein Adjutant wie ein Offizier Napoleons. Und schließlich Fantasios Kostüm als Hofnarr ist oben in grellem gelb und in schwarzweiß gestreift gehalten, wie ein Wespe, dazu trägt er eine Harlekinhose. Erst in der Schlußszene, wie eine Befreiung, ist auch das Volk in die buntesten Farben gehüllt.
Sänger und Orchester
Wie es die Tradition will ist auch diese opéra comique, halb gesprochen, halb gesungen. Die Sänger müssen also zugleich Schauspieler sein. Die Diktion und die Schauspielkunst sind gut. Die androgyne Marianne Crebassa ist wie für diese Hosenrolle geschaffen. Sie spielt und singt mit warmem, hellem Mezzosopran den quirligen, unzufriedenen Fantasio. Ihre Stimme ist leicht und beweglich, dann aber auch wieder voll und romantisch wie im Zweigesang in der Gartenszene mit Elsbeth Quel murmure charmant (1. Akt, 4. Szene) oder dann wieder im bezaubernden Duett Je n‘ai donc rien de plus pour consoler mon coeur! (2. Akt, 13. Szene).
Die beiden Frauenstimmen sind sehr gut aufeinander abgestimmt. Marie-Eve Munger singt und spielt die anmutige, unentschlossene Prinzessin Elsbeth. Ihr zarter, instrumental geführter, jugendlicher Sopran ist noch nicht immer ganz sicher in den hohen Lagen, aber meistert mit bewundernswerter Leichtigkeit die Melismen ihrer Rolle, wie in Voilà toute la ville en fête (1.Akt, 3. Szene) oder besonders nuanciert in Psyché pauvre imprudente (3. Akt, 16. Szene).
Frank Leguérinel ist mit klangvollem Bariton der gediegene Bayernkönig. Jean-Sébastien Bou mit sicherer Baritonstimme ist der brummige, ungehobelte Prinz von Mantua und Loïc Félix der verzweifelte, aber immer beflissene Marinoni. Schauspielerisch und stimmlich sind auch die Interpreten der Nebenrollen ausgezeichnet. Laurent Campellone dirigiert das ganze Ensemble mit Schwung und der Chor gibt sein Bestes.
Fazit
Thomas Jolly und sein Künstler Team, das sich schon zu Beginn der Saison in Eliogabalo im Palais Garnier ausgezeichnet hatte, schafft hier eine neue ansprechende, spielerische Inszenierung, die bis ins letzte Detail ausgeklügelt ist. Er arbeitet auch mit einem Team, meist junger, engagierter Sänger. Das Resultat ist eine erfrischend jugendliche Aufführung, die eine Atmosphäre von Witz, Freude und Begeisterung verbreitet. Der Applaus war entsprechend.
Alexander Jordis Lohausen
Bild: DR Pierre Grosbois
Das Bild zeigt: Fantasio (Marianne Crebassa), Elsbeth (Marie-Eve Munger)