Von Nikolai Rimski-Korssakow (1844 – 1908), Oper (Frühlingsmärchen) in vier Akten mit Prolog, Textbuch vom Komponisten nach einem Märchendrama von Alexander Ostrowski, UA: Mariinki Theater, Sankt Petersburg, 10. Februar 1882.
Regie und Bühne: Dmitri Tcherniakov, Kostüme: Elena Zairseva, Licht: Gleb Filshtinsky, Video: Tieni Burkhalter
Dirigent: Mikhail Tatarnikov, Chor und Orchester der Opéra National de Paris, Choreinstudierung: José Luis Basso
Solisten: Aida Garifullina (Schneeflöckchen), Yuriy Mynenko (Lel), Martina Serafin (Kupava), Maxim Paster (Zar Berendej), Thomas Johannes Mayer (Mizguir), Elena Manistina (Frühlingsfee), Wladimir Ognovenko (Väterchen Frost), Franz Hawlata (Bermiata), Vasily Gorshkoy (Bobyl Bakula), Carole Wilson (Bobylicka), Vasily Efimov (Waldgeist), u.a.
Besuchte Aufführung: 15. April 2017 (Première)
Vorbemerkung
Nikolai Rimski-Korssakow hatte schon erfolgreich eine Karriere bei der kaiserlich-russischen Marine begonnen, und war nach eigener Aussage als Musiker noch Dilettant, als er sich seiner Berufung zum Musiker und Komponist bewusst wurde. Neben Borodin, Mussorgskij und anderen wurde er Mitglied der Novatoren und strebte eine vom Westen unbeeinflusste national-russische Musik an. Nach eingehenden Studien wird Rimski-Korssakow 1871 Professor am Sankt Petersburger Konservatorium und einflussreicher Lehrer u.a. von Glasunow und Strawinsky. Seine eigene Musik ist von Berlioz und Liszt beeinflusst. Seine archaischen Märchenopern, die heute ausserhalb Russlands nur noch relativ selten zur Aufführung gelangen, sind in lockerer Bilderbogenmanier entworfen und relativ arm an dramatischer Spannkraft. Ihre lyrisch-epischen Stimmungsbilder sind farbenprächtig, bisweilen impressionistisch getönt (Korssakow kannte Werke von Debussy). (Hans Renner).
Kurzinhalt
Der Waldgeist verkündigt den Frühling. Der Winter muss weichen. Er tut es ungern, weil er seine Tochter Schneeflöckchen zurücklassen muss. Er beschliesst mit deren Mutter, der Frühlingsfee, das hübsche junge Mädchen der Obhut von Bobyl und seiner Frau anzuvertrauen. Doch darf sie keinen jungen Mann treffen, denn die Sonne hat geschworen, sie zu zerschmelzen, falls sie sich in einen jungen Menschen verliebt. Der Hirte Lel macht ihr schüchtern den Hof, aber sie versteht die Liebe der Menschen nicht. Ihre Freundin Kupava erzählt ihr strahlend, dass sie Mizguir heiraten wird. Doch dieser und auch andere junge Männer verlieben sich nun alle in Schneeflöckchen. Kupava wendet sich in ihrem Schmerz an den Zaren. Auch er ist von Schneeflöckchens Schönheit beeindruckt. Weil der Sonnengott auf sein Land böse ist, bestimmt er, dass alle heiratsfähigen jungen Leute, auch Schneeflöckchen, am Tag des Sonnenfestes heiraten sollen. Doch das Feen Kind versteht immer noch nicht die Liebe der Menschen und das Werben Mizguirs. Verzweifelt ruft sie ihre Mutter zu Hilfe. Die Frühlingsfee schenkt ihr eine Blumenkrone, die ihr das Verstehen gibt, das sie sucht. Doch soll sie es vor der Sonne verstecken. Der Zar verheiratet Lel mit Kupava und nun auch Mizguir mit Schneeflöckchen, doch ein Sonnenstrahl trifft sie und sie schmilzt. Die Sonne ist wieder mit dem Land versöhnt. Doch Mizguir sucht aus Verzweiflung den Tod.
Aufführung
Zu Anfang des Prologs tanzen und singen die Waldvögel mit der Frühlingsfee, doch die Szene ist hier in eine Balletschule versetzt, wo kleine Kinder bunt als Vögel verkleidet sind und die Frühlingsfee mit weisser Lockenperücke und hell violettem Abendkleid die Balletlehrerin ist. Der Szene, die charmant aber nicht märchenhaft ist, wohnen der Vater Frost im Regenmantel und das Schneeflöckchen hübsch in ganz weisser Winterkleidung bei. Die übrige Oper spielt in einem Wald mit ganz hohen, uralten Bäumen. Zuerst stehen dort unter den Bäumen Schrebergartenhäuschen, ein Campingcar und unzählige Klappstühle. Dort trifft sich die Jugend in lässiger moderner Kleidung. Doch zunehmend und in den letzten beiden Akten sind sie dann alle in bunte, volkstümliche Trachten gekleidet, die Mädchen mit Blumenkränzen auf dem Kopf. Auch die Kulisse ist dann nun mehr reiner Wald. Als die hohen Bäume in der Szene zwischen Frühlingsfee und Schneeflöckchen dann anfangen sich in langsamer Bewegung gegeneinander zu verschieben, kommt fast so etwas wie eine märchenhafte Atmosphäre zustande. Das Sonnenfest hat fast etwas Bacchantisches, mit einigen splitter-faser-nackten jungen Geschöpfen, die über die Bühne huschen. Kupava ist in leuchtend rot-bunte Volkstracht gekleidet, Schneeflöckchen in ein einfaches weisses dreiviertellanges Kleidchen. Der Zar, auch in bunter Volkstracht, malt ein Portrait der Frühlingsfee.
Sänger und Orchester
Aida Garifullina, klein und schlank, wie für diese Rolle geschaffen, ist das bezaubernde, fragile Feen Kind, stimmlich beeindruckt sie durch einen jugendlichen, etwas herben, aber klangschönen Sopran, und eine gut kontrollierte, klare Stimmführung. Der Kontratenor Yurij Mynenko singt die Lieder des Lel mit einer instrumental geführten, fast Vibrato losen Stimme und erwirkt damit eine Eindringlichkeit, ja fast eine Verzauberung, die der Komponist wohl mit dieser Rolle verbinden wollte. Martina Serafin sehr überzeugend als die unglückliche, sinnliche Kupava mit vollem, manchmal dramatischem Sopran. Thomas Johannes Mayer singt und spielt den Mizguir mit Temperament und sonorem Bariton. Dem kühlen Mezzosopran von Elena Manistinas Frühlingsfee hätte man etwas mehr Tragkraft gewünscht. Maxim Paster singt und spielt mit etwas dünner, schneidender Tenorstimme den weisen Zaren, aber findet beim Anblick des Schneeflöckchens auch lyrische Töne. Sehr komisch und stimmlich überzeugend das Ehepaar Bakula Vasily Gorshkov und Carole Wilson. Mit schön timbrierten Bass ist Vladimir Ognovenko das Väterchen Frost. Alles in allem ein ausgezeichnetes Ensemble.
Zu erwähnen sei noch der sehr wirkungsvolle Chor und sein Chormeister José Luis Basso, aber auch die Chöre Rimski-Korssakows, in denen bisweilen geistliche Choräle anklingen und dann wieder ruckartige Taktwechsel und stampfende Rhythmen, die schon das in ähnlichem Sinne geschriebene Sacre du Printemps seines Schülers Strawinsky vorwegnehmen.
Mikhail Tatarnikov bringt die klangvolle Tonmalerei des Komponisten in all seiner Vielfalt zur Ausdruck.
Fazit
Es nicht ganz klar, was Dmitri Tcherniakov und sein Team mit ihrem Durcheinander von zeitgenössischer und altrussisch-traditioneller Inszenierung bewirken wollte, aber sie störte auch nicht sonderlich die musikalisch ausgezeichnete Aufführung dieser selten in Paris gegebenen Oper.
Alexander Jordis-Lohausen
Bild: Elisa Haberer
Das Bild zeigt: Aida Garifullina (links) und Elena Manistina