Gundula Janowitz zum 80. Geburtstag

Erinnerungen aus der Karriere eine der berühmtesten und einmaligsten Sängerinnen des 20. Jahrhunderts.

Anläßlich ihres Jubiläums besuchte Alexander Jordis-Lohausen Gundula Janowitz in ihrer Wohnung in Wien und dabei kam das folgende Gespräch zustande.

AJL. Wie hat sich denn all diese musikalische Herrlichkeit ergeben, d.h. als Sie klein waren,was hat denn damals Ihr Interesse an der Musik erweckt?

GJ.Ich habe 1947, also mit 10 Jahren, zum ersten Mal die Meistersinger gesehen und gehört, mit Herbert Thöny, meinem späteren Lehrer, als Beckmesser. Und wie es aus war, und die Leute alle aufgestanden sind, habe ich zu meiner Mutter gesagt: „Ja, was is?“ Und sie hat geantwortet: „Jetzt ist’s aus!“ „Ach, nein!“ ich war sehr traurig. In der vierten Reihe in der Galerie – vergesse ich nie!

AJL. Also Ihre Eltern haben dieses Interesse gefördert?

GJ.Ja, natürlich! Wir hatten damals natürlich kein Klavier. Aber meine Mutter hat mir vorgesungen. Und als ich 13 Jahre alt war, hat eine Schulfreundin, deren Großvater Sänger gewesen war, eines Tages gesagt: „Wollen wir nicht die Zauberflöte aufführen?“ Es wurden die Rollen verteilt, ihre Mutter hat uns am Klavier begleitet. Ich hatte gleich zwei Rollen zu bestreiten, die Königin der Nacht und den Sarastro, weil die sich ja nie begegnen. Wir haben das ganz ernsthaft einstudiert. Sie sehen also, ich habe ganz früh alle Partien der Zauberflöte von vorne nach hinten und von hinten nach vorne kennengelernt. Darauf habe ich meinen Eltern erklärt, daß ich gerne Sängerin werden möchte. Und meine Eltern haben mich nicht ausgelacht, sondern haben gemeint: „Ja, warten wir noch ein paar Jahre. Und wenn es dann immer noch dein Wunsch ist, dann können wir weitersprechen.“

AJL. Und wie alt waren Sie als sie zu Professor Thöny gekommen sind?

GJ.Als ich dann zwei Jahre später wieder darauf zurückgekommen bin, hat mein Vater, der Kaufmann war, entschieden: „Paß auf, wir werden zu einer Prüfung gehen, und wenn man sagt, daß du eventuell mal davon leben kannst, dann darfst du anfangen zu lernen.“ Kurz danach hatten wir einen Termin bei Professor Thöny. Ich war stockheiser, weil ich am Vortag schifahren gewesen war. Als wir eingetreten sind, habe ich nur „Grüß Gott!“ gesagt. Da hat der Professor meinen Vater angeschaut und hat gefragt: „Will die wirklich singen?“ Das hat mich sehr wütend gemacht! Also wir sind ans Klavier und er hat meine Stimme hinaufgejagt und hinunter. Und schließlich hat er gesagt: „Wenn aus der nichts wird, heiß ich Veitel!“ So habe ich die Erlaubnis bekommen, Gesangsunterricht zu nehmen. Doch zwei Monate später ist mein Vater im Schlaf an einem Herzinfarkt gestorben! Da war natürlich alles aus. Es kam eine ganz, ganz schwere Zeit. Ich mußte in einem Verlag arbeiten. Aber Professor Thöny hat mich trotzdem als Schülerin behalten und ich habe fünf Jahre lang mit ihm gearbeitet und habe ihm aufs Wort gefolgt. Und er hat mir alles erklärt, was auf der Bühne passiert und wie man die Stimme behandelt. Und die Stimme, bis auf zwei Mal, hat sie mir wirklich 45 Jahre lang die Treue gehalten.

AJL. Ihre Karriere begann ja dann mit einem doppelten Donnerschlag: eben noch Sekretärin in einem kleinen Verlagshaus in Graz, und dann plötzlich Vorsingen gleich vor den ganz Großen der damaligen Opernwelt. Sie waren 22 Jahre alt. Wie kam denn das zustande und war das nicht etwas überwältigend?


GJ.Ich hatte 1959 von der Richard-Wagner-Gesellschaft in Graz ein Stipendium bekommen, um drei Vorstellungen in Bayreuth zu besuchen. Ich habe dort acht Tage in der Jugendherberge gewohnt. Die Wagner-Aufführungen waren eine unglaubliche Erfahrung für mich. In einer Pause traf ich zufällig den Kapellmeister Alfred Walter, den ich aus Graz kannte, und der mich sofort bestürmt hat, unbedingt in Bayreuth vorzusingen. Na ja, ich hatte ja überhaupt nichts zu verlieren und so habe ich vor Wolfgang und Wieland Wagner und Walter Legge aus dem Freischütz Agathe und aus dem Figaro die Gräfin vorgesungen. Kaum war ich zu Ende, da wurde ich schon gefragt, ob ich im nächsten Jahre ein Blumenmädchen und einen Edelknaben in Lohengrin singen würde. Da ist mir schon ein bißchen schwummerig geworden!

Doch dann bin ich wieder zurück nach Graz. Ich muß dazu sagen, ich war damals in einer nicht sehr guten seelischen Verfassung, denn meine Mutter war nun auch gerade gestorben. Ich bin also zurück in mein Büro im Verlag. Und da kam im September ein Anruf vom Albert Moser von der Staatsoper, er hätte mich schon überall gesucht, denn der Herr von Karajan wolle mich unbedingt hören, ich solle nach Wien kommen. Da ist mir allerdings wieder etwas schwummerig geworden! In Wien bin ich also zur Staatsoper marschiert und auf die Bühne. Alles war ganz dunkel, auch der Zuschauerraum, und da fragte plötzlich eine Stimme aus dieser Dunkelheit: „Was wollen Sie singen?“ Ich hab Butterfly und noch etwas anderes gesungen. Als ich zu Ende war, hat diese Stimme dann gesagt: „Kommen Sie herunter!“ Es ging da so ein Steg über den Orchestergraben – und plötzlich stand ich vor Karajan. Es war… na ja, das kann man sich heute ja gar nicht mehr vorstellen. Es war, wie wenn der liebe Gott heruntergestiegen wäre! Er hat er mich angeschaut und hat gesagt: „Wenn Sie mir versprechen, richtig zu arbeiten, nehm‘ ich Sie mit in die Welt! Alles andere machen die Herren hier!“ Und weg war er.

AJL. Unwahrscheinlich!

GJ.Ja, es war so unglaublich, fast unwirklich!

AJL. Die darauffolgende Zusammenarbeit mit Karajan muß ja musikalisch sicherlich ungemein bereichernd, aber persönlich manchmal etwas schwierig gewesen sein?

GJ.Schwierig mit ihm zusammen zu arbeiten? Nein, überhaupt nicht! Aber ich muss dazu sagen: ich habe ihn Jahrzehnte lang gegen Vorurteile verteidigt, von Menschen, die ihm nie begegnet sind und nie mit ihm gearbeitet haben. Und das dauert an bis auf den heutigen Tag. Sicherlich, er war unerreichbar, und zwar auch menschlich oder persönlich. Aber er war immer höflich. Ich habe ihn nie unhöflich gesehen. Er war nie laut. Aber er hatte halt eine Reservewand vor sich.

AJL. Er war immer korrekt.

GJ.Immer korrekt! Und immer liebenswürdig! Immer!

AJL. Und dann kam der Anfang an der Wiener Staatsoper.

GJ.Ja, und da war für mich alles neu! Ich war vorher in Graz in die Oper gegangen, für einen Schilling auf den Stehplatz. Und hab dort viel gesehen, aber vieles auch nicht. Und plötzlich steht man dann auf der Bühne der Wiener Staatsoper! Ich habe ja am Anfang bei vielen Opern mitgewirkt, die ich gar nicht kannte. Ja, so hat es dann angefangen.

AJL. Und 1963, glaube ich, kam dann die Pamina in jener Star-Besetzung von Mozarts ‚Zauberflöte‘ unter Otto Klemperer.

GJ.Ja, nach der Zauberflöte in Aix-en-Provence im Sommer 1963 kam diese Aufnahme unter Klemperer zustande. Die war sehr schön.

AJL.1964 haben Sie dann die Ilia in Mozarts Idomeneo‘ in Glyndebourne gesungen, neben einem damals noch recht unbekannten Tenor namens Luciano Pavarotti. Haben Sie in der Folge noch öfters mit ihm zusammengesungen?

GJ. Ja, in Salzburg waren wir dann noch im Rosenkavalier zusammen, er hat dort den Sänger gesungen. Und irgendwo habe ich ihn dann noch einmal getroffen. Ein ganz liebenswerter Mensch!

AJL. 1967 entstand die wundervolle Aufnahme von Haydns Jahreszeiten unter Karl Böhm. Sie hat auch heute nichts von Ihrer Schönheit verloren. Mit Karl Böhm verbindet Sie ja, daß Sie beide aus Graz stammen, hat das zu einer besonders engen Zusammenarbeit geführt?

GJ.Ich hatte ihn schon vorher kennengelernt in Bayreuth, als ich zur 100jährigen Grundsteinlegung unter seiner Leitung in Beethovens Neunter sang. Ja, Karl Böhm habe ich geliebt. Und er mochte mich auch. Wir haben uns sehr gut verstanden.

AJL. Eine weitere Etappe ist dann Ihre sehr bewegende Gräfin in Mozarts ‚Figaros Hochzeit‘ unter Sir George Solti in jener ebenfalls legendär gewordenen Inszenierung von Giorgio Strehler in der Pariser Oper, als Rolf Liebermann dort Generaldirektor war. Diese Inszenierung ging wohl bis zum Höchsten dessen, was man bei der Darstellung der historischen Verwirklichung des 18. Jahrhunderts erreichen kann, im Dekor, in den Kostümen, in der Gestik und im Spiel. Wie reagieren Sie im Gegensatz dazu auf die modernen Inszenierungen, die jetzt ja gang und gäbe geworden sind?

GJ.Also, als ich noch auf der Bühne stand, habe ich mich nicht daran gestoßen, solang es logisch war. Und auf das, was heute geschieht, darauf kann ich Ihnen gar keine Antwort geben, weil ich überhaupt nicht mehr in die Oper gehe, weil mich das Singen von anderen nie interessiert hat. Ich wollte ja singen. Für mich war nur wichtig, daß mit mir auf der Bühne ebenso gute oder noch bessere Sänger als ich standen.

AJL. Sie wollten ein durchwegs sehr hohes Niveau!

GJ.Ja, das war es! Aber ich muß noch etwas zu Giorgio Strehlers ‚Figaro‘ sagen. Diese Aufführung war ja wirklich ein Jahrhundert-Ereignis. Ezio Frigerio als Bühnenbildner und Strehler als Regisseur hatten diesen Figaro ja als erstes Konzept für das Theater in Versailles geschaffen, also für jenes Theater, das zur Hochzeit von Marie-Antoinette gebaut worden war. Und die Premiere wurde damals auch in Anwesenheit des Staatspräsidenten Georges Pompidou gegeben, und hat gedauert von 21.00 Uhr abends bis etwa 2.30 morgens. Denn nach dem zweiten Akt fand, wie in alten Zeiten, das große dîner für die Herrschaften statt, während wir uns in den Garderoben dieses Theaterchens über die Holzwände hinweg mit den Kollegen unterhielten. Wir saßen da, ich glaube, über drei Stunden zwischen dem zweiten und dem dritten Akt. Das war wirklich ancien régime! Nach Versailles sind wir dann mit diesem Figaro in die Pariser Oper, ins Palais Garnier, gezogen.

AJL. Und die Inszenierung selbst?

GJ.Also das Bühnenbild und auch die Beleuchtung hatte etwas ganz Besonderes: das Licht kam immer von links. Es begann unter dem Dach in Figaros und Susannes appartement, das war am frühen Morgen. Und dann ging es runter in die bel étage zur Gräfin, da stand die Sonne schon ein bisschen höher. Und dann ging es ins Parterre für den dritten Akt, bei Nachmittagsbeleuchtung, immer von links. Und der vierte Akt, nachts im Garten. Bei den vielen Figaros die ich erlebt habe, der einzige, der den vierten Akt glaubhaft machen konnte, war Strehler. Vorne war ein Parkett mit Blumen und hinten waren zwei Säulen auf beiden Seiten. Susanne trug ein hellblaues Brautkleid und einen hellblauen Mantel mit Kapuze und die Gräfin hatte ein unglaublich schönes, weinrotes Seidenkleid an, das aus dem Museum in Lyon von den Seidenwebern stammte. Und über diesem weinroten Staatskleid trug sie einen weinroten Seidenmantel. Und so sind dann Susanne und die Gräfin nach hinten durch das Säulentor abgegangen, und haben dahinter ihre Mäntel gewechselt, so daß niemand gemerkt hat, daß die Gräfin als Susanne wieder herauskam und umgekehrt, weil sie die Mäntel getauscht hatten. Sonst ist diese Szene ja immer etwas lächerlich und ich habe mich sonst dabei immer etwas geschämt. Einmal habe ich eine Vorstellung in Berlin gesehen, mit der kleinen Erika Köth und der großen Jessye Norman. Und wenn die Jessye Cangiando i miei vestiti con quelli di Susanna Ich wechsle meine Kleider mit denen von Susanna gesungen hat, da war das ein einziger Witz. Aber die Berliner verstehen ja kein Italienisch, da war es dann egal. Ja, das war also Figaro. Davon gibt’s übrigens einen wunderbaren Mitschnitt vom 14. Juli 1981.

AJL. Und schließlich möchte ich noch Ihre Leonore in Beethovens ‚Fidelio‘ in der Wiener Staatsoper 1978 unter der Leitung von Leonard Bernstein erwähnen.

GJ.Wissen Sie, ich bin jetzt alt genug und schade niemanden mehr damit. Jetzt erzähle ich mal meine Version von diesem Fidelio und dem Intrigenstadel drum herum: Es fing an: Ich hatte eine Einladung von Solti, in Chicago konzertant Fidelio zu singen. Weil ich ja Mitglied der Wiener Staatsoper war, habe ich also um Urlaub eingereicht, und war dann bei Solti im Wort. Doch dann hieß es auf einmal, ich kann den Urlaub doch nicht haben, weil die Wiener Staatsoper den Fidelio unter Bernsteins Leitung aufführt und ich soll die Leonore singen. Der Seefehlner, der Direktor der Wiener Staatsoper, hat darauf bestanden. Also ich habe mich hingesetzt und an Solti in Chicago einen Brief geschrieben, daß sich das so ergeben habe und ob er so nett wäre, mich aus dem Vertrag zu entlassen. Das hat er gemacht. Ich komme also zur ersten Probe mit Bernstein, und das war eine eiskalte Dusche – er wollte mich nicht. Er wollte Gwyneth Jones und war wie ein ungezogenes Kind und hat es an mir ausgelassen. Er hat mich nicht einmal angeschaut, er hat mir keine Einsätze gegeben – gar nichts!

AJL. Das ist doch nicht möglich?

GJ.Ja, das ist möglich! Und als dann nach dieser Serie von Aufführungen auch die Platte eingespielt wurde, bin ich irgendwann einmal zu ihm hingegangen und hab gesagt: „Können wir, bitte, den ‚Allegro-Teil der Ari noch einmal machen?“ Er hat mich gar nicht angehört. Überhaupt nicht! Dann kam aber der Berger, der erste Trompeter von den Wiener Philharmonikern und hat gesagt: „Herr Bernstein, dös müss ma‘ noch mol mochen. I hob mi do vagickst!“ Und nur so bekam ich dann doch noch die Chance, die Arie noch mal zu singen.

AJL. Und diese Fidelio Aufführung hat Ihr Verhältnis zu Karajan zerstört?

GJ. Da muß ich noch mal zurückspringen: Vier oder fünf Jahre vorher hatte mich Karajan gefragt, in Salzburg bei den Osterfestspielen Fidelio zu singen. Und das war noch zu früh für mich. Aber ich konnte nicht sagen: „Nein, das kann ich nicht!“ Sondern ich habe gesagt: „Herr von Karajan, kann ich Ihnen die Arie vorsingen?“ „Ja,“ hat er gesagt, „machen wir das.“ Also habe ich die Arie einstudiert und dann nach einer Probe – ich glaube es war Götterdämmerung – bin ich auf die Bühne und hab die Arie gesungen, wohlweislich nicht mit riesen Ausbrüchen, sondern wie ein schön getragenes Schubertlied. Und dann hat er mich zurückgerufen ins Parkett. „Sie sind schlau!“ hat er gesagt. „Sie haben mir gezeigt, daß es nicht geht.“ Da habe ich ihm geantwortet: „Sie haben mir so viel Vertrauen geschenkt, ich kann nicht sagen: ich mach es nicht. Ich wollt es Ihnen zeigen…“ Nein, nein,“ hat er gesagt, „behalten Sie dieses gute feeling.“ Also ich habe ihm die Leonore abgesagt. Ein paar Jahre später habe ich sie dann bei Bernstein gesungen. Kurz danach kam in Salzburg das Brahms Requiem unter Karajans Leitung zur Aufführung. Ich sang den Sopranpart. Sonst hat er mir beim Abschied immer gesagt: „Passen Sie gut auf sich auf!“, aber diesmal hat er mir die Hand geküsst und hat nur gesagt: „Leben Sie wohl!“ Das war sein Abschied an mich.

AJL: Und es war tatsächlich ein Abschied?

GJ. Ja! – Ja, es ist eben so!

AJL. Manche haben behauptet, daß Ihrer Stimme weitgehend das Vibrato fehle, was ihr aber andererseits jenen kristallklaren, fast engelhaften Glanz verleiht.

GJ.Ja! Gott sei Dank!

AJL. Der Meinung bin ich auch, aber andere wieder behaupten, daß das bei derInterpretation der großen Opern des 19. Jahrhunderts ein Mangel sei.

GJ.Wissen Sie, ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen, alles was den Stimm-Geschmack anbetrifft, ist jedem Menschen seine eigene Welt. Man kann nie jemandem sagen „Hör Dir das an, das ist großartig!“ Das geht nicht! Jeder hat eine andere Empfindung, hat andere Ohren, in dem Sinne, daß dem einen eben eine vibrato-reiche Stimme lieb ist, der andere sie nicht leiden kann. Dadurch ist ja auch diese große Stimmvielfalt möglich.

AJL. Welche Ratschläge würden Sie jetzt, nach ihrer langjährigen und vielseitigen Erfahrung, jungen Sängerinnen und Sängern mit auf den Weg geben?

GJ.Die Zeiten haben sich so unendlich geändert. Und zwar nicht nur gesangtechnisch. Die Technik hat die Jugend regelrecht überrollt! Ich hab selbst zwei Enkel, die wirklich toll sind, aber ohne smartphone und dieses ganze Zeug können sie ja gar nicht mehr leben. Alles hat sich so sehr verändert, dass auch in Wien die Leute die Oper gar nicht mehr kennen. Die alte Generation schon noch. Aber von den Jungen, außer sie studieren gerade, gehen die wenigsten noch in die Oper. Als ich Anfang der 60iger Jahre nach Wien kam, gab es noch ein Ensemble-Theater, haben sich die Leute in Opernzitaten unterhalten, es gab noch diese eingeschworenen Stehplatz-Klicken. Das ist ja alles weg. Ja, der Stehplatz ist auch heute noch voll, aber mit Japanern, Chinesen, Koreanern. Da hat sich alles geändert!

AJL. Also, finden Sie, Ratschläge zu geben, ist sehr schwer?

GJ.Ratschläge würde ich so und so nicht geben! Erfahrungen muß jeder selbst sammeln.

AJL. Aber sie haben früher Meisterklassen gegeben.

GJ. Ja, aber ich habe sie musikalische Dialoge genannt. Jetzt habe ich auch damit aufgehört.

AJL. Sie sind in Berlin geboren, in Graz groß geworden, haben dann eine internationale Karriere gemacht, wo fühlen Sie sich denn heute zu Hause.

GJ.Also ich fühle mich sehr als Österreicherin – mit einem Schuß preußischer Gründlichkeit, von meinen Eltern.

AJL. Und wenn sie heute auf Ihr Leben zurückblicken?

GJ.So tue ich es in Demut und Dankbarkeit.

AJL. Dann möchte ich Ihnen, liebe Frau Kammersängerin, denn auch für Ihre freundliche Aufnahme und für die Zeit danken, die Sie mir für dieses Gespräch zur Verfügung gestellt haben.

Anläßlich ihres Jubiläums besuchte Alexander Jordis-Lohausen Gundula Janowitz in ihrer Wohnung in Wien und dabei kam das folgende Gespräch zustande.

Bilder: Wikipedia

 

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