von Aribert Reimann (* 1936), Trilogie lyrique nach Maurice Maeterlinck, Libretto: der Komponist in Französisch
Regie: Vasily Barkhatov, Bühne: Zinovy Margolin, Kostüme: Olga Shaishmelashvili, Licht: Ulrich Niepel, Video: Robert Pflanz
Dirigent: Donald Runnicles, Orchester der Deutschen Oper Berlin
Solisten: Rachel Hamisch (Ursula/Marie/Ygraine), Annika Schlicht (Marthe/Bellangère), Seth Carico (der Vater), Stephen Bronk (Großvater/der Alte/Aglovale), Thomas Blondelle (der Onkel/der Fremde), Salvador Macedo (das Kind/Tintagiles), Tim Severloh, Matthew Shaw, Martin Wölfel (drei Dienerinnen der Königin), Ronnita Miller (Dienerin)
Besuchte Aufführung: 8. Oktober 2017 (Uraufführung)
Kurzinhalt
Die Handlung ist aus drei Maeterlinck-Dramen zusammengestellt.
- L’intruse – Der Eindringling
Großvater, Vater, Onkel, Ursule und ihre Schwestern warten auf einen Verwandten. Im Nebenzimmer liegt die Mutter im Kindbett im Sterben. Der blinde Großvater spürt die Ankunft einer Person, die niemand sieht. Als das Neugeborene seinen ersten Schrei ausstößt, stirbt die Mutter.
- Intérieur – Das Innere
Der Alte und der Fremde sehen durch das Fenster eines Hauses eine Familie. Im Dorf hat man die Leiche von deren Tochter gefunden, wovon die Familie noch nichts weiß. Marie und Marthe, die Enkelinnen des Alten, fordern ihn auf, ins Haus zu gehen, um es ihnen zu sagen, was er nach anfänglichem Zögern auch tut.
- La mort de Tintagiles – Der Tod Tintagiles’
Die Königin hat ihren Enkel Tintagiles in ihr düsteres Schloß holen lassen. Seine Schwestern Bellangère und Ygraine leben dort zusammen mit Aglovale, ihrem alten Vertrauten. Sie fürchten für das Leben Tintagiles’, weil seine Brüder verschwunden sind. Den drei Dienerinnen der Königin, einer Art Todesbotinnen, gelingt es, auch ihn mit sich zu nehmen.
Den düsteren Handlungen entspricht das karge Bühnenbild, eine Häuserwand, die sich vor und zurück verschieben und auf der linken Seite öffnen läßt, um z.B. den Blick ins Innere des Hauses im zweiten Teil freizugeben. Die Farben Grau und Schwarz dominieren und die Beleuchtung und animierte Videoprojektionen von Schatten geben dem Bühnenbild zusätzlich einen düsteren Anstrich. Die Kostüme der beiden ersten Teile sind im Stile der Nachkriegszeit gehalten. Der letzte Teil spielt in einem Krankenhaus. Es gibt neben den Sängern viele stumme Rollen. So öffnet sich kurz vor dem Ende der Oper, also kurz vor dem Tod von Tintagiles, die Häuserfront und man erkennt etliche Szenen mit toten Kindern, die durch Krieg, Unglück oder Selbstmord ums Leben gekommen sind.
Sänger und Orchester
Reimanns Musik ist auf die Stimme fokussiert. Er schreibt ausdrucksvolle Melodien, die nicht selten zu längeren Koloraturen auswachsen, und das Orchester ist trotz des Reichtums an Klangfarben und der anspruchsvollen, mitunter sich in Vierteltönen bewegenden Stimmführung dem Sänger dynamisch stets untergeordnet.
Dirigent Donald Runnicles stellte eine ausgewogene Balance zwischen Sängern und Orchester her, die ersteren stets den Vortritt läßt. Das Tempo bleibt durchweg gemächlich, was das breite Aussingen der Kantilenen ermöglicht. Reimanns Musik ist kurz gesagt sängergisch überaus dankbar. Wie in der traditionellen Oper sind einige Partien spektakulärer als andere. Die Sopranistin Rachel Hamisch, die in allen drei Teilen auftritt, hat als Ygraine diejenige Partie, die dem Sänger am meisten abverlangt. Ihre ausdrucksvollen und kraftvollen Passagen am Ende der Oper präsentierte sie wirklich souverän. Neben ihr hat der Mezzosopran Annika Schlicht als Bellangère eine musikalisch und dramatisch tragende Rolle, die sie ohne Probleme bewältigte. Dramatisch überaus effektvoll sind die von den drei Countertenören Tim Severloh, Matthew Shaw und Martin Wölfel gesungenen drei Dienerinnen, die stets als Gruppe auftauchen und bereits im ersten Teil akustisch ins Spiel kommen.
Stephen Bronk (Großvater/der Alte/Aglovale) spielt in allen drei Teilen eine dramatisch und musikalisch tragende Rolle, die auf Zurückhaltung und Würde des Charakters setzt, und die er gut ausfüllen vermochte. Der einzige Kritikpunkt an der Leistung der Sänger ist die oft mangelnde Textverständlichkeit. Inwieweit hieran jedoch die musikalische Faktur einen Anteil haben könnte, wäre näher zu eruieren. Die symbolistische dramatische Handlung ergeht sich über weite Strecken in Andeutungen, d.h. die Aktionen der Darsteller bleiben generell eher dezent und verhalten. Lediglich am Ende der Oper ist etwas mehr an dramatischem Ausdruck gefordert.
Fazit
Reimanns Oper ist ein kompaktes und in dieser Inszenierung überaus suggestives Werk. Neben musikalischen und dramatischen gibt es auch eine Vielzahl bühnenbildnerischer Querverbindungen zwischen den drei Teilen, die in dieser Form als eine Variation über das Thema Familie, Kinder und Tod erscheinen. Die Personenführung ist stringent, die Gestaltung der Bühne ansprechend und die Qualität der musikalischen Darbietungen überragend. Das gilt für Orchester und Sänger gleichermaßen. Vor ausverkauftem Haus ließ sich der Komponist für seine neunte Oper feiern. Den Besucher dieser Produktion erwartet ein starkes Opernerlebnis.
Dr. Martin Knust
Bild: Bernd Uhlig
Das Bild zeigt: Rachel Hamisch (Ursula/Marie/Ygraine), Annika Schlicht (Marthe/Bellangère), Thomas Blondelle (der Onkel/der Fremde)