von Leonard Bernstein (1918-1990), Operette/Musical in zwei Akten: Libretto: Hugh Wheeler nach Voltaires Candide, Neufassung: John Caird; UA: 1. Dezember 1956 (Erstfassung) New York, Martin Beck Theatre; UA: 13. April 1999 London, Royal National Theatre der Neufassung von John Caird
Regie: Marco Štorman, Bühne: Jil Bertermann, Kostüme: Bettina Werner, Licht: Christian Kemmetmüller, Choreographie: Alexandra Morales
Dirigent: Christopher Ward, Bremer Philharmoniker, Chor des Theaters Bremen, Einstudierung: Alice Meregaglia
Solisten: Christian-Andreas Engelhardt (Candide), Nerita Pokvytytė (Cunegonde), Birger Radde (Maximilian), Paquette (Irina Dziashko), Nathalie Mittelbach (The Old Woman), Moritz Löwe (Voltaire; Sprechrolle), Holger Bülow (Pangloss; Sprechrolle), u.v.a.
Besuchte Aufführung: 14. Oktober 2017 (Premiere)
Candide, ein Bastard des westfälischen Barons Thundertentronck, wird von seinem Lehrer Pangloss zum Optimisten erzogen und glaubt, in der besten aller Welten zu leben. Er wird aus dem Schloß des Barons vertrieben, als er ankündigt, die Baronesse Cunegonde heiraten zu wollen. Von nun an widerfahren ihm, Pangloss und Cunegonde eine Reihe wilder Abenteuer. Candide wird Soldat, desertiert und wird brutal bestraft. Er reist mit Pangloss nach Lissabon, wo nach dem großen Erdbeben ein Autodafé stattfindet, bei dem auch Pangloss hingerichtet wird. Candide trifft dort auf Cunegonde, die zugleich die Kurtisane des Großinquisitors und eines reichen jüdischen Kaufmanns ist. Er tötet beide und flieht mit Cunegonde und der alten Frau über Spanien nach Amerika, wo sie El Dorado entdecken und sich wieder aus den Augen verlieren. Nach weiteren aberwitzigen Wendungen der Geschichte findet Candide Pangloss und Cunegonde in Europa wieder. Er hat seinen Glauben an den Optimismus verloren und läßt sich mit Cunegonde auf einem kleinen Stück Land nieder.
Aufführung
Das Bühnenbild besteht im wesentlichen nur aus einem großen, zerlegbaren und verschiebbaren Spiegel, der die gesamte Bühne ausfüllt. Es sind die häufigen Kostümwechsel, mit deren Hilfe die zahlreichen Ortswechsel angedeutet werden. Die Kostüme der Darsteller sind, wie die Handlung und die Musik dieses zwischen Operette und Musical stehenden Werks, sehr bunt, teilweise schrill. So tritt der Chor der Portugiesen bei dem Autodafé in glänzenden, goldenen Kutten auf, Candide und Cundegonde schlüpfen vor ihrer Reise in die Neue Welt in Astronautenanzüge, die alte Frau tritt in einem Kostüm auf, das gut zum Karneval in Rio passen würde usw. Der Chor singt sowohl auf und hinter der Bühne, als auch in den Proszeniumslogen oder im Zuschauerraum.
Sänger und Orchester
Christian-Andreas Engelhardt liefert in der Titelrolle eine sehr gute sängerische Leistung ab. Seine wie auch die englische Aussprache der übrigen Sänger ist gut verständlich. Stellenweise wird seine Stimme im zweiten Akt über Mikrophon verstärkt oder verfremdet. Als Darsteller ist er ein wenig unbeweglich. Nathalie Mittelbach (The Old Woman) verfügt über eine volltönende Mezzosopranstimme und starke Bühnenpräsenz.
Nerita Pokvytytė landet als Cunegonde mit ihrer Parade-Arie Glitter and Be Gay – Funkele und sei heiter, deren Ausdruck brüsk zwischen Euphorie und Selbstzerstörung wechselt, einen gesanglichen Volltreffer. Bei dieser Arie handelt es sich neben der Ouvertüre um die bekannteste Nummer des ganzen Stücks.
Der Orchesterpart ist überaus abwechslungsreich instrumentiert. Neben den klassischen Instrumenten kommen ein erweitertes Schlagwerk zum Einsatz und die Musiker haben nicht nur anspruchsvolle Soloparts zu bewältigen, sondern dem Ganzen auch rhythmischen Schwung zu verleihen. Klangliche Strukturen, Orchestration, Ausdruck und Tempo wechseln ständig, abrupt und in schneller Folge. Die Bremer Philharmoniker unter Christopher Ward hatten mit dieser Aufgabe keinerlei Probleme. Auch die Einsätze des Chores, der kraftvoll und bestimmt auftrat, wie diejenigen der Solisten saßen rhythmisch tadellos. Neben den genannten Sängern sind die Sprechrollen des Voltaire, gespielt von Moritz Löwe, und Pangloss, gespielt von Holger Bülow, tragend für die Handlung. Beide Schauspieler füllten ihre Rollen aus und trugen ihre kurzen Gesangsparts gekonnt humoristisch vor.
Fazit
Es ist schwer, die Leistung der Regie, Musiker und Schauspieler angemessen zu beurteilen, ohne kurz auf die dramaturgischen Probleme dieses Stückes einzugehen. Voltaires Satire mit ihrer z.T. absichtlich absurd gehaltenen Handlung auf die Bühne zu bringen, ist eine enorme Herausforderung, wovon auch die verschiedenen Umarbeitungen dieser Musical-Operette zeugen, die Bernstein hinterlassen hat. Die in Bremen gespielte Fassung strafft den zweiten Akt, der aber in seiner zweiten Hälfte ohne die Kenntnis von Voltaires Roman Candide nicht recht verständlich ist. Die Handlung zerfasert hier.
Der Buntheit, ja, Buntscheckigkeit des Librettos und Musik steht die Bremer Inszenierung in nichts nach. Herausgekommen ist eine Produktion, die im besten Sinne unterhaltend, spektakulär und abwechslungsreich ist. Marco Štorman ist es gelungen, die farbigen, schmissigen Klänge der Partitur ins Visuelle zu übertragen und den Darstellern trotz der mitunter hektischen Wechsel der Schauplätze und Gefühle genug Raum zu geben, um ihre Figuren mit Leben zu füllen. Der ironisch-sarkastische Grundton des Romans bleibt allgegenwärtig und das ‚schwere’ Thema des Buches – die Frage, ob die Welt als solche gut oder schlecht ist – wird mit einer Operette angemessenen Leichtigkeit präsentiert. Den Zuschauer erwartet eine musikalisch-dramatische Achterbahnfahrt, bei der garantiert keine Langeweile aufkommt.
Dr. Martin Knust
Bild: Jörg Landsberg
Das Bild zeigt: Birger Radde (Maximilian), Christian-Andreas Engelhardt (Candide), Moritz Löwe(Voltaire; Sprechrolle)