von Guiseppe Verdi (1813-1901), grand Opéra in fünf Akten (Fassung 1866), Libretto: Joseph Méry und Camille du Locle nach Friedrich von Schiller Don Karlos, UA: 11. März 1867, Paris, Opéra, Salle de la rue Le Peletier.
Regie: Krzysztof Warlikowski, Bühne/Kostüme:Małgorzata Szczęśniak, Licht: Felice Ross, Video: Denis Guéguin, Choreographie: Claude Bardouil, Dramaturgie: Christian Longchamps.
Dirigent: Philippe Jordan, Chor und Orchester de l’Opéra National de Paris, Choreinstudierung: José Luis Basso.
Solisten: Ildar Abdrazakov (Philipp II.), Jonas Kaufmann (Don Carlos), Ludovic Tézier (Rodrigue), Dmitry Belosselskiy (Der Grossinquisitor), Sonya Yoncheva (Élisabeth de Valois), Elīna Garanča (Die Prinzessin Eboli) u.a.
Besuchte Aufführung: 19. Oktober 2017
Vorbemerkung
Don Carlos – Verdis französische grand opéra. Weitgehend verschwunden sind die mitreißenden südlichen Melodien, zu Ende der Triumpf im Dreivierteltakt. Verdis Musik hat düstere tragische Züge angenommen, ist polyphoner geworden. Die Führung der melodischen Linie ist weiterreichend. Berlioz ging so weit zu behaupten: Verdi ist keine Italiener mehr. Er macht Wagner… Verdi hat noch verschiedene italienische Versionen der Oper geschrieben, aber keine scheint ihn ganz zufrieden gestellt zu haben. Trotz alledem hat sich dieses erstaunliche Meisterwerk auf Grund seiner immer aktuellen Thematik und der großartig düsteren melodischen Schönheit bis heute erfolgreich auf den internationalen Bühnen gehalten.
Der Kronprinz Don Carlos von Spanien und Elisabeth de Valois von Frankreich, die sich bei ihrem ersten Zusammentreffen ineinander verlieben, sollen heiraten. Doch König, Philipp II. hat aus Staatsgründen beschlossen, Elisabeth von Valois selbst zu ehelichen. Don Carlos ist untröstlich. Sein Jugendfreund Rodrigue rät ihm als Gouverneur nach Flandern zu gehen und dort seine Liebe und sein Unglück zu vergessen. Ein Abschiedstreffen mit der Königin vergrößert nur seinen Schmerz.
Als der König Rodrigue zufällig kennenlernt, ist er beeindruckt von der Offenheit und der Weitsichtigkeit des jungen Granden. Die Hofdame der Königin, Prinzessin Eboli liebt Don Carlos, aber schwört Rache, als sie merkt, daß seine Gefühle nicht ihr, sondern der Königin gelten.
Anläßlich eines Autodafés bittet Don Carlos um Milde für die protestantischen Flamen. Der König winkt ab: Ketzer müssen bestraft werden. Als Don Carlos den Degen zieht, entwaffnet ihn Rodrigue. Der Prinz, der in seinem Freund nun einen Verräter sieht, wird abgeführt. Der Großinquisitor verlangt vom König, daß er Rodrigue an die Inquisition ausliefere, weil er ihn für den eigentlichen Aufwiegler der Flamen hält. Philipp II. wagt nicht zu widersprechen, obwohl Rodrigue der einzige Mensch ist, zu dem er Vertrauen gefaßt hat.
Prinzessin Eboli hat eine Schatulle der Königin dem König zugespielt, in der er Don Carlos‘ Portrait findet. Außer sich vor Schmerz und Eifersucht beschuldigt er seine Gemahlin der Untreue, sie beteuert ihre Unschuld und fällt in Ohnmacht. Rodrigue und die Prinzessin Eboli stürzen herein. Letztere bittet die Königin um Vergebung für die Intrige, die sie aus Eifersucht angezettelt hat. Elisabeth vergibt ihr die Intrige, nicht aber, das Geständnis, daß sie die Geliebte des Königs sei.
Rodrigue sucht Don Carlos im Gefängnis auf und berichtet, er habe alle kompromittierenden Dokumente zu sich genommen, um seinen Freund zu entlasten. Er bestürmt ihn nochmals als Gouverneur nach Flandern zu fahren, um das Schicksal der dortigen Bevölkerung zu mildern. Noch im Gefängnis wird Rodrigue von einem von der Inquisition gedungenen Mörder erschossen. Der König will nun seinem Sohn verzeihen und ihn wieder in seine Rechte einsetzen, aber dieser wirft ihm den Mord an Rodrigue vor. Im Kloster, in das Elisabeth sich zurückgezogen hat, verabschiedet sich Don Carlos von ihr, bevor er nach Flandern aufbricht. Der König überrascht sie und übergibt wütend seinen Sohn dem Großinquisitor. Doch bevor man ihn abführen kann, führt ihn ein unbekannter Mönch ins nahe Grabmal Karls V.
Aufführung
Das Gehaben der königlichen Familie und ihres Hofstaats stehen – mit Ausnahme der Figur des Rodrigue – der menschlich-schwachen Darstellung eines Goya näher als der hoheitsvoll-unnahbaren eines Velazquez. Das Bühnenbild wird manchmal verändert. So werden die königlichen spanischen Gärten zu einer modernen Turnhalle, in der die Hofdamen, alle in weißen Fechtanzügen sich im Florettfechten üben. Sonst ist die Bühne karg: wenig Möbel oder Requisiten in einem großen, holzgetäfelten Raum. Große Gitterkäfige hinterlassen einen Eindruck der Beklemmung, des Eingesperrtseins. Die Kostüme sind zeitgenössisch oder zeitlos, die Uniformen von um 1866, die Glitzerabendkleider der Hauptdarstellerinnen farbenprächtig. Eine Galerie von Prunkhüten in der Szene des höfischen Festes. Im Großinquisitor mit Glatze und dunklen Brillen darf man wohl ein Jaruzelski-Trauma des polnischen Regisseurs vermuten
Sänger und Orchester
Jonas Kaufmann, der offensichtlich den Vollbesitz seiner Stimme wiedergewonnen hat, singt mit betörendem Timbre den unglücklichen Don Carlos, wie in der Romanze Je l’ai vu, et dans son sourire gleich im ersten Akt. Sonya Yoncheva bietet mit vibratoreichem, vollem Sopran eine emotionelle, leidenschaftliche und sinnliche Elisabeth de Valois, strahlend, wenn sie singt Ah! je tremble encor, mais non d’effroy im Liebesduett des ersten Akts und ergreifend in der großen Arie der Todessehnsucht Beaux jardins espagnols, à l’heure pâle et sombre im letzten Akt.
Elīna Garanča spielt überzeugend die schöne, verführerische Prinzessin Eboli und singt in den hohen wie in den dunklen tiefen Lagen mit bewundernswert beherrschten Mezzo. Bezaubernd leicht spielt sie mit ihrer Stimme wie auf einem Instrument im Sarazenenlied: Au palais des fées, des rois grenadins (2. Akt, 2. Bild). Und zeigt große Gesangskunst in der Arie Ah! Je ne verrai plus la Reine! (4. Akt, 1. Bild).
Es ist immer ein besonderes Vergnügen die gediegene, wohlklingende, von der Textur her warme, schön timbrierte Stimme Ludovic Téziers zu hören. Hier ist er Rodigue sehr eindrucksvoll im Duett mit Don Carlos Carlos C’est mon jour suprême! (4. Akt, 2. Bild). Ildar Abdrazakov als der eifersüchtige Philipp II. großartig in der tragischen Arie Elle ne m’aime pas (4. Akt, 1. Bild).
Dmitry Belosselskiy singt mit tiefem orgelndem Baß den Großinquisitor. Die Diktion der Sänger war auffallend gut. Mit guten Sängern in den Nebenrollen und einem besonders kraftvollen Chor ist es ein hervorragendes Ensemble! Philippe Jordan hält dieses Ensemble souverän zusammen und läßt alle Feinheiten der Partitur, vor allem auch in den Holz- and Blechbläsern, voll zur Geltung kommen
Fazit
In Krzysztof Warlikowskis Inszenierung muß man kleine Indizien suchen um zu verstehen, daß er die Handlung verändert hat. So verraten nur die beiden verbundenen Handgelenke und das trostlose Kostüm des barfüßigen Don Carlos, daß der Anfang der Oper ihr Ende ist. Nicht im Garten von Fontainebleau, sondern als Gefangener im Kloster von St. Yuste erinnert sich Don Carlos, der eben Selbstmord versucht hat, in einem flash-back an das erste verliebte Zusammentreffen mit Elisabeth. Ebenso zeigt nur eine kleine Geste mit einer Phiole an, daß sich Elisabeth am Ende der Oper mit Gift den Tod gibt.
Die Inszenierung ist nicht genial, aber vertretbar. Nur die beharrliche Video Bespülung der ganzen Bühne wirkt überflüssig und störend. Die musikalische Darbietung dagegen ist von seltener Intensität auf ganz hohem Niveau. Eine sehr denkwürdige Aufführung. Es gab viel und anhaltenden Applaus.
Alexander Jordis-Lohausen
Bild: Agathe Poupeney, OnP
Das Bild zeigt in Akt 3, Bild 2 das Autodafé – Glaubensgericht, li. Jonas Kaufmann (Don Carlos) mit Degen, re. Ildar Abdrazakov (Philipp II.)