Oper von Nicola Antonio Porpora (1686-1768), Libretto: Colley Cibber, UA: 24. Januar 1736 London, Covent Garden
Regie: Jacopo Spirei, Bühne: Madeleine Boyd, Kostüme: Sarah Rolke, Licht: Wolfgang Philipp
Dirigent: Felice Venanzoni, Statisterie des Theaters und Orchesters Heidelberg, Philharmonisches Orchester Heidelberg
Solisten: David DQ Lee (Mitridate), Ray Chenez (Sifare), Yasmin Özkan (Semandra), Shahar Lavi (Farnace), Katja Stuber (Ismene), Zachary Wilson (Archelao), Seung Kwon Yang (Arcante), Xiangnan Yoo (Oraculo)
Besuchte Aufführung: 29. November 2017 (Premiere)
Alljährlich lädt das Theater Heidelberg zum Barockfest Winter in Schwetzingen, das neben vielen Konzerten auch stets eine Oper zur Aufführung bringt. Meistens handelt es sich um unbekannte und selten gespielte Barockoper, die der Besucher ansonsten kaum erleben kann. Seit einigen Jahren widmet man sich den Werken der neapolitanischen Schule des frühen 18. Jahrhunderts. So waren u.a. bereits Opern von Alessandro Scarlatti, Tommaso Traëtta und Niccolò Jommelli zu hören. Nicola Porporas Mitridate entstand 1736 in London, wo er die besten Sänger seiner Zeit zur Verfügung hatte. So zieht Porpora nicht zuletzt wegen seines berühmten Rivalen Georg Friedrich Händel alle Register, um seine Sänger zu künstlerischen Glanzleistungen und seine Zuhörer zu Begeisterungsstürmen hinzureißen.
Kurzinhalt
König Mitridate von Pontos hat es nicht leicht: der Vater von zwei Söhnen, Farnace und Sifare, hat sich mit der schönen Ismene verlobt, als ihn plötzlich die Zuneigung zur Verlobten seines Sohnes Sifare ergreift. Um Ismene nicht ehelichen zu müssen, manipuliert er das Hochzeitsorakel und erklärt die Verbindung für ungültig. Der unglücklich in Ismene verliebte Farnace wittert seine Chance und macht ihr Avancen. Da er jedoch seinen Vater vom Thron stoßen will, lehnt sie empört ab und erzählt Mitridate von der Intrige. Als die Aufstände gegen Mitridate zunehmen, nimmt dieser aus Verzweiflung ein Gift und bekommt in seinen letzten Atemzügen mit, dass Sifare die Römer vernichtend geschlagen hat.
Aufführung
Den Zuschauer erwartet ein schlichtes Bühnenbild, das mit wenigen Mitteln auskommt und der Handlung einen würdigen Rahmen verleiht: Schauplatz ist das Atrium einer Oströmischen Villa, in welches ein steinerner Altar wie ein Meteor durchs Dach eingeschlagen hat. Dieser fungiert teils als Altar – wie z.B. in der Orakelszene zu Beginn – oder auch als ein mit Rosen bestreutes Ehebett. Im zweiten Teil (die Pause findet in der Mitte des zweiten Aktes statt) ist der Schauplatz ein kriegerischer geworden. Die Rückwand des Atriums ist herausgesprengt, im Hintergrund sieht man ein kühles Metallgitter und der Fußboden ist mit paarweisen Lederstiefeln gesäumt. Häufiges Requisit bei Akteuren und Statisten sind Maschinengewehre. Als witzige, sinnreiche Pointe überreicht der sterbende Mitridate, Inhaber und Träger des „Goldenen Maschinengewehrs“, selbiges seinem Sohn.
Sänger und Orchester
Wo im Heidelberger Orchester früher manche Musiker mit historischen Instrumenten hantierten, ist man mittlerweile zu einem traditionellen Klang auf heutigen Instrumenten mit barocker Akzentuierung zurückgekehrt. Dies erinnert an barocke Einspielungen der siebziger Jahre, erbringt aber einen weichen und warmen Klang, der völlig auf Überinterpretation und Andersmacherei verzichtet.
Unter der Leitung von Felice Venanzoni bekommt das Orchester nicht zuletzt dank der guten Akustik des Schwetzinger Theaters einen flexiblen und transparenten Klang, der in schönem Wechselspiel mit den Sängern steht. Zuallererst ist die Titelpartie des Mitridate mit David DQ Lee zu nennen, zweifellos der erfahrenste Countertenor an diesem Abend. Sein Timbre ist rund, geschmeidig und technisch ausgereift. Die Stimme liegt angenehm auf dem Orchester und findet sich in Solo- wie in den zahlreichen Ensemblenummern gut zurecht.
Ray Chenez in der Partie des Sifare hat zwar eine blendende Technik, vor allem was die Beherrschung virtuoser Partien angeht, doch leider trägt seine Stimme herzlich wenig und scheint stark im Körper des Sängers verhaftet. Als strahlender Held hätte man gerade von dieser Partie erhofft, er würde sein Heldentum trompetenhaft von der Bühne herab schmettern anstatt ständig vom Orchester übertönt zu werden. Die kleinste Partie hatte Seung Kwon Yang aus dem Heidelberger Opernchor als Arcante. Man hört sofort, daß er als einziger Sänger dieses Abends in Italien studiert hat. Zwar hat er „nur“ Rezitative zu deklamieren, diese überragen jedoch an rhetorischem Schliff und Präzision alle anderen Partien, da er mit federndem Rhythmus auf alle sanglich-affektieren Elemente verzichtet und erfreulicherweise dem deklamierten Wort seinen ursprünglichen Wert zurückgibt.
Im Gegensatz dazu erscheint Shahar Lavi in der Partie des Farnace. Zwar steht der Sängerin ein warmes dunkles Timbre zur Verfügung, doch leider überwiegt hier der reine Klang gegenüber jeglicher Textverständlichkeit. Die Interpretation ihrer Partie scheint von einem rein instrumentalen Standpunkt erdacht und erarbeitet zu sein, was leider den Wert ihrer Arien und ausdrucksstarken Accompagnato-Rezitative schmälert. Katja Stuber tritt in ihrer Partie der Ismene leider nur wenig in Erscheinung. Ihre Klagearie meistert sie eindrucksvoll, wenn auch etwas brav, auch springt an zentralen Punkten das Pathos des Affektes nicht immer auf den Zuhörer über. Die ebenfalls anspruchsvolle Partie der Semandra wird von Yasmin Özkan interpretiert. Sie verfügt über eine solide Koloraturtechnik, die allen Anforderungen gerecht wird. Allerdings ist das Volumen dieser am Anfang ihres Künstlerlebens stehenden Sängerin streckenweise noch sehr dünn und hart. Die in vielen Fällen von Porpora im Orchester grundierten Affekte finden auf gesanglicher Ebene daher leider nur teilweise Widerhall.
Fazit
Porporas Mitridate ist ein kurzweiliges Werk, in welchem der Komponist durch zahlreiche Accompagnati, den Wechsel zwischen kurzen Arietten und ausgedehnten Arien, mit oder ohne Da Capo-Arien die Handlung in den entsprechenden Augenblicken zu be- und entschleunigen weiß. Der Besucher kann dem ihm völlig unbekannten Stück gut folgen, auch wenn man bei der Konzeption des Programmheftes sträflicherweise auf eine Auflistung der einzelnen Nummern der Sänger (Arien und Accompagnati) verzichtet hat und den Opernfreund bei der Orientierung innerhalb des Stückes im Dunkeln läßt. Wenn man in Heidelberg nachhaltig auf professionellem Niveau Interesse an unbekannten Opern vermitteln will, sollte man auch solche Dinge bei künftigen Neuentdeckungen bedenken.
Daniel Rilling
Bild: Sebastian Bühler
Das Bild zeigt: Semandra (Yasmin Özkan), Sifare (Ray Chenez), Mitridate (David DQ Lee)