La Bohème – Paris, Opéra Bastille

von Giacomo Puccini (1858-1924), Oper in vier Akten, Libretto: Guiseppe Giacosa und Luigi Illica nach Henri Murgers Roman Scènes de la vie de bohème, UA: 1. Februar 1896 Turin, Teatro Regio,

Regie: Claus Guth, Bühne: Etienne Pluss, Kostüme: Eva Dessecker, Licht: Fabrice Kebour, Video: Arian Andiel, Dramaturgie: Yvonne Gebauer, Choreographie: Teresa Rotemberg

Dirigent: Gustavo Dudamel, Orchester und Chor und Kinderchor der Opéra National de Paris, Maîtrise de Hauts-de-Seine, Choreinstudierung: José Luis Basso

Solisten: Sonya Yoncheva (Mimi), Aida Garifullina (Musetta), Atalla Ayan (Rodolfo), Artur Ruciński (Marcello), Alessio Arduini (Schaunard), Roberto Tagliavini (Colline), u.a.

Besuchte Aufführung: 1. Dezember 2017 (Premiere)

Kurzinhalt

  1. Akt. Vier Freunde feiern in einer Künstlerbude feuchtfröhlich Weihnachten. Als sie anschließend im Quartier Latin bummeln gehen, bleibt nur Rodolfo zurück. Er lernt seine Nachbarin Mimì kennen, und es ist Liebe auf den ersten Blick. Sie ist krank, ihre Hand eiskalt.
  2. Akt. Einige Wochen später, als der Freundeskreise sehr animiert im Café Momus beisammensitzt, entdeckt Marcello seine einstige Freundin, die kokette Musetta, die ein Walzerlied singt. Die alte Liebe flammt wieder auf. Musetta kehrt in Marcellos Arme zurück.
  3. Akt. Einige Wochen später, sucht Mimì bei Marcello nach Rodolfo. Sie belauscht ein Gespräch der beiden, worin Rodolfo erklärt, daß er sich für Mimìs Krankheit verantwortlich fühlt. Als er Mimì entdeckt, schwören beide, zusammen zu bleiben.
  4. Akt. Die vier Freunde feiern fröhlich in Rodolfos und Marcellos Bude, und fragen sich, was wohl aus Mimì und Musetta geworden ist, die sie seit langem verlassen haben. Atemlos tritt Musetta ein und kündigt die sterbenskranke Mimì an. Die jungen Männer tun alles, um Mimì zu helfen. Zärtlich bettet Rodolfo sie auf ein Lager, aber sie stirbt in seinen Armen.

Aufführung

Bei Carl Guth und seinem Team ist die Handlung der Oper ein Traum der verlorenen Jugend in der Erinnerung von vier Astronauten, die in einer defekten Raumstation dem Tod entgegensehen. Durch Video-Spruchbänder wird das Publikum am Anfang eines jeden Akts über die Lage unterrichtet. Am Anfang ist sie bedenklich, dann bedrohlich, darauf verzweifelt und schließlich hoffnungslos. Die Szene ist im ersten Teil das Innere der Raumstation, im zweiten eine Mondlandschaft mit den Trümmern der Raumstation nach einer Bruchlandung. Die Kostüme: Astronauten-Outfits für die vier Freunde, ein einfaches dreiviertel langes Kleid, rot zuerst, dann weiß im letzten Akt für Mimì, die wie eine Nachtwandlerin über die Bühne geht. Musetta ist dagegen sehr vif und modisch chic mit schwarz-lila Mantel und schwarzem Cocktailkleid, sehr einleuchtend als Femme fatale in ihrem Verführungstanz in der Gold- Rotunde im zweiten Akt. Die übrigen Kostüme sind meist schwarz – wirkungsvoll gegen den weißen Hintergrund der Raumstation – wie die Orangen jonglierenden Kellner in der Jahrmarkt ähnlichen Bistroszene, oder der Kinderchor als schwarze Wichtel mit Zipfelmützen.

Sänger und Orchester

Sonya Yoncheva, die uns erst kürzlich als Elisabeth in Don Carlos beglückt hat, ist hier mit demselben klanglichen Reichtum und sanfter Mezza voce eine bewegende Mimì, gleich eingangs in Mi chiamano Mimì (1. Akt) und besonders in der Schlußszene im zweiten Akt. Ihr gegenüber Atalla Ayan mit romantischem Tenor und leuchtendem Timbre als Rudolfo. Besonders eindringlich in der Arie Che gelida manina und im anschließenden im Duett mit Mimì O soave fanciulla im ersten Akt.

Aida Garifullina singt und spielt berückend mit leichter, beweglicher, hervorragend präziser Stimmführung die Musetta. Berückend im Verführungsspiel Quando men vo in zweiten. Akt. Artur Ruciński singt mit warmem Bariton den Marcello. Allessio Arduini als Schaunard und Roberto Tagliavini als Colline vollenden das klangvolle Quartett.

Ein gut einstudiertes Ensemble und Orchester begleiten die Solisten in einer, nicht zuletzt durch Gustavo Dudamels erfahrene Leitung, musikalisch bemerkenswerten Interpretation von Puccinis Oper.

Fazit

Man könnte die Aufführung auch Carl Guths Raumfahrt-Delirium nennen, doch der Kontrast zwischen der romantischen Welt der Midinettes der Belle Epoque und dem hochgradig technologischen Raumfahrzeitalter ist sogar mit viel Phantasie nicht leicht zu überbrücken. Dennoch kann man der Inszenierung nicht eine gewisse Poesie absprechen. Zum Beispiel, der schwarz gekleidete Mime/Zauberkünstler mit Zylinder im vierten Akt, der beim letzten Totentanz vor einem bühnenhohen Lametta-Vorhang die Regie führt und schließlich jedem das Lebenslicht ausbläst. Oder die Gestalt des schwarzen Wichtels mit seinem kurzen Mäntelchen und dem roten Luftballon in der Mondlandschaft.

Erstaunlicherweise tut diese extravagante, aber nicht aggressive Inszenierung dem Musikgenuß wenig Abbruch. Man lauscht Puccinis Musik, freut sich über die schönen Stimmen und läßt gleichzeitig den interstellaren Klamauk wie ein Cartoon an sich vorbeiziehen, fast als ob das eine mit dem anderen nichts zu tun hätte. Ist das vielleicht die Zukunft der Oper? Ich hoffe doch nicht! Sollte hingegen dem Ganzen eine tiefschürfende Philosophie zu Grunde liegen, so muß sie wohl ebenso tiefschürfend versteckt sein, denn ich habe sie nicht entdecken können!

Das Premierenpublikum hat das Spektakel eher gelassen amüsiert zur Kenntnis genommen und mit zahlreichen ironischen Zwischenrufen bedacht. Dagegen gab es viel Applaus für die Sänger und Musiker.

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: Berndt Uhlig/Opéra National de Paris

Das Bild zeigt: Aida Garifullina (Musetta), Artur Rucinski (Marcello) et Sonya Yoncheva (Mimì)

 

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