von Gioacchino Rossini (1792-1868), Commedia in zwei Akten, Libretto: Cesare Sterbini nach Beaumarchais, UA: 20. Februar 1816 Rom, Teatro Argentina
Regie, Bühne, Kostüme: Laurent Pelly, Licht: Joël Adam
Dirigent: Jérémie Rhorer, Le Cercle de l’Harmonie, Chœur Unikanti, Choreinstudierung: Gaël Darchen
Solisten: Michele Angelini (Il Conte Almaviva), Florian Sempey (Figaro), Catherine Trottmann (Rosina), Peter Kálmán (Bartolo), Robert Gleadow (Basilio), Annuciata Vestri (Berta), Guillaume Andrieux (Fiorello)
Besuchte Aufführung: 5. Dezember 2017 (Premiere), Koproduktion Théâtre des Champs-Elysées/Opéra National de Bordeaux/Opéra de Marseille/Théâtres de la Ville de Luxembourg
In ersten Akt versucht Graf Almaviva mit Hilfe seines Dieners Figaro die von ihm verehrte Rosina aus den Händen ihres Vormunds Bartolo zu befreien, der sie praktisch gefangen hält, um durch eine rasche Heirat in den Besitz ihres Vermögens zu gelangen. Figaro rät seinem Herrn, sich als Soldat zu verkleiden und eine Einquartierung im Hause Bartolos zu erzwingen. Um den Grafen auszuschalten schlägt Don Bartolos Freund Basilio und Gesangslehrer Rosinas die Verleumdung vor, doch Bartolo will lieber schnell heiraten. Der Graf erscheint als betrunkener Soldat, verlangt einquartiert zu werden, was Bartolo ablehnt. In dem folgenden Lärm und Durcheinander gelingt es dem Grafen und Rosina, billets doux -Liebesbriefchen auszutauschen.
Im zweiten Akt verschafft sich der Graf verkleidet als stellvertretender Gesangslehrer für den erkrankten Basilio Zutritt zum Hause seiner Angebeteten. Figaro rasiert Don Bartolo, als Basilio erscheint und erst durch eine pralle Geldbörse des Grafen dazu bewegt werden kann, sich todkrank zustellen. Derweil macht der Graf Rosina den Hof. Als Bartolo das merkt, vertreibt er den Eindringling und bestellt den Notar, um sogleich den Ehevertrag abzuschließen. Graf und Figaro steigen mit einer Leiter auf den Balkon Bartolos zu einem mit Rosina vereinbarten Stelldichein. Darauf erscheint Basilio mit dem Notar. Der Graf nützt die Gelegenheit und besticht Basilio, ihm als Trauzeuge zu dienen. Don Bartolo der mit der Polizei zurückkommt, um den Grafen zu verhaften zu lassen, wird vor vollendete Tatsachen gestellt.
Aufführung
Laut eigener Aussage (Zschr. Classica, Dezember 2017) war Laurent Pelly daran interessiert, die Arbeit auf die Musik zu konzentrieren, alle historischen und sozialen Hinweise des Stückes auszulöschen und die Archetypen der Personen – wie aus der Commedia dell’arte hervorgezogen – besonders deutlich werden zu lassen. Das Bühnenbild wird daher eine riesige unberührte Partitur sein, je nach Akt verschiedenartig geformt, auf der sich die Sänger hin und her bewegen.
In Wirklichkeit sah das dann so aus: Alles Sinnlich-farbenfreudige Südspaniens verschwindet und macht einer kahlen, schwarzweißen Welt Platz, in der riesige, leere, weiße Notenblätter die Bühne bedecken, in der die Guardia Civil statt Waffen Notenständer trägt und wo es im zweiten Akt schwarze Noten vom Himmel regnet und das Gittertor des Hauses aus den Notenlinien besteht. Die Sänger und Sängerinnen, meist schwarz gekleidet, sind als Charaktere scharf umrissen: Figaro als findiger, schlauer, ideenreicher Hansdampf in allen Gassen, Almaviva eine Art George Clooney, selbstbewußt, etwas überheblich, gewohnt zu bekommen, was er will, wenn nötig mit Geld oder Einfluß, Rosina ein hübscher, moderner, willensstarker, unabhängiger Teenager, Bartolo ein egoistischer, possessiver, alter Haustyrann und Basilio ein verschrobener, leicht perverser und bestechlicher Gelehrtentyp. Das sind kurz zusammengefaßt die Archetypen, wenn man sie so nennen kann. Und sie agieren auf der Bühne teils natürlich, teils wie Marionettenpuppen.
Sänger und Orchester
Das Wetter im November/Dezember ist in Paris meist keine gute Zeit für Stimmen und so sind auch einige erst im Laufe der Handlung auf Hochtouren gekommen. Florian Sempey, souverän als Figaro, ist Star des Abends mit kraftvoller versatiler Baritonstimme wie gleich eingangs in der berühmten Cavatine Largo al factotum (1.Akt, 2.Szene). Catherine Trottmann, die für Kate Lindsay als Rosina eingesprungen ist, hat großes schauspielerisches Talent und eine jugendlich-frische, bewegliche Mezzosopranstimme. Mühelos durchläuft sie die oft schwierigen Koloraturen. Aber es ist keine große Stimme. Bezaubernd in Contro un cor que accende amore (2. Akt, 3. Szene) und sehr übermütig ihr Duett mit Figaro Dunque io son? (1.Akt, 9. Szene). Michele Angelini ist Graf Almaviva, mit hellem, schön timbriertem Tenor singt er sein Ständchen Se il mio nome (1. Akt, 4. Szene). Peter Kálmán gibt einen sehr einleuchtenden Bartolo ab, mit polterndem Baß-Bariton und großem musikalischen Können. Robert Gleadow ist der wankelmütige Basilio mit orgelndem Baß. Annuciata Vestri und Guillaume Andrieux singen und spielen sehr einleuchtend Berta und Fiorello. Die Ensembleszenen sind schauspielerisch und musikalisch sehr bühnenwirksam ausgearbeitet. Jérémy Rhorer leitet das Orchester, den ausgezeichneten Chor und die Solisten mit Schwung und Präzision und läßt keine Kompromisse zu.
Fazit
Als ich von Laurent Pellys Vorhaben las, war ich etwas skeptisch. Aber ich muß zugeben, seine Rechnung ist aufgegangen. Durch genaustens ausgearbeitete Regieanweisungen bis zur letzten Geste, durch possenhafte Einfälle und eine bemerkenswerte schauspielerische Leistung der Ausführenden, gepaart mit einer wirkungsvollen, sehr lebendigen Choreographie ist eine spritzige, auf die Musik gut abgestimmte Inszenierung zustande gekommen. Das Bühnenbild ist minimalistisch, aber dazu passend. Natürlich sind wir dabei Meilen weit vom legendären Bühnenzauber eines Dario Fo entfernt, aber auf so ausgetretenem Pfaden ist es nicht einfach zu innovieren und soweit es noch möglich war, ist das Laurent Pelly gelungen. Auch die musikalische Interpretation war einheitlich ausgezeichnet und erfreulich heiter. Das Publikum war begeistert.
Alexander Jordis-Lohausen
Bild: Vincent Pontet
Das Bild zeigt: Catherine Trottmann (Rosina) und Florian Sempey (Figaro)