von Hector Berlioz (1803-1869), Grand Opéra in fünf Akten, Libretto: Hector Berlioz nach Vergils Aeneis und Shakespeares Der Kaufmann von Venedig, UA: 5.-6. Dezember 1890 Karlsruhe Hoftheater (fünfaktige Fassung)
Regie: Lydia Steier, Bühne: Stefan Heyne, Kostüme: Gianluca Falaschi
Dirigent: John Fiore, Staatskapelle Dresden, Sächsischer Staatsopernchor und Sinfoniechor Dresden, Extrachor und Kinderchor der Sächsischen Staatsoper Dresden, Choeinstudierung: Jörn Hinnerk Andresen und Claudia Sebastian-Bertsch
Solisten: Bryan Register (Enée), Christoph Pohl (Chorèbe), Ashley Holland (Panthée), Evan Hughes (Narbal), Joel Prieto (Iopas), Emily Dorn (Ascagne), Jennifer Holloway (Cassandre), Christa Mayer (Didon), Agnieszka Rehlis (Anna), Simeon Esper (Hylas/Helenus), Chao Deng (Priam), Jiri Rajnis (Trojanischer Soldat/Un chef grec), Alexandros Stavrakakis (L’ombre d’Hector/Mercure), Ute Selig (Hécube), u.a.
Besuchte Aufführung: 3. Oktober 2017
Die Oper orientiert sich am bekannten Aeneis-Mythos: Troja fällt durch die List der Griechen mit dem Pferd, die Seherin Kassandra muß dabei tatenlos zusehen. Der Trojaner Aeneas flieht mit seinen Leuten, da die Götter ihm den Auftrag gegeben haben, mit Rom ein zweites Troja in Italien zu errichten. Unterwegs landen sie in Karthago, wo sich die dortige Königin Dido unsterblich in Aeneas verliebt. Nach kurzem Liebesglück verläßt Aeneas jedoch Dido wieder in Richtung Italien, da ihn Italien ruft. Dido verflucht Aeneas und die Trojaner, dann geht sie in den Freitod.
Aufführung
Im Zentrum des Bühnenbildes steht ein drehbarer turmhoher Aussichtspavillon mit mehreren Etagen, der sich wiederum um eine Wendeltreppe dreht. In einem eingerichteten Raum auf einer oberen Etage befindet sich ein Raum mit großem Sofa, wo es zwischenmenschlich öfter hart zur Sache geht. Vor den Pavillon kann man einen Zeichnungsprospekt der Semperoper hängen, der mit der Erstürmung der Griechen fällt. Die Trojaner tragen Gesellschaftskleidung des sächsischen Fin de Siècle, Soldaten grüne Militärkleidung, Priam ist als letzter sächsischer König unterwegs.
Das trojanische Pferd ist das Reiterstandbild König Johanns vom Theaterplatz vor der Semperoper, allerdings mit den Gesichtszügen des Aeneas. Der Sieg wird gefeiert mit Bratwürsten und Bier wie beim Oktoberfest, nur das Faß wird im falschen Loch angesteckt. Die griechischen Soldaten wirken wie ein Überfall der roten Soldaten aus dem Nußknackerballett, die Numider tragen dunkle wallende Kaftane, rauschende Bärte und Turbane. Sie werden nach der Gefangennahme hingerichtet und ausgeplündert. Während Troja blaue Fahnen schwenkt, feiert man in Karthago im Zeichen von Hammer und Sichel mit roten Fahnen. Dido begeht Selbstmord auf dem brennenden Reiterstandbildsockel.
Sänger und Orchester
Es wimmelt auf der Bühne mit bis zu 160 Personen, der große erweiterte Chor samt Kinderchor wird über die gesamt Breite der Bühne mitsamt den beiden Proszeniumslogen aufgestellt. Trotz der gegebenen räumlichen Schwierigkeit gelingen die Einsätze, und der Chor klingt ausgezeichnet homogen und ausgeglichen. Ein Bravo an Chorleiter Jörn Hinnerk Andresen!
John Fiore hält den gesamten Orchesterapparat zusammen, schafft auch die Verbindung zum Orchester, die Solisten bekommen ihre Freiräume und sind bestens in diesen gewaltigen Klangkörper integriert. Die Staatskapelle zeigt, wie man blechlastige Passagen mit einem erfrischenden Streicherklang zusammenführen kann. Das alles ist wahrlich einer Staatsoper würdig. Leider gelingt es Fiore aber nicht, den Raumklang von Berlioz oder die französischen Klangeffekte der Grande Opera zum Leben zu erwecken. Die musikalischen Welten kommen effektvoll rumpelnd und krachend zur Geltung, bleiben an der Oberfläche, dringen nicht in Berlioz Welt ein. Die mitreißenden Momente, ja sogar die Liebesgeschichte zwischen Dido und Aeneas wirkt nicht – weder szenisch noch musikalisch. Immerhin lobenswert, daß eine nahezu vollständige Fassung gespielt wird, nur das Septett im vierten Akt ist gestrichen, die Jagd-Pantomime und das Sklavenballett werden ohne Tanzeinlage auf der Bühne gespielt. Daß der große Sterbemonolog der Dido ein so großer mitreißendes Moment (über mehr als 30 Minuten!) wird, ist Christa Mayer zu verdanken.
Bryan Register kann als Enée wenig Strahlkraft aufbringen, erreicht auch die hohen Töne nicht sauber und kann technisch nicht überzeugen. Joel Prieto gewinnt als eloquenter Liedsänger mit der Tenor-Arie des Iopas O blonde Ceres höchste Aufmerksamkeit, gleiches gelingt auch Simeon Esper als Hylas mit Vallon Sonore – klingendes Tal. Jennifer Holloway ist eine durchschlagskräftige Cassandre, die etwas weniger dem Schöngesang verpflichtet ist. Auch die übrige Sängerbesetzung entspricht dem wichtigen Anspruch einer Staatsoper.
Fazit
Ein Kennzeichen der Grande Opera ist der große prunkvolle Aufwand, der getrieben wird. In Dresden stehen 160 Personen auf der Bühne, der Chor ist auf geschätzte 130 Sänger vergrößert, das Bühnenbild und die Kostüme sind an Phantasie mit Farbenfreude kaum zu überbieten. Aber Lydia Steier reduziert die griechische Tragödie zu einem Trauerspiel, das irgendwie um Krieg und Kriegsgreuel kreist, aber auch um Dresden mit der Semperoper – und in der Mischung wenig Konkretes entstehen läßt. Dazu kommen Geschmacklosigkeiten wie ein Selbstmord mit offen liegenden Eingeweiden, viel spritzendes Blut und eine genüßlich zelebrierte Vergewaltigung. Musikalisch ist die Produktion durchwachsen (großer Jubel für Christa Mayer als Dido, Chor und Orchester!) und die Frage, warum Thielemann diese wichtige Produktion nicht selbst übernommen hat. Dazu paßt ein bekanntes Zitat des letzten Königs von Sachsen (Friedrich August III., hier als Priam) bei seiner Abdankung als König: Macht Euren Dreck doch alleene!
Oliver Hohlbach
Bild: Karl und Monika Forster
Das Bild zeigt: Jennifer Holloway (Cassandre), Sächsischer Staatsopernchor