von Hector Berlioz (1803-1869), Grand Opera in 5 Akten, Libretto: Hector Berlioz nach Vergils Äneis und Shakespeares „Kaufmann von Venedig“, UA der fünfaktigen Fassung: 5.-6. Dezember 1890 Karlsruhe
Regie: Calixto Bieito, Bühne: Susanne Gschwender, Kostüme: Ingo Krügler
Dirigent: Marcus Bosch, Staatsphilharmonie Nürnberg, Chor, Extrachor und Chorgäste des Staatstheaters Nürnberg, Choreinstudierung: Tarmo Vaask
Solisten: Mirko Roschkowski (Enée), Jochen Kupfer (Chorèbe), Wonyong Kang (Panthée), Nicolai Karnolsky (Narbal / Hectors Schatten), Alex Kim (Iopas / Helenus), Ina Yoshikawa (Ascagne), Roswitha Christina Müller (Cassandre), Katrin Adel (Didon), Irina Maltseva (Anna / Hécube), NN (Hylas), Jens Waldig (Priam), Petro Ostapenko (Soldat / Mercure), u.a.
Besuchte Aufführung: 8. Oktober 2017
Die Oper orientiert sich am bekannten Aeneis-Mythos: Troja fällt durch die List der Griechen mit dem Pferd, die Seherin Kassandra muß dabei tatenlos zusehen. Der Trojaner Aeneas flieht mit seinen Leuten, da die Götter ihm den Auftrag gegeben haben, mit Rom ein zweites Troja in Italien zu errichten. Unterwegs landen sie in Karthago, wo sich die dortige Königin Dido unsterblich in Aeneas verliebt. Nach kurzem Liebesglück jedoch verläßt Aeneas Dido wieder in Richtung Italien, da ihn Italien ruft. Dido verflucht Aeneas und die Trojaner, dann geht sie in den Freitod.
Aufführung
Im Zentrum des Bühnenbildes steht ein zweistöckiges Holzgerüst, das von Statisten in langwieriger Handarbeit gedreht und nach lautstarker hämmernder Bearbeitung auch geteilt und verschoben werden kann. Das Gerüst steht sowohl für den Königspalast in Troja als auch für den in Karthago. Vor dem Gerüst hängt Anfangs eine weiße Leinwand, auf die ein Kind mit langem Pinsel ein Pferd zeichnet. Beim Fall Trojas wird es von Kassandra heruntergerissen. Die Trojaner tragen Anfangs Militärkleidung in Flecktarnung zum Patronen-Spreng-Gurt. Für den Selbstmord beißt man hinein, während Kassandra blutüberströmt daneben steht. In Karthago bevorzugt man hingegen weiße Bauarbeiter-Staubschutzanzüge mit Staubschutzmaske. Die Trojaner bringen viele Dollars und Perlenketten mit, was von den Trojanern begeistert angenommen wird: Sie tanzen mit afrikanischen Prunkmasken ein wildes Getrampel. Dido trägt ein langes blaues Kleid, barfuß, mit auftoupierter blonder Mähne, Schwester Anna eine Designerrobe mit Schuhen. Zuerst begeht Aeneas mit Tabletten Selbstmord, dann tut ihm Dido dies nach.
Sänger und Orchester
Ein herausragender schwerer Tenor ist Mirko Roschkowski. Mit seinem vollmundigen, warmen und samtigen Timbre kratzt er an der Grenze zwischen lyrischen und Heldentenor. Seinem Enée gibt er Kontur und Verve. Roswitha Christina Müller gibt der Cassandre Züge zwischen Genie und Wahnsinn, mit viel Kraft gibt sie dieser mit ihrem weichen Mezzo einen vielschichtigen Charakter. Auch den Dialog mit Jochen Kupfer als Chorèbe gestaltet sie dominant, obwohl er als ausdrucksstarker Haus-Bariton dagegenhalten kann. Katrin Adel kann sich von Cassandra deutlich abgrenzen. Ihre Didon ist eher ein zerbrechliches Wesen, etwas zurückhaltend in der Lautstärke. Nicolai Karnolsky kann mit seinem markigen, fast schwarzen Baß, seiner stimmigen Tiefe und solider Höhe die Doppelrolle als Hectors Schatten und Narbal sängerisch dominant gestalten. Und das sogar im gleichen Einheits-Kostüm.
Der große erweiterte Chor macht seine Sache gut, klingt ausgewogen und sicher in den Einsätzen – auch wenn er des öfteren als Bewegungschor mißbraucht wird. GMD Marcus Bosch führt den gesamten riesigen Apparat zusammen, Chor und Solisten können sich in diesen gewaltigen Klangkörper einfühlsam integriert fühlen. Er führt die Staatsphilharmonie Nürnberg solide, aber leider stellenweise etwas zu durchschlagsstark, obwohl das Werk von Berlioz viel davon verträgt – besonders in den monumentalen Zwischenmusiken.
Fazit
In Nürnberg sind die Trojaner musikalisch keine Chefsache: Marcus Bosch führt feinfühlig durch die Partitur und bringt dank der Solisten Berlioz zum Klingen und zum Leuchten. Leider konnte er sich hinsichtlich der Strichfassung gegen die Regie nicht durchsetzen: Es fehlen wichtige Szenen wie das Lied des Hylas (die ganze Rolle gestrichen!), in Summe eine ganze Stunde Musik. Dafür findet Calixto Bieito genügend Zeit das Holzgerüst mehrfach „still und leise“ um sich selbst zu drehen. Oder noch ein völlig deplaziertes Gedicht von Michel Houellebecq aufzunehmen. Das taktlose Zertrampeln der Jagd-Pantomime, eingebettet in immer sinnlosere, obszöne, nackige oder „bildgewaltige“ Szenen ohne Bezug zur Handlung führt irgendwann zu gähnender Langeweile. Stürmischer Applaus für die musikalische Seite, heftiges Buh-Gewitter für Regie – das Publikum flüchtet schnell ins Freie – falls es nicht schon in der Pause gegangen ist.
Oliver Hohlbach
Bild: Ludwig Olah
Das Bild zeigt: Chor, Katrin Adel (Didon), Willkommen in Karthago