von Gaetano Donizetti (1797-1848), Dramma tragico in 3 Akten, Libretto: Salvatore Cammarano nach Walter Scotts The Bride of Lammermoor, UA: 26. September 1835 Neapel, Teatro San Carlo
Regie: Dietrich W. Hilsdorf, Bühne: Johannes Leiacker, Kostüme: Gesine Völlm
Dirigent: Giampaolo Bisanti, Staatskapelle und Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Choreinstudierung: Cornelius Volke
Solisten: Aleksey Isaev (Enrico Aston), Venera Gimadieva (Lucia), Edgaras Montvidas (Edgardo), Simeon Esper (Arturo Buklaw), Georg Zeppenfeld (Raimondo, Lucias Erzieher), Susanne Gasch (Alisa), Tom Martinsen (Normanno), u.a.
Besuchte Aufführung: 18. November 2017 (Premiere)
Lord Enrico Ashton möchte seine Schwester Lucia mit Lord Arturo Buklaw verheiraten. Sie liebt aber Sir Edgardo von Ravenswood. Diese Familie ist mit der ihren verfeindet. Vor seiner Abreise schwören sich Edgardo und Lucia heimlich ewige Treue. Enrico Ashton fängt Edgardos Briefe ab. Mit einem gefälschten Brief von Edgardos angeblicher Untreue drängen Raimondo und er Lucia zur Hochzeit mit Lord Arturo. In dem Augenblick, als Lucia auf ihrer Hochzeitsfeier den Hochzeitsvertrag unterschreiben soll, erscheint Edgardo. Er verflucht sie wegen ihrer anscheinenden Untreue, worauf sie zusammenbricht. Später berichtet Raimondo, Lucia habe Arturo im Wahnsinn erstochen. Enrico fordert Edgardo zum Duell. Vor dem Duell erfährt dieser, daß Lucia gestorben sei. Er begeht Selbstmord.
Aufführung
Eine Schrift an der Rampe zitiert: Mors certa hora incerta – Sicher ist der Tod, unsicher der Zeitpunkt. Ein Hund auf der Bühne bellt dazu. Im Einheitsbühnenbild findet sich kein Hinweis auf Schottland und auf sein Hochland, und ein Kilt ist nirgends zu sehen. Wir befinden uns im Britischen Empire (britisches Weltreich) vor dem Ersten Weltkrieg, und nur der Bowler (Hut) ist ein Hinweis auf Ort und Zeit. Johannes Leiacker hat einen fensterlosen und dunklen, kaum bestimmbaren Raum geschaffen, der mit vielen umgruppierbaren Stühlen und Tischen und später einem markanten Ehebett besetzt ist. Letzteres macht dann wieder Platz für den schwarzen Sarg. Die Wand ist durch einen Fries aus senkrechten, manchmal flackernden Neonröhren angedeutet, schwarze Türen führen hinaus. Die Kleidung der gehobenen Gesellschaft ist schwarz, nur das Hochzeitskleid der Lucia und das Laken des Ehebetts sind weiß. Und der große Blutfleck auf dem Kleid bleibt der einzige Farbtupfer.
Sänger und Orchester
In der Titelrolle der Lucia singt Venera Gimadieva als schwerer Koloratursopran. Sie findet den richtigen Ausdruck für die Verletzlichkeit einer verzweifelten Verliebten, aber auch für den dramatischen Ausdruck des finsteren Wahnsinns. Die Strahlkraft, das Leuchtende fehlen ihr, auch ein wenig das (De-)Crescendo, das Legato gelingt ihr formidabel. Da kann man über Belcanto streiten, allerdings nicht bei der bekannten Wahnsinnsarie der Lucia Il dolce suono – Der süße Klang … spargi d’amaro pianto il mio terrestre velo – … vergieße bittere Tränen auf meinen irdenen Schleier, zu der die bekannte Glasharfe erklingt. Das Flötensolo ist nicht von Donizetti, sondern die Zugabe eines späteren Bearbeiters.
Georg Zeppenfeld gilt weltweit als einer der besten, universell einsetzbaren Bässe. Mit seiner wohlklingenden, unendlich samtweich tiefen und voluminösen Stimme gibt er jeder Rolle entsprechende Tiefe und charakterisiert den Betbruder Raimondo entsprechend vielschichtig als verdeckt bösartig. Dem anderen, dem einzigen Bruder, Enrico gibt Aleksey Isaev eine szenisch und gesanglich angemessene Zeichnung eines abgrundtief bösartigen Bösewichtes. Sein Bariton kann von der voluminösen Mittellage auch tenoraler Höhen erklimmen.
Das letzte Wort hat Edgardo. Und er endet mit Selbstmord. Schon mit den ersten Tönen hat Edgaras Montvidas die Menschen mit dem Feuer eines Liebhabers berührt. Sein Tu che a Dio spiegasti l’ali – Du, die du zu Gott mit Flügel schwingst entwickelt sich zum mitreißenden Schlußpunkt. Auch die Nebenrollen, wie Tom Martinsen als Normanno und Simeon Esper als Arturo, sind mit Hauskräften solide besetzt. Susanne Gasch ist ein dramatischer Sopran, der eng und angestrengt klingt und als „Mutter“ Alisa unauffällig ist. Giampaolo Bisanti treibt mit der Staatskapelle Dresden die Handlung voran, sorgt für flotte Tempi, da können die Koloraturen ungehindert sicher dahinrauschen. Mehr noch, das Liebesduett zwischen Lucia und Edgardo macht tiefes Verlangen zu Lucia und eine große Persönlichkeit gegenüber deren Familie deutlich: Sulla tomba che rinserra il tradito genitore – Am Grab, in dem mein verratener Vater ruht.
Fazit
Einige teilweise diskutable Kunstgriffe hat Dietrich W. Hilsdorf neben der zeitlichen Verlagerung ins Jahr 1910 noch genutzt, um seine Dramatik auf den Punkt zu bringen: die verstorbene Mutter erhebt sich schon zu Anfang aus dem Sarg, um kommentierend als Alisa einzugreifen (Alisa ist im Libretto eine Hofdame Lucias), ebenso wird Raimondo zum Beichtvater Lucias ernannt und zudem noch zum zweiten Bruder Lucias befördert. Die Hexen aus dem Roman kommen ebenfalls in Schwarz vor unsere Augen. So findet die Handlung im „Einheitsraum“ der Familie Ashton statt, die vorgesehene Handlung im „Turm Ravenswood“ wird dorthin übertragen. Dennoch unterstützt die dunkle Atmosphäre die musikalische Wirkung einer herausragenden Sängergilde und dem genial düsteren Klangbild des Orchesters. Eine Sternstunde für die Semperoper und tosender Applaus.
Oliver Hohlbach
Bild: Jochen Quast
Das Bild zeigt: Venera Gimadieva (Lucia di Lammermoor), Sächsischer Staatopernchor Dresden