von Giuseppe Verdi (1813-1901), UA: 22. Mai 1874, Kirche San Marco, Mailand.
Regie: Calixto Bieito, Bühne: Susanne Gschwender, Kostüme: Anja Rabes, Licht: Franck Evin, Dramaturgie: Janina Zell
Dirigent: Kevin John Edusei, Philharmonisches Staatsorchester, Chor der Hamburgischen Staatsoper
Solisten: Maria Bengtsson (Sopran), Nadezhda Karyazina (Mezzosopran), Dmytro Popov (Tenor), Gábor Bretz (Baß)
Besuchte Aufführung: 10. März 2018 (Premiere)
Da es sich um Verdis Messa da Requiem handelt, also um eine Totenmesse, die der katholischen Liturgie folgt, gibt es keine Handlung im engeren Sinne wie bei einer Oper.
Aufführung
Die ansonsten leere Bühne wird durch zwei ihre gesamte Länge umfassenden Holzwände aus Quadraten ausgefüllt, die sowohl unterteilbar als auch beweglich ist. Die Wandform erinnert mit ihren vielen Quadraten entfernt an eine Friedhofsmauer mit Urnenbuchten. Gegen Ende der Aufführung wird eine dieser riesigen Wände auf die Seite gelegt, so daß die Chormitglieder in die Quadrate hinein krabbeln können wie in kleine Gräber. Das namenlose Solo-Ensemble ist in die Paare Sopran und Baß sowie Mezzosopran und Tenor eingeteilt. Eine Handlung wird zwar angedeutet, bleibt jedoch vage und im eher Abstrakten. So wird durch spielende Kinder auf der Bühne unter anderem der Kindstod thematisiert, den die Sänger betrauern. Typische Trauergesten wie zum Himmel erhobene Hände kommen häufig vor. Chor und Sänger werden einander als Individuen und Kollektiv gegenübergestellt. Im Dies Irae etwa liegt die Sopranistin kauernd am Boden, während der um sie versammelte Chor gleichsam strafend auf sie einsingt. Insgesamt aber bleibt die dem Requiem quasi ‚aufgepropfte‘ Handlung zurückhaltend, die Musik steht im Vordergrund.
Sänger und Orchester
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter Kevin John Edusei klingt zu Beginn in den Violinen noch intonatorisch unsicher. Mit Beginn des furiosen Dies Irae läßt dies jedoch nach, so daß es im weiteren Verlauf in den Flöten oder im Fagott zu plastisch gestalteten Soli kommt. Auch die Trompeten aus der Ferne werden wirkungsvoll eingesetzt. Die Balance mit der Bühne bleibt weitgehend gewahrt. Hervorzuheben ist, daß der darstellerisch vielseitig agierende Chor der Hamburgischen Staatsoper an diesem Abend nie ins Schrille ausbricht, gleichwohl jedoch in den lauten Passagen nicht an Wucht einbüßt. Auch die einzelnen Stimmgruppen untereinander sind angenehm ausgewogen.
Der eigentliche Höhepunkt der Aufführung aber sind die Gesangssolisten, die sich aufgrund einer zurückhaltenden Personenführung angemessen auf ihren Vortrag konzentrieren können. So vermag Maria Bengtsson die Kantilenen frei strömen zu lassen und meistert auch weite Intervallsprünge fließend. In der Höhe verfügt ihr Sopran über eine warme luftige Biegsamkeit. Demgegenüber klingt Nadezhda Karyazinas Mezzosopran strenger, weist dabei jedoch ein hohes Farbspektrum auf. Sie gestaltet das stimmliche Drama mit feinen Abstufungen. Dmytro Popovs Tenor bleibt auch in der Höhe wunderbar unbeschwert, so daß er seine Partie frei und mit viel stimmlicher Weichheit vortragen kann. Der Baß von Gábor Bretz überzeugt weniger durch gewichtige Autorität als durch Wärme und einfühlsame Nachdrücklichkeit. Auch wenn der Ensembleklang nicht immer perfekt aufeinander abgestimmt wirkt, strahlt doch jederzeit das expressive und anrührende menschliche Element der Musik durch.
Fazit
Den Regisseur Calixto Bieito und sein Team empfing am Premierenabend eine Mischung aus Jubel und sanften Buhs, während die Musiker und Sänger allesamt zu Recht gefeiert wurden. Da hinsichtlich der Aufführung hier keine Risiken eingegangen werden und die musikalische Seite durchweg überzeugt, läßt sich diese Hamburger Bühnenversion von Verdis ‚größter Oper‘, als die sein Requiem auch bezeichnet wurde, durchaus empfehlen.
Dr. Aron Sayed
Fotos: Brinkhoff/Mögenburg
Das Bild zeigt: Maria Bengtsson, Chor der Hamburgischen Staatsoper