von Hans Gefors (*1952), Oper in drei Akten, Libretto vom Komponisten nach dem gleichnamigen Drama von Botho Strauß, UA: 1992 Wiesbaden
Regie: Vera Nemirova, Dramaturgie und Ko-Regie: Sonja Nemirova, Licht: Andreas Fuchs, Bühne: Jens Kilian, Kostüme: Mathias Clason
Dirigent: Patrik Ringborg, Orchester der Oper Malmö
Solisten: Hege Gustava Tjønn (Titania), Eric Greene (Oberon), Zoltán Nyári (Cyprian), Carl Ackerfeldt (Wolf), Susanna Stern (Helma), Line Juul Andersen (Helen), Torstein Fosmo (Georg), Daniel Carlsson (Fabelsohn), Bengt Krantz (Erstling), Stefan Dahlberg (Höfling), Yazan Alqaq (Norman; der Tod), u.v.a.
Besuchte Aufführung: 5. Mai 2018 (nordeuropäische Erstaufführung)
Die Götter Oberon und Titania hausen in einem Park und wollen den Menschen sexuelle Lust zurückbringen, die sie vergessen haben. Doch Titania ist ihres Daseins überdrüssig. Wolf und Helma sowie Georg und Helen werden Paare, doch begehren beide Männer anfangs Helen und dann Helma. Die Spannungen untereinander nehmen zu, bis Georg Helen schließlich verläßt. Cyprian ist ein Wissenschaftler, der ebenfalls im Park lebt, und Experimente an Menschen ausführt. Er schafft z.B. kleine Menschenkopien wie Daedalus in der griechischen Sage. Oberon bedient sich seiner Künste.
Titania wird immer unglücklicher und schläft mit Norman. Aus Rache läßt Oberon sie von einer Bande Jugendlicher vergewaltigen und vereinigt sich mit ihr in Gestalt eines Stieres. Ihre Sehnsucht nach dem Stier steigert sich so sehr, daß sie Cyprian darum bittet, ihr den Unterleib einer Kuh zu geben. Er kommt ihrer Bitte nach und erhält dafür im Gegenzug Norman, den er ebenfalls liebt. Doch die Umwandlung raubt Titania alle Kraft. Oberon verzweifelt und entsagt seiner Göttlichkeit, um das Leben eines Sterblichen zu führen. Viele Jahre vergehen. Der Tod sucht Cyprian heim und anschließend Helen, die mittlerweile in einem Pflegeheim lebt. Auch Oberon hält sich dort auf und ist gealtert. Titania besucht ihn und versucht vergeblich, ihn an vergangene Zeiten zu erinnern. Auf ihrer Silberhochzeit tanzt sie mit dem Tod während ihr Fabelsohn, der Minotaurus, davon träumt, allein mit seiner Mutter im Paradies zu sein.
Aufführung
Wie bereits aus dieser sehr verknappten Zusammenfassung ersichtlich wird, verknüpft die Handlung viele unterschiedliche Mythen und klassische Texte, darunter natürlich an erster Stelle Shakespeares Sommernachtstraum. Alle literarischen Details aufzuzählen ist hier nicht der Ort. Lediglich anzudeuten ist, daß die reichhaltige Handlung – die Oper hat 40 Szenen – ihren Widerpart in der ebenso detaillierten und anspielungsreichen Inszenierung hat, die ihrerseits den durch die Musik vorgegebenen rhythmischen und emotionalen Akzenten eng folgt. Die geschwind wechselnden Tonbilder des ersten und zweiten Aktes – neben perkussiven und ironischen Abschnitten gibt es hier auch lyrische und historisierende, einschließlich von Zitaten aus der Musikgeschichte – werden ebenso abwechslungsreich inszeniert, während der statische dritte Akt das Tempo aus Bildwechseln und Aktionen der Darstellern nimmt.
Der Park der ersten beiden Akte ist ein düsterer, heruntergekommener Ort mit alten Autos und beschmierten Wänden. Durch Drehbühne und subtile Änderungen der Beleuchtung wird ein changierendes Bühnenbild geschaffen, das die Haupt- und Nebenhandlungen choreographisch geschickt aufteilt. Schatten und die Ausweitung des Spiels in den Zuschauerraum schaffen zusätzlich Räume der Handlung. Im dritten Akt ist es Winter und sämtliche Darsteller mit Ausnahme Titanias bewegen sich langsam und gebrechlich über die Bühne. Die Kostüme nehmen auf eine Vielzahl von Vorbildern bezug, u.a. auf die Punkbewegung der frühen 1980er Jahre, die Entstehungszeit von Botho Strauß’ Drama.
Vorbemerkung
Bevor die musikalischen Leistungen im einzelnen gewürdigt werden sind ein paar Worte zur Musik von Hans Gefors angebracht. Wie bereits erwähnt ist sie stilistisch vielfältig, vielleicht sogar pluralistisch, und stellt höchste Anforderungen an die Interpreten. Neben einem stark erweiterten Schlagwerk kommen elektronische Instrumente, Verstärkung und Effekte zum Einsatz, vor allem im zweiten Akt, und die musikalische Faktur ändert sich unablässig. Beispielsweise wird im dritten Akt ein Klaviertrio auf der Bühne aufgeführt, bevor das Stück mit einem dicht orchestrierten und dennoch weichen, filigranen statischen Klangfeld, das an die Kompositionen von Gefors’ Lehrer Per Nørgård erinnert, abschließt und in Trompetenrufen von der Bühne verklingt. Es gibt in der Musik einen enormen Reichtum an instrumentatorischen, satztechnischen und räumlichen Strukturen zu entdecken, und das Orchester der Sänger und Orchester
Oper Malmö unter Tobias Ringborg leistete hier ganze Arbeit.
Hege Gustava Tjønn (Titania) und Eric Greene (Oberon) bewältigten ihre Hauptrollen sängerisch und darstellerisch souverän. Tjønn hat neben kraftvollen und drängenden auch lyrische und gebrochene Abschnitte zu singen und ist in der Lage, ihre Stimme entsprechend zu modifizieren. Ebenso abwechslungsreich leuchtete sie die schauspielerischen Facetten ihres Charakters aus. Der Oberon Eric Greenes zeichnet sich hingegen durch eine konstant erhabene Erscheinung aus, die von seiner starken Bühnenpräsenz getragen wird. Er hat einen schlanken, in der Höhe ungewöhnlich strahlenden Baßbariton. Zoltán Nyári (Cyprian) hat eine durchdringende, schlackenfreie Tenorstimme und spielte seine groteske Rolle sicher. Carl Ackerfeldt (Wolf) und Susanna Stern (Helma) singen und spielen ihre Rollen gut.
Dramaturgisch interessanter sind die Partien der Helen, mit Hingabe dargestellt und gesungen von Line Juul Andersen, und des Georg, den Torstein Fosmo zupackend spielt und vor allem singt; seine Stimme ist noch nicht sehr groß, aber ausgewogen und kraftvoll, und seine Aussprache des Deutschen in seinen Sprechpartien ist tadellos. Diese beiden Opernsänger stehen am Beginn ihrer Karrieren und dürften in Zukunft noch von sich reden machen. Der Countertenor Daniel Carlsson (Fabelsohn) hat die letzte große Partie in dieser Oper, in deren ruhigem Fluß er mit seiner ausgeglichene Tongebung brillieren kann. Bengt Krantz (Erstling) und Stefan Dahlberg (Höfling) verleihen der Oper komödiantische Züge in ihren Rollen als grantelnde Alte.
Fazit
Vorab muß man der Oper Malmö Respekt dafür zollen, ein solches Werk, das musikalisch überaus anspruchsvoll ist und kein breites Publikum ansprechen wird, ins Programm zu nehmen. Mit Sicherheit ist das Stück nicht jedermann zugänglich.
Wenn man sich aber für die zeitgenössische Oper interessiert, sollte man unbedingt eine Reise nach Malmö in Erwägung ziehen. Dieses Stück ist ein musikalisches Füllhorn, voll von vielen ergreifenden, schönen Stellen, von denen sich etliche nur in dreidimensionaler Wiedergabe erschließen. Die Sänger sind ihrer Sache musikalisch und choreographisch so sicher, daß das Zuschauen eine reine Freude ist. Und schließlich hat der Komponist in der Regisseurin Vera Nemirova eine kongeniale Partnerin gefunden, die ihre Inszenierung minutiös an die jeweilige Ereignisdichte in der Musik anpaßt, das Stück respektiert und mit einem Feuerwerk von szenischen Einfällen aufwartet und den Zuschauer selber in einen traumartigen Zustand zu versetzen vermag. Ihr gelingt es, das Werk zwischen Dystopie und Lustspiel, zwischen Schock und Erhabenen in der Schwebe zu lassen. Was das Engagement von Regie und Sängern angeht, kann man der Oper Malmö nur gratulieren.
Dr. Martin Knust
Bild: Malin Arnesson
Das Bild zeigt: Hege Gustava Tjønn (Titania); Eir Inderhaug (Flickan)