Parsifal – Paris, Opéra Bastille

von Richard Wagner (1813-1883), Bühnenweihfestspiel in drei Akten, Libretto: Richard Wagner, UA: 26. Juli 1882 Bayreuth., Festspielhaus

Regie: Richard Jones, Bühn/Kostüme: Ultz

Dirigent: Philippe Jordan, Orchestre et Cheurs de l’Opera national de Paris, Choreinstudierung: Jose Luis Basso.

Solisten: Peter Mattei (Amfortas), Reinhard Hagen (Titurel), Günther Groissböck (Gurnemanz), Evgeny Nikitin (Klingsor), Andreas Schager (Parsifal), Anja Kampe (Kundry), Daniela Entcheva (Stimme aus der Höhe), u.a.

Besuchte Aufführung: 20. Mai 2018 (mit deutschen Übertiteln)

Kurzinhalt

Amfortas leidet an einer Verletzung, die er bei dem Raub des heiligen Speers durch Klingsor erlitten hat. Nur durch die Berührung mit dem heiligen Speer ist Heilung möglich – durch „einen reinen Toren“. Gurnemanz hält Parsifal für den „reinen Tor“ und nimmt ihn mit in die Gralsburg. Als er sich getäuscht sieht, setzt er Parsifal vor die Tür. Parsifal findet den Zaubergarten Klingsors mit seinen verführerischen Mädchen. Als auch Kundry ihn nicht halten kann, versucht Klingsor ihn mit dem Speer zu bannen. Parsifal ergreift den Speer, der Zaubergarten versinkt. Parsifal kehrt zurück zu den Gralsrittern, die von Amfortas fordern, den Gral zu enthüllen, doch Amfortas will lieber sterben. Parsifal heilt die Wunde mit dem Speer und enthüllt den Gral.

Vorbemerkung

Zeit sollte man schon haben, wenn man die Staatsoper Paris besucht. Schlangen weisen den Weg zu dem einzigen (Neben-)Zugang, die große dominante Panoramatreppe, dient nur noch den Sonnenanbetern, die sich dort ausgiebig ausruhen. Die Personenkontrolle und Durchleuchtung deutet auf die Terrorlage hin und macht deutlich, wie entspannt die Lage in Deutschland noch ist. Auf diese Weise kann kein Gepäck mehr in den Zuschauerraum mitgenommen werden, der Saal wirkt dennoch wie ein modernes, bequemes Großraumkino für mehrere tausend Personen.

Aufführung

Das überdimensionale Bühnenbild ist eine Art Verschiebebahnhof, die Kulissen werden immer wieder nach rechts und links verschoben, um den aktuellen Ort des Geschehens zu zeigen. Ganz links die heilige Quelle, ein Marmorbrunnen, die den Gründer der Gralsgesellschaft Titurel als Brunnenfigur zeigt. Gleich rechts daneben im modernen Speise- und Lesesaal mit Gasherd, Backofen und Knetmaschine hängt ein überlebensgroßes Porträt Titurels. Als nächstes folgt eine Art Doppeletage: oben stirbt Titurel in seinem Bett vor sich hin, unten siecht Amfortas im Klinik-Ambiente. Er durchtränkt weiße Bettlaken aus den Medizinschränken mit Blut, die auf dem Herd wieder ausgekocht werden. Der letzte Raum ist der Chorraum mit aufsteigenden Stufen für etwa siebzig Mitglieder, die auch pseudoreligiöse Handlungen mit dem Gralskelch durchführen.

Der Schrein in dem er aufbewahrt wird, hat auch ein Fach für den Speer. Bei Klingsor ist derselbe Schrein umgekehrt gefüllt. Nebenher betreibt er eine Blumenzucht. Aus den Kelchen steigen die Blumenmädchen hervor, die dann auf dem dreistufigen Blumenbeet fleißig herumzappeln. Am Ende erschlägt Parsifal Klingsor mit seinem Schwert und verbrennt die Blumen. Die Kostüme sind ein Sammelsurium: Liturgiegewänder aus dem Mittelalter, alternativ ein Trainingsanzug mit Sandalen. Oder blaues Sakko mit grauer Hose, wie man es sich für ein französisches Internat vorstellen könnte. Gurnemanz wirkt wie ein Fitneßtrainer und Türsteher in Personalunion. Parsifal zunächst in Lederhose, am Ende im schwarzen Kampfanzug. Frauen sind außer Kundry im Wickelgewand nicht im Bild.

Sänger und Orchester

In diesem Ensemble der Stars des Wagner-Universums möchte man niemanden hervorheben, aber an erster Stelle ist doch das zentrale Duo Parsifal und Kundry zu nennen, sprich Andreas Schager, der sich zu einem, momentan vielleicht dem, Heldentenor im Wagnerfach entwickelt hat, der sich tenoralem Glanz, Durchschlagskraft und doch die Effekte eines Operettentenors bewahrt hat. Anja Kampe ist ein dramatischer Sopran. Sie gibt der Kundry harte kräftige Züge; im zweiten Akt fehlt ein wenig die Schönheit, die Verführung in der Stimme. Dank tadelloser Stimmführung bleibt aber eine mädchenhafte Ausstrahlung. Günther Groissböck ist mit unendlich großem Stimmumfang und viel Volumen der zentrale Erzähler, der die Handlung vorantreibt. Seine nuancenreiche, facettenreiche und dynamisch geführte Baßstimme bleibt bis zum Schluß dominant.
Peter Mattei ist ein auch stimmlich leidender Amfortas. Seine dramatischen Schmerzensausbrüche sind glaubhaft und lassen das Publikum seine Emotionen mitfühlen. Eine große Bühnenpräsenz hat auch Evgeny Nikitin als ein bitterböser Klingsor. Er singt ihn unangestrengt mit großer Wucht und großer Wirkung. Der Titurel von Reinhard Hagen mit sonorer und ehrbarer Würde wird zu einer grandios besetzten Nebenrolle, was man auch von den Knappen und Gralsrittern sagen kann.

Musikalisch ist Philippe Jordan der Erfüllungsgehilfe der Regie. Er bleibt unauffällig und ohne Höhepunkte, aber es dirigiert ausgezeichnet; er leitet die Vorstellung solide und reibungsfrei. Großes Lob für den Chor, der auch unter den schwierigen Bedingungen brillieren kann, die auf die Regietheatereinfälle zurückzuführen sind. In den Gralszenen sieht man nur die Herren auf den Chorstufen, die Damen werden aus den „mittleren und höchsten Höhen“ per Lautsprecher entsprechend zugespielt. Der Chor der Blumenmädchen stehen zweigeteilt links und rechts vom Blumenbeet, aufgeteilt nach den Einsätzen und zugeteilt zu den beiden Gruppen der Solisten-Blumenmädchen. Unter diesen erschwerten Bedingungen ist es sehr erfreulich, daß sich nur kleinere Ungereimtheiten eingeschlichen haben, insgesamt eine beispielhafte Vorstellung, auch bei den Phrasierungen der einzelnen Stimmgruppen.

Fazit

Der heftige Jubel des Publikums für die Solisten dieser Parsifal-Produktion ist eindeutig. An der Pariser Staatsoper singt die derzeitige Weltelite. Das gilt auch für Chor und Orchester. Etwas zurückhaltender ist man bezüglich des Dirigats von Philippe Jordan, der ein solider Arbeiter zwischen allen Stühlen ist und ausbaden muß, daß die Regie hier eine betrügerische Sekte zeigt. Keine wirkliche Erleuchtung in den Gralszenen, keinen Karfreitagszauber, keinen Kampf um den wirkungslosen Speer, dafür viel Blut im Kampf ums „Wort“. Diese zentralen Szenen bleiben musikalisch wirkungslos, glanzlos. Parsifal kommt in eine heruntergekommene, langhaarige Gralswelt zurück, die er Hand in Hand mit Kundry gleich wieder verläßt, nachdem er Amfortas mit dem Speer getötet hat. Die Gralsgesellschaft löst sich auf, läßt alles fallen und folgt ihm – wahrscheinlich zum Friseur.

Oliver Hohlbach

Bild: Emilie Brouchon/Opéra national de Paris

Das Bild zeigt: Andreas Schager (Parsifal), Evgeny Nikitin (Klingsor), Anja Kampe (Kundry)

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