von Jan Pezold (*1972) und Henning Kothe (*1967), Kinder- und Jugendoper in zwölf Bildern, Libretto: Beide Komponisten nach dem gleichnamigen Roman von Cornelia Funke
Regie: Jennifer Toelstede, Bühne/Kostüme: Christof Cremer, Choreographie: Kati Heidebrecht, Licht: Falk Hampel, Video: Anna Zdrahal, Dramaturgie: Doris Fischer
Dirigent: Jan-Michael Krüger, Philharmonisches Orchester der Hansestad und Kinder- und Jugendchor des Theaters Lübeck und der Musik- und Kunstschule Lübeck
Solisten: Dominik Müller (Lung), Imke Looft (Schwefelfell), Alexander Wilbert (Ben), Moritz von Cube (Fliegenbein), Simon Rudoff (Nesselbrand), Peter Grünig (Professor Wiesengrund), Iuliia Tarasova (Seeschlange), Henning Kothe (Burr-burr-tschan), Madeleine Lauw (Lola Grauschwanz; Pilotin), Florian Weigel (Zwerg Kiesbart), Philipp Dietrich (Zwerg Mandelstein), Marlon Hangmann (Zwerg Gipsbart), André Janssen (Zwerg Bleiglanz; Rabe), Benedikt Al-Daimi (Dschinn Asif) u.v.a.
Besuchte Aufführung: 22. Juni 2018 (Uraufführung)
Die Menschen wollen das Tal der Drachen fluten. Der Silberdrache Lung begibt sich mit dem Waldkobold Schwefelfell und dem Waisenkind Ben auf die Suche nach dem Saum des Himmels, der im Himalaya liegt und wo die Drachen in Sicherheit leben können. Ihnen begegnen dabei Zwerge, Professoren, der Dschinn Asif, Staubelfen, eine Seeschlange und andere Fabelwesen. Ihr Feind Nesselbrand, der Drachen frißt, ist ihnen die ganze Zeit über auf den Fersen. Es gelingt ihm, seinen Spion, den Homunculus Fliegenbein, in die Gruppe einzuschmuggeln. Die Reise führt Lung, Schwefelfell, Ben und Fliegenbein über Ägypten nach Pakistan, wo sie den Kobold Burr-burr-tschan aus einer Höhle befreien, der ihnen den Weg zum Saum des Himmels zeigt. Mit Koboldspucke und Drachenfeuer besiegen sie Nesselbrand, indem sie seinen Panzer zum schmelzen bringen.
Aufführung
Die Produktion als Ganze zeichnet sich durch großen technischen Aufwand aus. Die meisten Solisten und Choristen treten außerdem noch in mehreren Rollen auf und müssen sich entsprechend häufig umziehen, was das Bühnenbild zusätzlich belebt. Vielseitigkeit war also gefragt. Einer der beiden Komponisten der Oper, Henning Kothe, trat beispielsweise als Chorist auf, tanzte eine Einlage auf einer riesigen Klaviatur in der Tempelszene in Pakistan und spielte die Rolle des vierarmigen Kobold Burr-burr-tschan. Neben den farbenprächtigen Kostümen für Darsteller und Chor sind viele Videoprojektionen zu sehen. Die zahlreichen Wechsel der Schauplätze – die Oper besteht aus 12 Bildern und 44 Szenen – werden in rascher Folge bühnenbildnerisch ansprechend umgesetzt. Bei den Flügen des Drachen zwischen den einzelnen Stationen des Abenteuers sieht man die Darsteller durch eine halbtransparente Leinwand hindurch über phantastische Landschaften schweben.
Ebenso bunt und einfallsreich wie die Personage des Funkeschen Romans sind auch die Kostüme. Hier sind neben vielen anderen das der Hauptfigur Lung, gespielt von Dominik Müller, und des Dschinn Asif, frei im Raum schwebend gespielt von Benedikt Al-Daimi, zu nennen. Auch an Spezialeffekten wurde nicht gespart. Das Schmelzen Nesselbrands, gespielt von Simon Rudoff, der in einem riesigen, zusammenfallenden goldenen Ballon verschwand, und das Auftauchen der Seeschlange gehörten hier zu den Höhepunkten. Neben der Romanvorlage spielt die Inszenierung auch auf populäre Youtube-Trends an, z.B. das derzeit virale Flossing, einen Musikvideo-Tanzstil.
Sänger und Orchester
Die Partitur verlangt unterschiedliche Gesangsstile von den Darstellern. Einige Rollen benötigen gute Darsteller mit deutlicher Aussprache und wären eher im Bereich des Schauspiels mit Musik oder des Musicals als der Oper anzusiedeln. Beinahe alle Darsteller singen und sprechen mit Mikrophon, so daß die Textverständlichkeit durchweg gewährleistet ist; das muß sie auch sein, denn Übertitel gibt es nicht. Hingegen werden einige Aufführungen mit Dolmetschern für Hör- und Sehgeschädigte erfolgen; über die jeweiligen Daten informiert die Homepage des Theaters Lübeck.
Die Hauptrolle des Ben ist für einen Tänzer geschrieben, der auch gut singen und sprechen können muß. Besetzt war sie mit Alexander Wilbert, der sich in seinen Sprechparts wacker schlug. Die Dialoge haben generell ein hohes Tempo und verlangen ein gerütteltes Maß an komischem Talent und Erfahrung mit einem jungen Publikum.
Sängerisch am anspruchsvollsten sind die Rolle der Seeschlange, ohne Verstärkung gesungen von der Mezzosopranistin Iuliia Tarasova, die ihre lyrische Partie hervorragend vortrug, und die Countertenorpartie des Fliegenbein, gesungen und mit flinkem Witz gespielt von Moritz von Cube. Imke Looft als mürrischer Waldkobold Schwefelfell spielte ihre komische Partie souverän und beherrschte in ihren Szenen das Bühnengeschehen. Besonders hervorzuheben ist schließlich noch das hervorragende Timing in den Einlagen der vier Zwerge (Florian Weigel als Zwerg Kiesbart, Philipp Dietrich als Zwerg Mandelstein, Marlon Hangmann als Zwerg Gipsbart und André Janssen als Zwerg Bleiglanz), die ein wenig Slapstick in die Handlung brachten. Hier saß jede Replik, Pointe und Bewegung.
Bemerkenswert an der gesamten Produktion ist die überragende Qualität der choreographischen Gestaltung. Die Auftritte der Kinderchöre, die mit viel Bewegung auf relativ engem Raum auszuführen sind, zeichneten sich durch ihre Sicherheit der Gruppierungen und im Vortrag aus.
Ein paar Worte noch über das Orchester, das hauptsächlich bei den Überleitungen zwischen den Szenen zum Einsatz kommt. Es handelt sich hierbei um ein Ensemble mit kleiner Streicherbesetzung, so daß vor allem die Bläsersätze stark herauskommen, die fein ausgehört sind. Klanglich erinnert der Orchesterpart zuweilen an Filmmusik – zuweilen mit regelrechten Zitaten wie dem James-Bond-Thema zu Beginn der Expedition – und untermalte als solche oft die Einspielung von Videoprojektionen. Bei den Gesangsnummern blieb das Instrumentalensemble unter der Leitung von Jan-Michael Krüger hingegen meist im Hintergrund und überließ den Darstellern die Bühne. Die rhythmische Koordination von Orchester und Sängern war tadellos.
Fazit
Die gesamte Spieldauer dieser Oper erstreckt sich über etwas mehr als zwei Stunden, was für eine Kinderoper recht lang ist. Dennoch kam bei dem jungen Publikum keine Langeweile auf. Dafür sorgte die Spielfreude der Akteure ebenso wie die üppige und abwechslungsreiche Ausstattung. Es gibt viel zu sehen und die Handlung entfaltet sich zügig. Besonders im ersten Akt greifen die schnell aufeinanderfolgenden Szenen ineinander; der zweite enthält stellenweise etwas zuviel an Dialog.
Die Handlung ist auch ohne Kenntnis der Romanvorlage problemlos zu verstehen. Sowohl das Stück als auch die Inszenierung sind als rundum gelungen zu bezeichnen. Allen jungen angehenden Operngängern zu empfehlen!
Dr. Martin Knust
Bild: Olaf Malzahn
Das Bild zeigt: Alexander Wilbert (Ben), Imke Looft (Schwefelfell), Dominik Müller (Lung)