Carmen
von George Bizet (1838-1875), Opéra comique in 4 Akten, Libretto: Henri Meilhac und Ludovic Halévy nach der Novelle Carmen von Prosper Mérimée, UA: 3. März 1875 Paris, Opéra-Comique
Regie: Kaspar Holten, Bühne: Es Devlin, Kostüme: Anja Vang Kragh, Licht: Bruno Poet, Video: Luke Halls, Choreographie: Signe Fabricius
Dirigent: Jordan de Souza, Wiener Symphoniker, Prager Philharmonischer Chor, Bregenzer Festspielchor, Kinderchor der Musikmittelschule Bregenz-Stadt, Choreinstudierung: Lukas Vasilek, Benjamin Lack.
Solisten: David Pomeroy (Don José), Kostas Smoriginas (Escamillo), Lena Belkina (Carmen), Corinne Winters (Micaëla), Leonie Renaud (Frasquita), Marion Lebègue (Mercédès), Adrian Clarke (Dancairo), Peter Marsh (Remendado), Sebastien Soules (Zuniga), Wolfgang Stefan Schwaiger (Moralès)
Besuchte Aufführung: 22. Juli 2018 auf der Seebühne
Beatrice Cenci
von Berthold Goldschmidt (1903-1996), Oper in drei Akten, Libretto: Martin Esslin, nach The Cenci von Percy Bysshe Shelly, deutsche Fassung von Berthold Goldschmidt, UA: 16 April 1988 London, Queen Elizabeth Hall (konzertant), UA: 10. April 1994 Magdeburg Opernhaus (szenisch)
Regie: Johannes Erath, Bühne: Katrin Connan, Kostüme: Katharina Tasch
Dirigent: Johannes Debus, Wiener Symphoniker, Prager Philharmonischer Chor, Choreinstudierung: Lukas Vasilek
Solisten: Christoph Pohl (Francesco Cenci), Dshamilja Kaiser (Lucrezia Cenci), Gal James (Beatrice Cenci), Christina Bock (Bernardo Cenci), Per Bach Nissen (Kardinal Camillo), Michael Laurenz (Prälat Orsino), Wolfgang Stefan Schwaiger (Auftragsmörder Marzio), Sebastian Soules (Auftragsmörder Olimpio), Peter Marsh (Richter), Lukas Hynek-Krämer (Colonna), Jan Bochnak (Offizier).
Besuchte Aufführung: 22. Juli 2018 im Festspielhaus
Bregenz liegt an der Nahtstelle zwischen Deutschland und der Schweiz, zwischen Bodensee und den Alpen. Die Region Bregenzer Wald ist wegen seiner kulinarischen Angebote, Wanderausflügen (z.B. auf der Käsestraße), den Bade- und Schiffsmöglichkeiten, der herrlichen Natur (Mainau, Reichenau) sehr begehrt Da sind die Bregenzer Seefestspiele das Tüpfelchen auf dem i. Am bekanntesten ist die Seebühne für 7.000 Personen, über die schon James Bond Toscas Auge jagte. Darüber hinaus gibt es kleinere Schauplätze wie das Festspielhaus (1.650 Plätze) und das Theater am Kornmarkt (550 Plätze). Neben der großen Oper auf der Seebühne, einer zweiten kleineren Opernproduktion im Festspielhaus, das sonst nur als Ausweichspielstädte für die Seebühne dienen würde, befinden sich im Portfolio noch kleinere Produktionen oder ein Opernstudio, um Nachwuchssängern Bühnenpraxis zu vermitteln – oder besser mit Regietheatereinfällen vertraut zu machen.
Aufführung
Die Opern auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele haben immer etwas mit dem See zu tun. Auch für die Carmen in der Regie von Kaspar Holten finden sich Möglichkeiten. So fahren Schmuggler im Boot vor, das Ballett tanzt halb im Wasser und Don Jose wird seine Carmen im Bodensee ertränken. Vor diesem Finale gibt es zwei Stunden lang eine zirkusartige Unterhaltung, inklusive Feuerwerk, Hochgebirgsklettern am Seil im Bühnenbild, Stierkampf-Pantomime und auf die Spielkarten raffinierte Projektionen von assoziativen Bildern oder Großaufnahmen der Liebesszenen. Diese 62 Spielkarten (respektive Projektionsflächen) werden von Spielerhänden in die Luft geworfen: Es ragen zwei riesige, nicht sehr gepflegte Frauenarme aus dem Bodensee – abgestoßene lackierte Fingernägel und zittrige Tätowierungen fallen auf. In der linken Hand glimmt eine Zigarette – Carmen arbeitet schließlich in einer Tabakfabrik.
Sänger und Orchester
Carmen ist rubinrot gekleidet, Fabrikarbeiterinnen blau, Ballett in Pink, das Militär zitronengelb (inklusive Don José), alle Gruppen farblich zusammenhängend, da kommt keine Verwirrung auf. Die Kostüme sind eine Mischung aus pseudo-spanischer Folklore und karibischen Feuer a la Fluch der Karibik – ergo sehr phantasievoll.
Der Hauptverdienst von Kaspar Holten ist, daß die Aufmerksamkeit der Zuschauer trotz all diesem Trubel und Gewimmel auf die Solisten gelenkt werden kann. Besonders die Solistinnen können beim Publikum punkten. Lena Belkina lebt den lasziven Ausdruck der Carmen sehnsuchtsvoll aus, Corinne Winters gibt eine großartige umjubelte jugendliche naive Micaëla vom Land. Genauso kindlich sind Marion Lebegue (Mercedes) und Leonie Renaud (Frasquita). David Pomeroy gibt dem Don Jose eine durchschlagsstarke tenorale Stimme, kann auch in den höheren Lagen technisch sauber intonieren. Kostas Smoriginas (Escamillo) ist ein solider Baßbariton, der auch in den Zwischenlagen mit viel Klangvolumen und sauber gehaltener Notenlinie punkten kann. Bei ihm klingt das Toreador! ganz einfach toll!
Jordan de Souza hätte ruhig etwas mehr Feuer bei den Solisten und den Wiener Symphonikern entfachen können, es wirkt stellenweise etwas zu gediegen. Dafür gelingt es ihm die dramatischen Momente mit den pseudospanisch-französischen Klangbildern Bizets zu zelebrieren – wie den Stierkampf oder das kurze Finale.
Fazit
Die Inszenierung der Carmen arbeitet sich genau der tatsächlichen Handlung entlang, ist bunt, plakativ und zeigt eindrucksvolle Tableaus und faszinierende Bilder – von der kletternden Micaëla bis zum Mord mit Ortsbezug – Carmen durch Ertränken. Es hat auf jeden Fall eine sehr positive Folge: es bewahrt das Touristenpublikum und die Opernfreunde vor allerlei unverständlichen Regieeinfällen. Zusammen mit einer durchaus soliden musikalischen Produktion stellt man das Publikum zufriedenem – heftigem Jubel. Zufriedenes Publikum macht auch positive Mundpropaganda und das beweisen auch die Zahlen: alle Vorstellungen ausverkauft!
Beatrice Cenci
Vorbemerkung
Die Handlung von Goldschmidts Oper greift auf ein tatsächliches Ereignis aus der römischen Renaissance zurück. Beatrice wird 22-jährig zusammen mit ihrer Stiefmutter Lucrezia hingerichtet. Sie waren schuldig befunden worden ob der Tötung ihres Vaters Francesco Cenci. Dieser war ein Tyrann, der Morden ließ und sich jedesmal mit hohen Bestechungssummen bei der Administration der Kirche freikaufte. Er sperrt seine Familie ein, als sie aufmuckt, vergewaltigt seine Tochter. Vor der Hinrichtung – nach der Folter – reift Beatrice zur emanzipierten Frau, während die Kirche, vertreten durch Kardinal Camillo, Nutznießer des ruchlosen Geschehens ist, indem sie sich das Vermögen der Cenci aneignet.
Aufführung
Passend dazu das Geschehen auf der Bühne, es findet Bilder jenseits einer billigen Karikatur. Nach der Pause, zur Einleitung vor der Hinrichtung, hören sich auf dem Grammophon der Kardinal und Prälat die musikalische Einleitung zur Hinrichtungsszene aus Puccinis Tosca an. Passend! denn auch Beatrice Cenci wird auf der Engelsburg hingerichtet. Handlung und Bühnenbild denken in Analogien, so ist ein spiraliger Zeittunnel das Gefängnis, in den die übrigen Protagonisten von allen Seiten ihre Köpfe hineinstecken. Die Kirche besteht aus einem gläsernen Altar, in dem der schnöde Mammon (Gold) oder nackte Frauen untergebracht sind. Eine monumentale Tafelrunde karikiert das heilige Abendmahl da Vincis. Alle Kostüme sind sehr farbenfroh der Renaissance entlehnt.
Sänger und Orchester
Auch macht es Goldschmidt seinen Sängern nicht leicht. Passend zur Geschichte wird den Stimmen ein Spektrum zwischen Belcanto, Puccini-Nachahmung, Rossini-Koloraturen und Atonalität bis zur Hochdramatik abverlangt. Gal James als Beatrice muß sich durch diese Anforderungen quälen. Und im furiosen und unendlichen Finale hat die israelische Sopranistin noch Kraft für ein tragendes Piano, um ihre Stimme auf lyrische nachdenkliche Momente einzustimmen. Christoph Pohl ist ein stimmgewaltiger Bariton, der mit herber Stimme dem bösartigen Francesco Cenci Raum verschafft. Die Entdeckung des Abends ist Per Bach Nissen als Kardinal Camillo, der als tiefer Baß mit großer Reichweite die Untiefen der Kirche auslotet. Michael Laurenz als Prälat Orsino und Dshamilja Kaiser als Lucrezia stehen mit sicherer Phrasierung für die Darstellung innerer Gefühle und äußerer Dramatik.
Johannes Debus und die Wiener Symphoniker gelingt es die Vielschichtigkeit dieser Musik aufzuzeigen und mit einem großen Bogen zu einer musikalischen Einheit zu formen. Da kann die Musik strahlen, leuchten, mit großer Wucht dramatische Momente zelebrieren, da können die Sänger mit sicherer Begleitung Koloraturen aussingen ohne in einem Klangteppich unterzugehen.
Fazit
Als zweite Opernproduktion wurde Beatrice Cenci für das Festspielhaus ausgewählt. Diese Oper von Berthold Goldschmidt ist nicht oft in den Spielplänen zu finden und wird hier erstmals in Goldschmidts deutscher Fassung gespielt. Das Werk ist eine richtige Belcanto-Oper geworden, dem die merkwürdige Mischung des römischen Stoffs und der wundervollen … Lyrik gut steht, enthält prachtvolle Partien, ist spannend, hochdramatisch und leicht aufzuführen. Das sagte Goldschmidt zu Recht über seine Partitur. Das Publikum reagiert hocherfreut und feiert auch die bunt-peppig-monumentale Inszenierung und die herausragende musikalische Umsetzung – das Meer aus brennenden Kerzen und das finale Requiem bleiben in Erinnerung!
Oliver Hohlbach
Bild: Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Das Bild zeigt: Lena Belkina (Carmen) Bild Mitte, Chor