Parsifal
von Richard Wagner (1813-1883), , Libretto: R. Wagner, Bühnenweihfestspiel in drei Akten, UA: 26. Juli 1882 Bayreuth, Festspielhaus
Regie: Uwe Eric Laufenberg, Bühne: Gisbert Jäkel
Dirigent: Semyon Bychkov, Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele, Choreinstudierung: Eberhard Friedrich
Solisten: Thomas J. Mayer (Amfortas), Tobias Kehrer (Titurel), Günther Groissböck (Gurnemanz), Andreas Schager (Parsifal), Derek Welton (Klingsor), Elena Pankratova (Kundry), u.a.
Besuchte Aufführung: 1. August 2018
Der Ring des Nibelungen – für Kinder
von Richard Wagner (1813-1883); Romantische Oper in drei Aufzügen; , Libretto: R. Wagner, Fassung von Katharina Wagner und Dorothea Becker, UA: 2018 Bayreuth-Probebühne IV
Regie: David Merz, Bühne : Julius T. Semmelmann
Dirigent: Azis Sadikovic, Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt (Oder)
Solisten: Jukka Rasilainen (Wotan, Wanderer), Vincent Wolfsteiner (Siegmund, Siegfried), Stefan Heibach (Loge), Simone Schröder (Fricka, Flosshilde), Daniela Köhler (Brünnhilde), Armin Kolarczyk (Alberich), Paul Kaufmann (Mime), Sebastian Pilgrim (Fasolt, Hunding), Christiane Kohl (Sieglinde), Timo Riihonen (Fafner, Hagen), u.a.
Besuchte Aufführung: 1. August 2018
Der Fliegende Holländer.
von Richard Wagner, Oper in drei Aufzügen, Libretto: R. Wagner, UA: 2. Januar 1843 Dresden, Königliches Hoftheater
Regie: Jan Philipp Gloger, Bühne: Christof Hetzer
Dirigent: Axel Kober, Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele, Choreinstudierung: Eberhard Friedrich
Solisten: Peter Rose (Daland), Ricarda Merbeth (Senta), Tomislav Muzek (Erik), Christa Mayer (Mary), Rainer Trost (Steuermann), John Lundgren (Holländer)
Besuchte Aufführung: 26. August 2018
Die Meistersinger von Nürnberg
von Richard Wagner, Oper in drei Aufzügen, Libretto: R. Wagner, UA: 21. Juni 1868 München, Nationaltheater
Regie: Barrie Kosky, Bühne: Rebecca Ringst
Dirigent: Philippe Jordan, Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele, Choreinstudierung: Eberhard Friedrich
Solisten: Michael Volle (Hans Sachs), Günther Groissböck (Veit Pogner), Johannes Martin Kränzle (Sixtus Beckmesser), Klaus Florian Vogt (Walther von Stolzing), Daniel Schmutzhard (Fritz Kothner), Daniel Behle (David), Emily Magee (Eva), Wiebke Lehmhuhl (Magdalene), Tobias Kehrer (Nachtwächter), u.a.
Besuchte Aufführung: 27. August 2018
Die Walküre (Erster Abend aus Der Ring des Nibelungen)
von Richard Wagner, Ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend, UA: 21. Juni 1868 München, Königliches Hof- und Nationaltheater
Regie: Frank Castorf, Bühne: Aleksandar Denic und Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Dirigent: Placido Domingo, Orchester der Bayreuther Festspiele
Solisten: Greer Grimsley (Wotan), Vincent Wolfsteiner (Siegmund), Tobias Kehrer (Hunding), Anja Kampe (Sieglinde), Catherine Foster (Brünnhilde), Marina Prudenskaya (Fricka)
Besuchte Aufführung: 29. August 2018
Das Festspielhaus und damit die Bayreuther Festspiele, wurden 1876 mit dem Ring des Nibelungen eröffnet – in der „abgelegenen Kleinstadt“ Bayreuth, um sich auf das Werk zu konzentrieren. Das wichtigste Werk war das Festspielhaus selbst. Einst gedacht, nach der Vorstellung abgebrannt zu werden, wird es nun generalsaniert. Zuerst wurde die Frontfassade saniert, nun folgte die Ostfassade. Nach der Festspielzeit 2018 werden noch größere Konzepte umgesetzt, wie Renovierung der Bühnentechnik oder der barrierefreie Zugang mit Einbau von Aufzügen. Auch nicht mehr neu: das Sicherheitskonzept! Man darf ab zwei Stunden vor der Vorstellung nicht mehr direkt vor dem Haus vorfahren, die Zufahrt zum Parkplatz geschieht jetzt über eine Nebenstraße hinter dem Festspielhauskomplex. Der Taxiplatz ist mitten im Festspielpark (Vorsicht Fußgänger!) und Behinderte müssen mit der Polizei verhandeln. Ein privater Sicherheitsdienst bewacht einen Gitterzaun um das Festspielhaus und verhindert so das direkte Umgehen des Hauses. Die Kosten für diese sicherheitssteigernde Maßnahme mit erheiterndem Moment werden später geregelt, erst einmal werden sie dem Vernehmen nach dem Etat für die nächste Ringkonzeption entnommen. Das Geld wird also erst 2020 benötigt – mal sehen, ob’s reicht!
Aufführung, Sänger und Orchester
Eigentliches Hauptaugenmerk liegt jedes Jahr auf der Eröffnungspremiere am 25. Juli. Dieses Jahr ist es eine, einen Tag vor der Premiere vorgestellte, Uraufführung eines Auftragswerks der Bayreuther Festspiele, die nicht im Rahmen der Festspiele im Festspielhaus stattfindet, sondern in dem alten Kinosaal Reichshof. Ursprünglich sollte es dem Vernehmen nach im neu eröffneten Markgräflichen Opernhaus aufgeführt werden, aber wegen der langen Schließdauer für Proben und Aufführungen, mußte man davon absehen. Schließlich soll das Opernhaus als Weltkulturerbe tagtäglich zur Besichtigung zur Verfügung stehen.
Bei dem Auftragswerk, der Uraufführung Der Verschwundene Hochzeiter für Klaus Lang geht es um einen Trachtler, der von einem Fremden zum Hochzeitsfest eingeladen wird und dort trotz Verbot zu lange tanzt. Als er nach Hause zurückkehrt, sind 300 Jahre verstrichen, er zerfällt zu Staub. Die Braut, die Teil dieser alpenländischen Sage ist, wird nicht thematisiert. So fokussiert die Handlung auf den Hochzeiter und auf einen virtuellen Doppelgänger, dessen Videoprojektionen mal mit dem Hochzeiter ineinander aufgehen, sich dann wieder von ihm trennen und ein Eigenleben führen. ´
Im Hintergrund geben zwei Fenster den Blick auf Projektionen von Alpenlandschaften frei. Oder auf Hochzeiter, die hereinblicken. Die Handlung läuft teils in Zeitlupe ab und der Zuschauer wird in den hypnotischen Sog des Bühnengeschehens aufgenommen. Dazu kommt, daß der Hochzeiter durch die abwechselnd agierenden Brüder Jiri und Otto Bubenicek dargestellt wird – inklusive ihrer interagierenden Projektionen.
Klaus Lang, Komponist und Dirigent schafft einen mathematisch exakt konstruierten Klangteppich, inklusive des Zitats einer Sarabande aus dem späten 17. Jahrhundert als Tanz. Es entsteht eine neue Art von Mischklang, deren Aufführung Aufgabe des Brüsseler Ictus-Ensembles ist. Bestehend aus Holz und Blech inklusive Saxophon, Streicher, Akkordeon, Klavier und Harmonium sind sie zusammen mit den Sängern, die sich mit ihrem Singsang ins Orchester integrieren – an beiden Längsseiten des Saales und auf der Empore aufgestellt – Musik kommt nie von der Bühne. Nach zweistündiger, pausenloser Vorstellung sehr freundlicher Beifall des Publikums, das mit der Aufnahme der modernen Musik an seine Aufnahmegrenzen zu kommen scheint.
Dem besonderen Interesse der Wagnerianer gilt die Wiederaufnahme des Parsifal. Weniger wegen dem im Sande verlaufenen Diskurs zwischen Islam und Christentum, zwischen Amfortas und Klingsor (Uwe Eric Laufenberg), sondern weil dies das wichtigste und letzte Werk des Meisters ist, das eigentlich ausschließlich dem grünen Hügel vorbehalten sein sollte. In vier Positionen neu besetzt, war man gespannt auf die neue Leitung von Semyon Bychkov, der die Nachfolge von Hartmut Haenchen antrat, und erwartungsgemäß ein sehr strukturiertes, klanggetreues, aber auch unspektakuläres Dirigat zelebrierte. Er könnte sich durchaus als langfristiger „Diener im Geiste Wagners“ am Haus anbieten. Auch sängerisch können die Solisten glänzen. Günther Groissböck als voluminöser kraftvoller Gurnemanz, Elena Pankratova als hochdramatische und nichtsdestoweniger liebestolle Kundry, Thomas J. Mayer als ewig leidender Amfortas und Andreas Schager in der Titelrolle sind mehr als festspielwürdig.
Eigentlich hätte das Publikum schon 2016 vom Holländer erlöst werden sollen, aber im ringlosen Jahr 2018 wird eine zusätzliche Oper mit Chor benötigt. Jan Philipp Gloger läßt den Holländer noch einmal pseudowitzig in einer Datenwelt stranden und versetzt ihn dann in eine Ventilatoren-Fabrik, um als Schlußgag die Produktion auf „Liebeslampen“ umzustellen – mit denen Daland und sein Prokurist Steuermann mehr Geld verdienen, zum Leidwesen des Hausmeisters Erik, der auf der Strecke bleibt. Auch sängerisch gibt es keinen Grund mehr die Produktion zu halten, obwohl Tomislav Muzek ein strahlend höhensicherer Erik ist und John Lundgren mit langem Atem seine Bayreutherfahrung als mächtiger Holländer ausspielt. Christa Mayer kann der Mary mit schwerem samtenen Mezzo stimmliche Konturen verleihen. Dagegen bleiben Ricarda Merbeth (zu viel Tremolo) und Peter Rose als Daland einfach zu farblos, zu verhalten.
Das mit Abstand beliebteste Werk sind Die Meistersinger von Nürnberg in der Regie von Barrie Kosky. Der erste Akt spielt als lustige Kaffee-Löffel-Klimper-Gesellschaft in der Villa Wahnfried. Franz Liszt und Hermann Levi sind gekommen, Cosima hat, laut Text, Migräne und Wagner kommt mit seinen Neufundländern. Man beginnt die Meistersinger nachzuspielen: Cosima wird Eva, die Hausdienerin wird deren Amme Magdalene, Vater Liszt der alte, reiche Pogner. Aus dem Flügel steigen Wagner-Doppelgänger für Stolzing und David, Wagner ist Sachs. Der Beckmesser wird Hermann Levi aufgenötigt, zunächst als Niete, der die Partitur nicht versteht, den man zu allem zwingen muß, später ist er nur noch eine häßliche Judenkarikatur auf die man einschlägt. Der platte Klamauk endet, wenn die Villa Wahnfried verschwindet und der Schwurgerichtssaal der Nürnberger Prozesse einzieht. Beckmesser muß während seines Ständchens einen Judenkopf tragen, nach der zerklopften (mit dem Hammer auf den Leisten und auf Beckmessers Kopf) Prügelfuge bläst sich eine häßliche Fratze als Judenkarikatur auf. Der dritte Akt, die Schusterstube und die Festwiese, werden zu einem Aussagemarathon vor einem imaginären Gerichtshof. Szenisch wurde in diesem Jahr viel gestrafft, eine grüne Wiese gestrichen – szenisch und choreographisch befindet man sich im Ziel, schreibt Festspielgeschichte. Musikalisch ist Philippe Jordan der Erfüllungsgehilfe der Regie. Er bleibt unauffällig und ohne Höhepunkte, aber es funktioniert im Ablauf ausgezeichnet, auch schwierige Szenen wie Prügelfuge und Einzug zur Festwiese sind zusammen. Und sängerisch gibt es viele Höhepunkte. Auf der Höhe der Zeit ist Michael Volle als Hans Sachs, der Beckmesser des Johannes M. Kränzle ist stets pointiert und wohlartikulierend. Klaus Florian Vogt ist als Walther immer noch der jugendliche Tenor vom Dienst, auch wenn es nicht mehr ganz so elegant vonstatten geht. Da singt Günther Groissböck den Veit Pogner als alten Mann viel solider. Emily Magee gibt der Eva bisher unerhörte lyrische Momente. Tosender Applaus!
Zum letzten Mal auf dem Spielplan steht der Ring des Nibelungen – zumindest zum Teil, denn es wird nur die Walküre aufgeführt. Zeit wird es, sich endlich und gebührend davon zu verabschieden. Die dekonstruktive Inszenierung bleibt heißumstritten, wurde aber mit einem komplett neuen Ensemble neu erarbeitet. Für drei Vorstellungen übernimmt Placido Domingo die musikalische Leitung. Bisher hat er (vor allem an der Wiener Staatsoper) nachdirigiert, d.h. bestehende Produktionen übernommen und einzelne Vorstellungen geleitet. Nun mußte er auch die Einstudierung übernehmen, was durch eine größere Anzahl musikalischer Assistenten geregelt wurde. In der Vorstellung übernahmen diese die Einsätze für die Solisten, während sich Domingo auf die Partitur und eine grundsätzliche Abstimmung mit dem Orchester konzentrierte. Eine wirklich spannende Interpretation der Walküre wurde es nicht. Auffällig, daß die Pausenzeiten gekürzt werden mußten, um den Abendspielplan einhalten zu können. Dennoch muß man Domingo für sein Engagement am grünen Hügel dankbar sein, seine souveräne und sympathische Art und Weise des Umgangs wird hoffentlich noch lange nachwirken. Die Abschiedsfeier stand im Zeichen dieser Walküre und die Solisten feierten gemeinsam. Catherine Foster ist eine herausragende Brünnhilde – mit viel Kraft, vollem Volumen, und dramatischer Durchschlagskraft – Weltklasse! Greer Grimsley gestaltet mit langem Atem, Ausdruckskraft und Reichweite in der Höhe und Tiefe Wotans Abschied, der lange unvergeßlich bleiben wird. Tobias Kehrer zeigt im Hunding mit tief fundiertem Baß bitterböse Strukturen auf, Marina Prudenskaya ist die keifige Fricka, Anja Kampe gibt der Sieglinde weiche, warme Züge.
Ein Publikumsrenner ist jedes Jahr die Kinderoper, beliebt bei Jung und (mehrheitlich!) Alt. Nun steht der gesamte Ring des Nibelungen auf dem Spielplan. Faszinierend wie man die komplexe Handlung um die Machtfrage zwischen Wotan und Alberich sowie das Schicksal der Protagonisten auf knapp zwei Stunden reduzieren kann. Heraus kommt eine kindgerechte Fassung, in der kaum Gewalt, aber viel bunte Bilder gezeigt werden. Als allgemeine Einführung in die Welten des Rings durchaus geeignet. Die musikalische Strichfassung verzichtet auf Chöre, die bekanntesten Auftritte der Solisten sind vorhanden. Vincent Wolfsteiner ist ein Heldentenor für die kleine Bühne als Siegmund und Siegfried. Stefan Heibach ist ein lyrisch, lustiger Loge, Jukka Rasilainen streitet als Wotan sehr schön mit Simone Schröder als drachenähnliche Fricka und stellt mit Wotans Abschied von Brünnhilde (Daniela Köhler) den musikalischen Höhepunkt. Die Kinder halten durch, da peppig und spannend. Alle sind zufrieden!
Fazit
Der Rückblick auf die Festspielsaison 2018 ist zwiespältig: Die Wiederaufnahme der Meistersinger wird zum Publikumsrenner, während die unverständliche blaue Insekten-Oper Lohengrin noch vom Premierenhype zehrt. Dagegen ist es Barrie Kosky erfolgreich gelungen im zweiten Jahr den Meistersingern eine Komödie überzustülpen, bei der das Lachen doch manchmal einfriert. Mit herausragenden Sängern und einer Bewegungschoreographie, die den hohen Aufwand rechtfertigt, stehen die Meistersinger in der Tradition der Herheim-Parsifal-Inszenierung und zählen somit zu den positiven Höhepunkten des Regietheaters. Das gilt natürlich nicht für den derzeitigen Parsifal in der Regie von Uwe Eric Laufenberg. So ließen sich beim Parsifal drei Dinge nicht realisieren: da hinter der Kuppel des Grals keine Gerüste aufgebaut werden können, sind auch keine Stimmen aus der Höhe zu hören. Weil während der Verwandlung ein Vorhang niedergeht, um einen Sternenfilm zu projizieren, kann man die Gralsglocken nicht auf der Bühne, sondern nur per Band und Lautsprecher einspielen. Und die Verwendung eines Kinderchores ist auch nicht möglich. Ebensolches gilt für den nicht existenten Karfreitagszauber, der durch „Nackedeis im Regenschauer“ als unbescholtene Natur gezeigt wird.
Allgemein scheint die Nachfrage zu sinken, jedenfalls nach diesen „unbeliebten“ Stücken. Die Premieren werden aber bis zu 416 € kosten – auch dank eines geänderten Sitzplans. Damit nähert man sich dem Preisniveau Salzburgs an. Die Absicht Wagners, seine Festspiele kostenlos durchzuführen, wird ein immer unwirklich werdender Traum. Die spannende Frage für kommendes Jahr ist – neben der Erwartung des Tannhäusers in der Regie des Tobias Kratzer – die Frage, ob Anna Netrebko und Piotr Beczala nur in zwei Lohengrin-Vorstellungen auftreten werden.
Oliver Hohlbach
Bilder: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Das Bild oben zeigt: Der Ring des Nibelungen – für Kinder:
Sebastian Pilgrim (Fasolt), Timo Riihonen (Fafner), Simone Schröder (Fricka), Jukka Rasilainen (Wotan), Paul Kaufmann (Mime)
Das Bild unten zeigt: Die Meistersinger von Nürnberg:
Michael Volle (Hans Sachs), Klaus Florian Vogt (Walther von Stolzing), Daniel Behle (David), Chor