Liederabend Jaroussky und Barath
Rezitative, Arien, Duette, Ouvertüren und Concertos
von Georg Friedrich Händel (1685-1759)
Solisten: Philippe Jaroussky (Countertenor), Emöke Barath (Sopran), Ensemble Artaserse
Besuchte Aufführung: 30. Juli 2018 im Haus für Mozart
Die Zauberflöte
von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Deutsche Oper in zwei Aufzügen, Libretto: Emanuel Schikaneder, UA: 20. September 1791, Wien, Theater im Freihaus auf der Wieden
Regie: Lydia Steier, Bühne: Katharina Schlipf, Kostüme: Ursula Kudrna
Dirigent: Constantinos Carydis, Wiener Philharmoniker, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Solisten: Matthias Goerne (Sarastro), Mauro Peter (Tamino), Tareq Nazmi (Sprecher / 1.Priester / 1.Geharnischter), Simon Bode (2. Priester / 1. Geharnischter), Hrachuhi Bassenz (Königin der Nacht), Christiane Karg (Pamina), Ilse Eerens (1. Dame), Paula Murrihy (2. Dame) Genevieve King (3. Dame), Adam Plachetka (Papageno), Maria Nazarova (Papagena), Michael Porter (Monostatos)
Besuchte Aufführung: 4. August 2018 (Großes Festspielhaus)
Camerata Salzburg
Siegfried-Idyll für Kammerorchester WWV 103
von Richard Wagner (1813-1883), UA: 28. Dezember 1870, Tribschen
Fünf Gedichte für eine Frauenstimme und Klavier WWV 91 (Wesendonck-Lieder)
von Richard Wagner (1813-1883), Instrumentiert für Altstimme und Kammerorchester von Hans Werner Henze, UA: 25. März 1977, Köln
Verklärte Nacht. Streichsextett op. 4
von Arnold Schönberg (1874-1951), UA: 18. März 1902 Wien, Kleiner Musikvereins-Saal
Dirigent: Roger Norrington, Camerata Salzburg, Elisabeth Kulman (Alt)
Besuchte Aufführung: 13. August 2018 im Großen Saal des Mozarteums
Wiener Philharmoniker
Symphonie Nr. 2 C-Dur op.61
von Robert Schumann (1810-1856), UA: 5. November 1846, Leipzig.
Messe Es-Dur op. 80 für Soli, Chor und Orchester
von Franz Schubert (1797-1828), UA: 4. Oktober 1829, Wien
Dirigent: Riccardo Muti, Wiener Philharmoniker, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Choreinstudierung: Ernst Raffelsberger
Solisten: Krassimira Stoyanova (Sopran), Alisa Kolosova (Alt), Michael Spyres (Tenor), Maciej Kwasnikowski (Tenor), Gianluca Buratto (Bass)
Besuchte Aufführung: 14. August 2018 im Großen Festspielhaus
L‘ INCORONAZIONE DI POPPEA – DIE KRÖNUNG DER POPPEA
von Claudio Monteverdi (1567-1643), Oper in einem Prolog und drei Akten, Libretto: Giovanni Francesco Busenello, UA: 1643 Venedig
Regie, Bühne und Choreographie: Jan Lauwers, Kostüme: Lemm&Barkey
Dirigent: William Christie, Les Arts Florissants, BODHI PROJECT & SEAD Salzburg Experimental Academy of Dance
Solisten: Sonya Yoncheva (Poppea), Kate Lindsey (Nerone), Stephanie d’Oustrac (Ottavia), Carlo Vistoli (Ottone), Renato Dolcini (Seneca), Ana Quintans (Virtù/Drusilla), Marcel Beekman (Nutrice/Famigliare), Dominique Visse (Arnalta), Lea Desandre (Amore/Valetto), Tamara Banjesevic (Fortuna/Damigella), Claire Debono (Pallade/Venere), u.a.
Besuchte Aufführung: 15. August 2018 im Haus für Mozart
West-Eastern Divan Orchestra 1
Looking for Palestine
von David Robert Coleman (*1969), UA: 9.August 2018, Aarhus
Symphonie Nr. 9 d-Moll WAB 109
von Anton Bruckner (1824-1896), UA: 2.April 1932, München.
Dirigent: Daniel Barenboim, West-Eastern Divan Orchestra, Elsa Dreisig (Sopran)
Besuchte Aufführung: 16. August 2018 im Großen Festspielhaus
Die Bassariden – The Bassarids
von Hans Werner Henze (1926-2012), Opera seria mit Intermezzo in einem Akt, Libretto: Wystan Hugh Auden und Chester Kallmann nach Euripides, UA am 6. April 1966 Salzburg
Regie: Krzysztof Warlikowski, Bühne und Kostüme: Malgorzata Szczesniak, Choreographie: Claude Bardouil
Dirigent: Kent Nagano, Wiener Philharmoniker, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Choreinstudierung: Huw Rhys James
Solisten: Sean Panikkar (Dionysos), Russell Braun (Pentheus, König von Theben), Willard White (Cadmus), Nikolai Schukoff (Teiresias/Calliope), Karoly Szemeredy (Captain/Adonis), Tanja A. Baumgartner (Agave/Venus), Vera-Lotte Böcker (Autonoe/Proserpine), Anna Maria Dur (Beroe)
Besuchte Aufführung: 19. August 2018 Felsenreitschule
Vorbemerkung
Salzburg steht für Kunst, Kultur, Mozart, aber auch für Prominentenrummel und Blitzlichtgewitter. Die hochpreisigen Festspiel-Produktionen bieten ein jährliches stattliches Angebot an Oper, Schauspiel und Konzerten. Von den Festspielhäusern ist es nur ein Schritt zur barocken Altstadt, zu den Wohnungen Mozarts, zur Residenz und Dom. Auf dem Domplatz wird der Jedermann aufgeführt, gleich daneben steht auch die Videoleinwand des Sponsors Siemens, die tagtäglich Touristen und Festspielgäste mit Übertragungen und Aufzeichnungen erfreut. Ebenso wenige Schritte entfernen die stets gut gefüllten Kaffeehäuser und Restaurants. Ausflüge in die nähere Umgebung bieten viele Möglichkeiten einer Seen- und Schlösserlandschaft im Alpenraum.
Aufführung, Sänger und Orchester
Die akustischen Verhältnisse im Haus für Mozart sind ideal für einen Liederabend mit kleinem Barockensemble. Das auf alte Musik spezialisierte Ensemble Artaserse wurde von einigen erfahrenen Musikern gegründet – dazu zählt auch Philippe Jaroussky. Der bekannte Countertenor hat mit diesem Ensemble eine breite Diskographie aufgebaut. Auch die Zusammenarbeit mit Emöke Barath ist hervorragend. Das zeichnet sich schon in der abgestimmten Harmonie im Duett Prendi da questo mano – Nimm mit dieser Hand aus der Oper Ariodante ab. Höhepunkt ist die Bravourarie Se bramate d’amar – Wenn ihr den lieben wollt in der Begleitung von Streichern, Oboen und Basso Continuo kann Jaroussky seine strahlende Höhe unter Beweis stellen. Die Eloquenz mit der er seine Stimme aus strahlenden Höhen in die allerhöchsten Kastraten-Höhen schraubt ist nahezu unfaßbar schön. Sichere Koloraturen, einen langen Atem und große Sprünge in der Tonhöhe nach oben und unten meistert auch Emöke Barath sicher. Die Arie der Cleopatra aus Giulio Cesare in Egitto Se pietà di me non senti – Fühlst du kein Erbarmen mit mir ist ein schönes Beispiel dafür. Das Publikum ist restlos begeistert. So muß sich ein barocker Liederabend anhören!
Die Aufführung der Zauberflöte steht von Anfang an unter keinem guten Stern: Die angesetzte Königin der Nacht muß absagen, als Ersatz wird Emma Posman vorgestellt. Die hoffnungsvolle Nachwuchskünstlerin singt als Teilnehmerin des Young Singers Project die Königin der Nacht aus der Zauberflöte für Kinder. Dank ihrer wirklich sauberen und glasklaren Koloraturen erhält sie die Möglichkeit, sich in der großen Opernpartie zu beweisen – völlig zu Recht. Die Regie hat einen Gute-Nacht-Geschichten erzählenden Großvater hinzuerfunden. Klaus Maria Brandauer liest im Stile eines sterilen Nachrichtensprechers den drei Knaben aus einem Buch vor. Die Handlung nimmt keine Fahrt auf, der Drache spuckt sein Feuer von der Seite „zum Fenster“ herein. Auch allgemein kommt auf dem verschiebbaren Gerüst mit diversen Zimmeraufbauten keine Stimmung auf. Die in der Endzeit der K.u.K. Monarchie angesiedelte Handlung zeigt Tamino als Offizier, das Reich des Sarastro ist ein makabrer, dunkler Zirkus, der mit den Spielereien des Praters nichts zu tun hat. Von Weisheit und Wissensprüfungen weit und breit keine Spur! Der Höhepunkt sind Filmausschnitte mit Kriegshandlungen aus dem Ersten Weltkrieg, die in Momentaufnahmen auch Kriegsverletzungen zeigen. Für Kinder unter 16 Jahren ist diese Produktion daher nicht geeignet. Traumata drohen auch in der Sängerbesetzung. Matthias Goerne ist mit völlig fehlender Tiefe eine Fehlbesetzung als Sarastro. Für Salzburg ein unhaltbarer Zustand. Wirklich Auffallen aus der Riege des Ensembles kann Michael Porter als Spieltenor in der Rolle des Monostatos, der als Höhepunkt der Eingriffe der Regie in die Partitur weil ein Diener häßlich ist singt – statt Schwarzer. Das Publikum reagiert sehr zurückhaltend beim Schlußapplaus.
Längst nicht mehr nur ein Geheimtip sind die Konzerte von Roger Norrington mit der Camerata Salzburg. Die drei Stücke des Abends jeweils in der Fassung für Kammerorchester erzählen eine aufeinander aufbauende Geschichte von Liebe und Sehnsucht. Das Siegfried-Idyll zeigt Norrington als strahlendes Heldenleben auf, der den vorwärtsstürmenden Siegfried vorwegnimmt. Die selten gespielte Fassung von Hans Werner Henze der Wesendonck-Lieder für Kammerorchester ist wie geschaffen für Elisabeth Kulmann, die sich selbst als „Mezzo-Sopran und Contralto“ bezeichnet. In dieser etwas tiefer gestimmten Fassung kann man ganz neue Klangbilder entdecken. Sollte es von diesem Vorstellung einen Mitschnitt geben, so wäre dies ein Standard für jede Sammlung hinsichtlich, Artikulation, Ausdruck, Gesangslinie und Lied-Gestaltung! Den Abschluß bildet Schönbergs Verklärte Nacht. Unter Norrington hört sich dieses Werk wie der Endpunkt der Romantik an, die heraufdämmernde Atonalität klingt wie dramatische Harmonik. Hysterischer Beifall ohne Zugaben für eine meisterhafte und inspirierende Interpretation dreier Meisterwerke.
Einen etwas zwiespältigen Eindruck hinterläßt das Konzert der Wiener Philharmoniker unter Riccardo Muti. Schumanns Symphonie Nr. 2 beginnt, endet und plätschert zwischendrin uninspiriert dahin. Sie stellt somit nur das lieblos heruntergespielte Vorspiel für Franz Schuberts Messe in Es-Dur dar. Grundlage der herausragenden Umsetzung ist das Solistenensemble, das sowohl in den solistischen Aufgaben über sich hinauswächst, aber auch in den beiden Solisten-Quartetten im Benedictus und im Agnus Dei eine harmonische Abstimmung von großer Prägnanz und voller Einfühlsamkeit erzielt. Die Philharmoniker und der Staatsopernchor sind sowieso eine aufeinander perfekt eingespielte Einheit und der Tutti-Klang der Streicher ist unübertroffen und unterstreicht die Wirkung der Musik von Franz Schubert. Aber in diesem Klangbild ist noch Platz für das gesungene Wort: Die Wortverständlichkeit ist immer gegeben. Hysterischer Beifall am Ende, aber keine Zugaben.
In Monteverdis Oper L’Incoronazione di Poppea bietet sich das Crossover mit dem Ballett an, um die innere Handlung näher zu erläutern. Jan Lauwers, hat sich darauf spezialisiert hat, bildende Kunst, Schauspiel und Ballett miteinander zu verweben, versucht nun dasselbe mit der Krönung der Poppea. Herausgekommen sind eher statische Monumentalbilder quer über die ganze Bühnenbreite, eine Menschenwand aneinander gereihter halbnackter Leiber, die den Sängern bei wirren Gestiken zusehen bzw. zuhören. Diese gruppieren sich meist um die in einer Vertiefung sitzenden Orchestermusiker herum – Les Arts Florissants stellt auch hier sein großes Können in der Darstellung Alter Musik in historisch korrekter Aufführung unter Beweis. Die große restliche Bühne nutzt die Abteilung Ausdruckstanz. In der Mitte steht immer ein Mitglied der Ballett-Truppe, der sich nur um sich selber dreht. Aber so können die Solisten stets den Kontakt zu William Christie halten. Schon beim Krönungspaar führt das zu einem hörbar positiven Ergebnis. Sonya Yoncheva leuchtet jede Nuance der Rolle der Poppea aus, da fühlt man ständig die lüsterne Lust. Kate Lindsey ist der entsprechende Gegenpol in der Hosenrolle des Nerone, der sich als korrupter Despot aufführt, der alles bekommt, was er will: Poppea. Was für ein Paar! Aber Stéphanie d’Oustrac als abgehalfterte Kaiserin Ottavia zeigt da keinen Unterschied zu Nerone. Schließlich sucht sie mit durchschlagsstarker Stimme einen Auftragskiller für ihn. Carlo Vistoli als leidtragender Ottone ist der Countertenor in dieser Produktion, der mit großer Intensität, langem Atem und treffsicherer Höhe ausgestattet ist. Der zweite Counter ist Dominique Visse: mit tollen Koloraturen wird Arnalta zu seiner Paraderolle, man verwechselt ihn bei fast gleicher Ammenkleidung mit dem dritten Counter Marcel Beekman als unauffällige Nutrice. Der jugendlich dynamischen Ana Quintans (Drusilla) gelingt es noch mit klarer Stimme, Aufmerksamkeit zu erregen, Renato Dolcini als Seneca gelingt das nicht. Das Publikum blendet die szenische Darstellung aus und bejubelt die musikalische Seite um William Christie lautstark und lange.
Für die Salzburger Festspiele sind die Konzerte namhafter Orchester immer von besonderer Bedeutung. Ein besonderer Höhepunkt ist der Auftritt des von Daniel Barenboim und seinem – inzwischen verstorbenen – palästinensischen Freund Edward Said 1999 gegründete West-Eastern Divan Orchestra. Denn es führt junge Musiker aus Israel und arabischen Staaten zusammen. Unter der Leitung von Daniel Barenboim stehen herausragende Werke der Musikgeschichte auf dem Programm.
Der erste Programmpunkt ist ein Auftragswerk für David R. Coleman Looking for Palestine. Die atonale Musik ist mit dem heutig-modernen Klangbild etwas gewöhnungsbedürftig und bedarf wohl noch etwas Zeit, bis sich das Publikum daran gewöhnt hat. Es ist die Vertonung eines Textes von Najla Said, der Tochter des Mitbegründers Edward Said. Es soll eine Hymne auf das Leben zwischen den Kulturen und politischen Fronten sein.
Anton Bruckners Neunte Symphonie löst gewaltige Emotionen im Publikum aus, wird von Barenboim sehr spannend und mit Gänsehautgefühl zelebriert und vom Publikum deutlich aufmerksamer verfolgt und sehr positiv aufgenommen. Er zeigt auf, wie Bruckner das Tor zur Moderne aufstößt und feiert eine überirdisch-friedvolle Entrückung am Schluß. Der Torso gebliebene letzte Satz wird weggelassen. Großer langanhaltender Jubel für diese denkwürdigen Konzerte.
Fazit
Salzburg bietet seinen Besuchern viele Möglichkeiten für Oper, Schauspiel oder Konzerte – live an vielen Spielorten, per Übertragung oder aus der Konserve. Einige Produktionen wurden im Fernsehen oder zeitversetzt auf die Leinwand am Domplatz übertragen und waren dann auch noch längere Zeit im Internet abrufbar. Ob das auf Dauer von Vorteil ist, wenn sich das Publikum vorab über die einzelnen Produktionen informieren kann und dann über den Besuch entscheidet, mag die Zukunft zeigen.
Wegen der szenischen Defizite ist die beste Produktion 2018 entweder die Bassariden oder die Italienerin in Algier als Übernahme von den Pfingstfestspielen unter Cecilia Bartoli (siehe ebenda). Diese beiden Produktionen waren genauso ausverkauft wie Salome oder Pique Dame, Dank herausragender Sängerbesetzung! Aber gerade im konzertanten Bereich kann man noch (allerdings teure) Karten an der Abendkasse erhalten. Da kann man gespannt sein, was der Spielplan im nächsten Jahr bietet.
Oliver Hohlbach und Wolfgang Bär
Bild: Salzburger Festspiele / Maarten Vanden Abeele
Das Bild zeigt: L’incoronazione di Poppea: Sonya Yoncheva (Poppea), Carlo Vistoli (Ottone)