von Georg Friedrich Händel(1685-1759), Oper in drei Akten, Libretto: Nicola Francesco Haym, UA: 13. Februar 1725 London, Haymarket Theatre
Regie: Klaus Guth, Bühne/Kostüme: Christian Schmidt, Licht: Joachim Klein, Choreographie: Ramses Sigl, Video: Andi Müller, Dramaturgie: Konrad Kuhn
Dirigent: Stefano Montanari, Orchester der Opéra de Lyon
Solisten: Sabina Puértolas (Rodelinda), Krystian Adam (Grimoaldo), Avery Amereau, (Eduige), Christopher Ainslie (Unulfo), Lawrence Zazzo (Bertarido), Jean-Sébastien Bou (Garibaldo), Fabián Augusto Gómez Bohórquez (Flavio)
Besuchte Aufführung: 15. Dezember 2018 (Premiere)
Koproduktion mit dem Teatro Real Madrid und dem Teatro Liceu Barcelona und der Oper Frankfurt
Händel brachte seine Rodelinda im Jahr 1725 zur Aufführung, als er schon etliche Erfolge als Opernkomponist in London vorweisen konnte. Zu dieser Zeit standen ihm die damals weltbesten Sänger wie Francesca Cuzzoni (Rodelinda) und der Kastrat Senesino (Bertarido) zur Verfügung. Im Vergleich zu anderen Opern wie Amadigi, Giulio Cesare oder Flavio, der in Rodelinda als kleines Kind eine stumme Rolle hat, wird in diesem Werk ein Schwerpunkt auf die inneren Prozesse der Figuren gesetzt. Beim Handlungsgeschehen wird alles Überflüssige fortgelassen und viel Raum für große Gefühlsschilderungen geschaffen. Mit der stummen Rolle des Flavio schuf Händel eine Besonderheit, die wir aus anderen Opern von ihm nicht kennen. Des weiteren verwendet er einen Kunstgriff, der in großem Stil erst im 19. Jahrhundert Verbreitung findet: ein Melodiefragment der Ouvertüre findet sich nahezu identisch in einer Arie des Garibaldo wieder: Di Cupido impiego i vanni / per salire al regal soglio – mit Hilfe der Flügel des Cupido will ich den Thron ersteigen. Hier wird das Motto der gesamten Oper musikalisch vorangestellt: man will durch vorgetäuschte oder echte Liebe die Herrschaft ergattern.
Kurzinhalt
Rodelinda glaubt, ihr Gatte Bertarido sei im Kampf gefallen. In Wahrheit hat Grimoaldo dieses Gerücht verbreiten lassen um sich sowohl die Herrschaft wie auch Rodelinda als Gattin zu sichern. Garibaldo hingegen will sich die Herrschaft erringen, indem er Bertaridos Schwester Eduige für sich gewinnt. Rodelinda nimmt den Antrag Grimoaldos an, wenn dieser es wagen würde, ihren Sohn zu töten und sich somit als Tyrann unter Beweis stellt. In der Zwischenzeit ist Bertarido zurückgekehrt und soll sich auf Rat seines Freundes Unulfo noch nicht zu erkennen geben. So bangt er um Rodelindas Treue und wird später von Grimoaldo bei einer Umarmung mit Rodelinda ertappt und in den Kerker geworfen. Zusammen mit Eduige beschließt Rodelinda, den Machenschaften ein Ende zu setzen und ihren Gatten zu befreien.
Aufführung
Die Inszenierung von Klaus Guth umschreibt während des Vorspiels mit einer handgezeichneten Video-Animation die Vorgeschichte und die Personenkonstellation. Mit klaren Federstrichen und Symbolen kann man die Verworrenheit der Umstände auflösen und ist für das weitere Geschehen gut vorbereitet. Es folgt eine kurze Pantomime mit den Akteuren, die wohl auch das vorige Geschehen skizzieren soll. Der Zuschauer kann hier leider nicht wissen, bei wem es sich um wen handelt und steht vor einem Rätsel. Was folgt, ist eine ansehnliche Architektur mit Außen- und Innenansicht im klassizistischen Stil. Da ist ein Schlafzimmer, ein Eßzimmer, ein Treppenhaus und eine Hausfassade, alles in Weiß. Ganz im Gegensatz zur Kleidung der Figuren. Diese sind fast ausschließlich in Schwarz gekleidet, lediglich Rodelinda bewegt sich in einem weißen Kleid. Die einzelnen Bilder sind greifbar aus der Handlung heraus entwickelt, es entsteht eine groteske Familiensituation während des Essens, und auch die Geister der Ahnen spuken immer wieder durch die Szene. Und dann ist da noch die stumme Rolle des Flavio. Ein autistisch-psychotisches Kind, gespielt von Fabián Augusto Gómez Bohórquez, welcher sich bald in Schockstarre befindet, bald in beinahe zirkusartistische Aktionen verfällt. Am Ende erweist er sich als derjenige, der während der Handlung bis zum lieto fine einen unübersehbar inneren Schaden erlitten hat.
Sänger und Orchester
Stefano Montanari präsentiert dem Publikum einen frischen und unverbrauchten Händel, der allerlei Klangfarben und Schattierungen kennt. Die Ouvertüre fliegt rasch dahin, die Kontrapunktik ist transparent und die Klangfarben wohl ausgewogen. Ihm steht ein beeindruckendes Sängerteam zur Seite, das aufhorchen läßt. Allen voran Sabina Puértolas als Rodelinda. Sie ist ein sanfter Sopran ohne jede Schärfe, die, wenn sie überzeugen will, nicht wie viele Kolleginnen zwanghaft ins Laute verfällt. Alles ist sehr zart und fein erarbeitet und gefällt in jedem Register dem Ohr des Zuschauers. Ebenso ist Krystian Adam als Grimoaldo zu erwähnen. Der Tenor hat eine große Strahlkraft und einen starken Atem. Sein Timbre ist warm und hell. Vor allem die Klarheit seiner Akzentuierung läßt aufhorchen. Gerade im Rezitativ erkennt man eine Orientierung am Notentext, die in rhythmischer Hinsicht viel Frische versprüht, da er sich weitgehend an die vorgegebene Notation hält (vielen Sänger ist dieser einfache Schritt bislang nicht deutlich geworden).
Avery Amereau als Eduige ist ein schwerer Mezzosopran mit einem Schuß Melancholie. Ihr fehlt noch ein wenig die Flexibilität und Leichtigkeit in der Stimme, jedoch kann sie durch starke Bühnenpräsenz wieder einiges wett machen. Ein Star des Abends war selbstverständlich Lawrence Zazzo als Bertarido. Sein Timbre strahlt, seine Technik ist in aller Hinsicht überzeugend und so ist nicht nur bei seiner letzten Arie Vivi tiranno – lebe, Tyrann der stürmische Applaus hoch verdient. Etwas farblos bleibt leider Christopher Ainslie als Unulfo, dem es ein wenig an Glanz und Ausdruckskraft fehlt. Er bleibt im ganzen etwas zu brav und könnte sicherlich ebenfalls aus einer seiner Arien einen Höhepunkt machen. Jean-Sébastien Bou als Garibaldo ist ein sonorer Baß, der seiner Rolle als Bösewicht und Pechvogel gesanglich ebenfalls alle Ehre macht! Eine sehr transparente Textverständlichkeit zieht sich durch den gesamten Abend. Auch im Rezitativgesang achtet Montanari auf Be- und Entschleunigungen und erzeugt so in den Dialogen lebendige Spannungsbögen.
Fazit
Diese Rodelinda ist ein mitreißender Abend, währenddessen die über drei Stunden Musik in jeder Hinsicht kurzweilig ist. Man erlebt das Stück ohne sonderliche Kürzungen und am Ende folgt ein stürmischer Applaus, auch für das Regieteam.
Daniel Rilling
Bild: Jean-Pierre Maurin
Das Bild zeigt: Lawrence Zazzo (Bertarido), auf der Treppe: Fabián Augusto Gómez Bohórquez (Flavio), Sabina Puértolas (Rodelinda)