ROM – TERME DI CARACALLA

Seit einem halben Jahrhundert zieht das das römische Opernhaus im Sommer in die antiken Caracalla-Thermen um. Die Kulisse zieht Römer wie Touristen in Scharen an: die gigantischen Ruinen erstrahlen im warmen Licht des Sonnenuntergangs; Möwen und Zikaden erfüllen die Luft mit ihren Lauten. Das ist Rom. Rom ist aber auch, daß Motorräder am Thermengelände vorbeirauschen und daß eine Parteifeier auf dem Nachbarareal ihre Diskomusik so laut aufdreht, daß der Orchesterklang unterzugehen droht. Eine urrömische Oper bildete dann auch den Auftakt der Sommersaison: Tosca. Doch eigentliches Zugpferd des Festivals war Carmen. In der Besetzung der Titelrolle mit Elīna Garanča fand Rom eine Publikumsmagnet und auch seinen Festspielstar.

Kurzinhalt
Tosca und Carmen – zwei Opern, die einander mit einer Titelheldin und dem Sujet von Liebe, Eifersucht, Freiheit und Tod ähneln, aber doch sehr unterschiedlich sind: Hier die eifersüchtige Tosca, die aus Liebe mordet und die freie Vereinigung mit ihrem Geliebten nur im Tod findet – dort die verführerische Carmen, die ihre Freiheit so sehr liebt, dass sie sogar akzeptiert, aus Eifersucht getötet zu werden.
Tosca
von Giacomo Puccini (1858-1924), Melodramma in drei Akten
Regie: Franco Ripa de Meana, Kostüme: Silvia Aymonino, Bühnenbild: Edoardo Sanchi, Licht: Agostino Angelici, Dirigent: Paolo Olmi, Orchester und Chor des Teatro dell’Opera, Rom; Solisten: Micaela Carosi/Virginia Todisco (Floria Tosca), Fabio Armiliato/Valter Borin (Cavaradossi), Giorgio Surian/Giovanni Meoni (Scarpia) u.a. (zweiter Name: Zweitbesetzung 17. Juni)
Besuchte Aufführungen: 16. und 17. Juli 2009 (Premiere 14.Juli 2009, Neuproduktion)
Aufführung
caracalla-tosca.jpgEine große Bühne will gefüllt werden: Dies gelingt mit einem einfachen, aber einfallsreichem Trick: Ein Stadtplan Roms, auf dem die Schauplätze blutrot eingekringelt sind, ist das Bühnenbild. Auch der Tiber ist bedeutungsschwanger rot gefärbt. Trotzdem wirkt die Bühne nicht leer, da die Personenregie viel Raumbewegung vorsieht und Massen an Statisten auftreten läßt. Kleine Spezialeffekte begeistern die Festspielgänger. Die Kostüme allerdings sind weniger überzeugend: Auf dem Gelände der Thermen werden wunderbare historische Kostüme ausgestellt, und man erwartet nun Ähnliches. Doch enttäuschen um so mehr Scarpias schlichte schwarze Robe und Toscas Kleid in geschmackloser Pink. Hervorzuheben ist die Lichtregie, die die Ruinen im Hintergrund in verschiedenen Farben vom eifersüchtigen Grün bis zum todbringenden Rot anleuchtet.
Sänger und Orchester
Während Chor und Orchester hohes Niveau bieten – zu loben ist die das saubere, kraftvolle Spiel der Blechbläser – schwanken die Leistungen der Sänger enorm: Micaela Carosi (Tosca) scheint sich im ersten Akt noch warm zu singen. Die Zweitbesetzung Virginia Todisco ist zwar von Anfang an stimmlich präsent, schwächelt aber szenisch. Fabio Armiliato gibt einen guten Cavaradossi, man könnte kaum mäkeln, wenn Valter Borin dieselbe Partie nicht mit so viel mehr Brillanz interpretierte. Sein E lucevan le stelle – Und es blitzten die Sterne ging unter dem Sternenhimmel Roms jedem unter die Haut! Giorgio Surian (Scarpia) hat weder die körperliche noch stimmliche Präsenz für einen Opernbösewicht. Anders Giovanni Meoni mit seinem profunden Bassbariton.

Carmen
von George Bizet (1838-1875), Opéra comique in drei Akten
Regie/Bühnenbild/Kostüme/Licht: Renzo Giacchieri; Dirigent: Karel Mark Chichon, Orchester, Chor und Ballett des Teatro dell’Opera; Solisten: Elīna Garanča/Irini Karaianni (Carmen), Valter Borin/Andrea Carè (Don José), Carlo Colombara/Dario Solari (Escamillo), Ermonela Jaho/Francesca Sassu (Micaëla) u.a.
Besuchte Aufführungen: 29. (Premiere, Neuproduktion) und 31. Juli 2009
Aufführung
carman-caracalla.jpgEine einzige Kostümschlacht! Im Gegensatz zu Tosca ist an Stoff und Requisite nicht gespart: Eine Brücke ist Grundstock für das Bühnenbild, die auch zur Zimmerwand oder Stierkampfarena umgebaut wird. Rundherum Blumen, Tischen, Kisten… Statisterie und Flamencotänzern fehlen ebenso wenig. Das ist bestimmt nicht jedermanns Geschmack, aber eine Abwechslung zu den oft kargen Kulissen der deutschen Theaterlandschaft.
Sänger und Orchester
Freilichtaufführungen bergen akustische Probleme. Sänger und Orchester sind unsynchron, der Dirigent hat Mühe, die Interpreten beieinander zu halten. So könnte man auch hier meinen: Andrea Carè (Don José) und Irini Karaianni (Carmen) treffen kaum die Töne, schleppen und überspielen diese Unsicherheiten mit übertriebenem Vibrato. Daß dies jedoch nicht mit Spielstätte oder Dirigent Karel Mark Chichon zusammenhängt, bewies die Premiere: Valter Borin glänzt auch als Don José und verleiht mit lockerer Stimme dem Gefühlschaos Don Josés Ausdruck. Doch selbst dieses Können wird durch das Auftreten von Elīna Garanča überboten: Diese Frau hat nicht nur das nötige Aussehen, die Eleganz und den Charme, um Carmen zu sein, ihr stimmliches Potenzial ist umwerfend! Jeder Ton sitzt und selbst Tanzen kann sie noch dabei! So kann man nachvollziehen, daß einer Carmen die Männer reihenweise verfallen – und daß Elīna Garanča ihren Erfolg mehr als verdient hat!
Fazit
Ein Festival für Liebhaber, nicht für Kenner: Das zeigt die Wahl zweier Opernkassenschlager für die diesjährigen Neuinszenierungen. Hier kann man mit Kartoffelchips und Eistüte hohe Kunst genießen, Hits werden mitgebrummt und mitdirigiert. Hier mischen sich die Stars auch mal unter das Publikum: ganz ohne Allüren lauscht Elīna Garanča ihren Kollegen und amüsiert sich mit ihren Fans über das liebenswert in breitestem Italienisch ausgesprochene Französisch des Chores. Auch das ist Rom!
Christine Lauter

Bilder: Corrado Maria Falsini

Tosca: Das Bild zeigt Micaela Carosi (Tosca) und Fabio Armiliato (Cavaradossi) im dritten Akt.

Carmen: Das Bild zeigt Valter Borin (Don José) und Elīna Garanča (Carmen) im zweiten Akt.

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