Die Herzogin von Chicago – Musikalische Komödie im Haus Dreilinden (Oper Leipzig)

von Emmerich Kalman (1882-1953), Operette in zwei Akten mit Vor- und Nachspiel, Libretto: Julius Brammer und Alfred Grünwald, UA: 6. April 1928 Wien, Theater an der Wien

Regie: Ulrich Wiggers, Bühnenbild/Kostüme: Leif-Erik Heine, Choreographie: Kati Heidebrecht

Dirigent: Tobias Engeli, Orchester, Chor und Ballett der Musikalischen Komödie, Kinder des Kinderchores der Oper Leipzig, Choreinstudierung: Mathias Drechsler und Sophie Bauer

Solisten: Lilli Wünscher (Mary Lloyd), Radoslaw Rydlewski (Prinz Sandor Boris), Laura Scherwitzl (Prinzessin Rosemarie), Jeffery Krueger (James Bondy), Milko Milev (König Pankraz/Benjamin Lloyd), Justus Seeger (Tihanyi), Ansgar Schäfer (Graf Bojazowitsch – Finanzminister), u.a.

Besuchte Aufführung: 20. Oktober 2018 (Premiere)

Kurzinhalt

In Budapest ist 1928 das Charleston-Fieber ausgebrochen. Sandor Boris, der Erbprinz von Sylvarien, setzt dagegen auf Csárdás und Walzer – bestellt beim Primas ein Wiener Lied. Da tritt Milliardärstocher Mary Lloyd samt Sekretär James Bondy ein. Es kommt zum musikalischen Streit als sich Prinz Sandor weigert, mit ihr Charleston zu tanzen. Im Schloß des Prinzen treffen sie sich wieder, da Mary Lloyd gewettet hat, in Europa das zu erstehen, was für Geld am schwersten zu bekommen ist. Sie kauft das Schloß und renoviert es im amerikanischen Stil. Sie lernt Wiener Walzer, er  Charleston, aber als er sich als Ziel der Wette erkennt, schiebt er lieber eine Verlobung mit Prinzessin Rosemarie vor, die jedoch mit James Bondy durchbrennt. Als König Pankraz versucht, das Geld für die Staatskasse zu retten, einigt sich Mary mit Sandor lieber auf einen Slowfox als Happy End.

Aufführung

Zwei Treppen führen zu zwei Balkonen links und rechts, dazwischen ist, in der Mitte eingezwängt, eine Empore wie ein überdimensionaler Thron. Dieser Raum im Art Deco ist zuerst das Budapester Grill Americaine, in dem sich Erbprinz und Erbin das erste Mal begegnen. Mit ein paar leichten Änderungen (die Panelwände unterhalb der Balkone sind drehbar und zeigen mal Ritterrüstungen, mal mondäne Leuchter) ist es aber zugleich das Schloß des Prinzen Sandor Boris.

Die Kulisse mag spartanisch sein, die Kostüme sind ein echter Hingucker: Über 240 Kostüme hat Leif-Erik Heine geschaffen: Von der prachtvollen Gala-Uniform über zu kurze Nachgewänder, Fracks mit viel Glitter und Folklore-Tanzgewänder, einen halben Bären, den König Pankraz trägt, bis zu dem extravaganten Stars and Stripes-Outfit für Uncle-Sam-Bondy. Und noch weit darüber hinaus: bärtige Libertys und rudernde Ureinwohner der Prärie, Spielzeugprinzen und ein Rosenpavillon – eine echte und luxuriöse Ausstattungsrevue, die mit dem Glanz der zwanziger Jahre in Berlin, Wien und Paris mithalten kann.

Sänger und Orchester

Die Musikalische Komödie Leipzig verfügt über ein ausgewogenes Operettenensemble. Allen voran ist Radoslaw Rydlewski zu nennen, der den Erbprinz Sándor verkörpert als sei ihm die Rolle auf den Leib geschneidert und für ihn komponiert. Wenn er wehmütig von alten Zeiten schwärmt, in denen alles schön und anders war, wenn er sich für die amerikanische Milliardärstochter entflammt sich in Sehnsucht verzehrt nach „Früher und Liebe“, wenn er ausgelassen tanzt und zornig bebt, wenn schließlich sein wunderbar schlanker, glänzender, höhensicherer, geschmeidiger Tenor besticht, dann wünscht man, er würde niemals damit aufhören.

Lilli Wünscher verkörpert die Titelpartie, die exzentrische, verwöhnte, leicht entflammbare Milliardärstochter Mary Lloyd. Sie ist die Grande Dame am Haus und bekommt im Verlauf der Vorstellung sowohl ihr Vibrato in den Griff als auch die Intonation. Dann klingt ihr Sopran in tiefen und mittleren Lagen warm, üppig und schön. Milko Milev brilliert in der Doppelrolle als Milliardär Lloyd und König Pankraz, genauso wie Justus Seeger als Nachtclub-Besitzer Tihanyi.

Eine wichtige Rolle spielt Thomas Prokein als Zigeunergeiger mit Zweitinstrument Saxophon. Eine kleine Rolle spielt Ansgar Schäfer als Finanzminister Graf Bojazowitsch. Das Ballett hat eine abend- und bühnenfüllende Rolle, tritt zusammen mit dem bestens aufgestellten Chor auf. Einen sensationell schönen Auftritt hat der von Sophie Bauer betreute Kinderchor der Oper als paradierende Kindersoldaten.

Fazit

Diese Operette läßt den musikalischen Kampf zwischen Jazz und Csárdás, Foxtrott und Walzer, Charleston und Folklore Ende der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts als kostbaren Moment noch einmal aufleben. Zuerst einmal lebt die Vorstellung von der Vielschichtigkeit bzw. Vielstimmigkeit des Orchester (von der Jazzband bis zum Geiger-Primas), von den charismatischen Sänger-Darstellern und einer mitreißenden Choreographie von Chor und Ballett in bunten Kostümen, die von einem Höhepunkt zum nächsten eilen – die Umsetzung der Rose der Prairie ist unvergeßlich! Zweieinhalb Stunden lang ein opulenter Bildermusikrausch eines leicht gekürzten Meilensteines am Ende der Operettenära, der es verdient hätte viel öfter in den Spielplänen aufzutauchen! Tosende Begeisterung des Publikums am Schluß!

Oliver Hohlbach

Bild: Kirsten Nijhof

Das Bild zeigt: Das Ballett in Aktion

Veröffentlicht unter Opern