von Jean-Philippe Rameau (1683-1764), Ballet bouffon in einem Prolog und drei Akten, Libretto: Adrien-Joseph Le Valois d’Orville nach Jacques Autreau, Fassung 1749, UA: 31. März 1745, Versailles; Les Grande Édurie
Regie: Rolando Villazòn, Bühnenbild: Harald Thor, Kostüme: Susanne Hubrich, Choreographie: Philippe Giraudeau
Dirigent: Paul Agnew, Sächsische Staatskapelle und Sächsischer Staatsopernchor, Choreinstudierung: Cornelius Volke.
Solisten: Philippe Talbot (Platée), Inga Kalna (La Folie), Mark Milhofer (Thespis/Mercure), Andreas Wolf (Jupiter), Ute Selbig (Junon), Sebastian Wartig (Momus), Giorgio Caoduro (Cithéron/Ein Satyr), Julia Maria Dan (Thalie/Clarine), Tania Lorenzo (Amour), u.a.
Besuchte Aufführung: 6. April 2019 (Premiere)
Momus, Thespis und Thalia kündigen an, das Publikum mit einem Spiel zu unterhalten, bei der Götter und Menschen lächerlich gemacht werden. Eine ausgelassene, von einem Spielmacher (La Folie) angeheizte Komödie beginnt: Cithéron und sein Volk leiden unter schlechtem Wetter, verursacht durch die chronische Eifersucht von Jupiters Gattin Junon. Gemeinsam mit dem Götterboten Mercure findet Cithéron die Lösung: eine Intrige muß her, um Junon die Eifersucht ein für alle Mal auszutreiben. So macht sich Jupiter an die häßliche, in einem Sumpf lebende Nymphe Platée heran und läßt verbreiten, er wolle sie heiraten. Junon platzt empört in die Scheinhochzeit und reißt Platée den Schleier vom Kopf. Zerknirscht durchschaut die Göttergattin die Intrige, während die gedemütigte Platée unter allgemeinem Gelächter in ihre Sümpfe flieht.
Aufführung
Eines kann man dieser Produktion attestieren: man hat mit viel Aufwand ein komplexes Einheitsbühnenbild gebaut, das immer wieder blitzschnell verändert werden kann, um Details zu ändern und Auftrittsmöglichkeiten für bühnenfüllende Arrangements der Solisten zu schaffen. Auch für Kostüme und Choreographie der Statisten der Kuscheltiere-Tanzgruppe wurde ein großer Aufwand betrieben. Die Mitte der Bühne ist ein großer Platz vor einer modernen Schul-Cafeteria. Die Theke befindet sich links in einem gewölbten Mauerdurchbruch, eine weitere halbhohe Mauer begrenzt nach hinten und rechts, eine Betondecke wölbt sich über den Platz. Mittels eines heruntergelassenen Bühnenprospekts und Beleuchtung verwandelt es sich in eine Sumpflandschaft. Die handelnden Personen sind Schüler einer Lehranstalt, erkennbar an Schuluniformen mit Mützen und Bändern. Platée ist keine Nymphe, sondern ein Schüler mit grünen Haaren, der lieber ein Mädchen sein möchte, im Rock herumläuft und das Thema „Gender“ in diese Oper bringt – auf der Suche nach der Toilette für das „dritte“ Geschlecht. Außerdem spielt er mit Puppen, die von der Tanzgruppe gedoppelt und damit zum Leben erweckt werden. Er wird für eine Intrige gegen die eifersüchtige Freundin des unangefochtenen Schülersprechers verwendet – die vom Aussehen und der Stimme her auch die Mutter des Rektors sein könnte.
Sänger und Orchester
Paul Agnew hat die Haute-Contre-Tenor-Rolle der titelgebenden Nymphe Platée an großen Häusern erfolgreich gegeben. Nun steht er der Staatskapelle Dresden vor, die mit ca. 40 Mitgliedern im Orchestergraben sitzt, während die übrigen Mitglieder in Salzburg für die Meistersinger proben. Er bemüht sich redlich, glaubwürdige barocke Klangbilder zu erzeugen.
Seine Rolle der Platée übernimmt Philippe Talbot, der keine Probleme hat auch in die höchsten Höhen des D‘‘ vorzudringen, fast ohne Falsett, aber ohne zu stemmen. Die Arie des Narren La Folie Aux langueurs d’Apollon wird bei Inga Kalna mit viel Kraft zu einer Art italienischer Bravourarie, einem Beispiel für die gelungene Mischung aus spöttischem Lachen und dem feierlichen Schwelgen zum Ruhm der Götter – respektive eines französischen Thronfolgers. Zu dessen Hochzeit mit einer legendär häßlichen Prinzessin uraufgeführt, gibt sie gewisse Rückschlüsse auf die Rolle des Narren.
Der zweite Tenor in diesem Stück darf sich wie ein echter Tenor gerieren: Mark Milhofer hat ausreichend Erfahrung mit alter Musik und gestaltet die Rollen als Thespis und Mercure mit einer gelungenen Charakterisierung. Andreas Wolf ist ein durchschlagsstarker Baßbariton, er gibt den Göttervater Jupiter mit Wohlklang in der Stimme.
Fazit
Der Abend läßt viele Fragen offen. Zwar ist es lobenswert, daß sich die Semperoper wieder einmal an der Alten Musik versucht. Aber es zeigt sich, daß die Staatskapelle ein moderner Klangkörper ist, der im aktuellen Opernbetrieb der Romantik und der Klassik fest verwurzelt ist. Da hilft es auch nichts, daß man sich einen Spezialisten der Alten Musik holt, der noch dazu die Rolle der Platée mit großem Erfolg gesungen hat – auch in Paris unter Mark Minkowski und Laurent Pelly. Schon das Vibrato des Streicherklanges kann Paul Agnew nicht begrenzen, von barocken Klangbildern, Instrumenten oder Darmsaiten kann man nichts hören. Nur wenige der Solisten haben sich mit französischer Barockmusik, der Phrasierung oder Aussprache wirklich auseinander gesetzt und können das auch umsetzen. Wer sich mit Rameau-Aufführungen in Paris bzw. Versailles beschäftigt hat, kann die Unterschiede deutlich erkennen: Das Werk klingt eher wie eine unbekannte Oper aus dem aktuellen Opernrepertoire, vom aktuellen Stand der Rezeption allgemeiner oder im speziellen französischer Alter Musik ist man in Dresden (das früher einmal eng mit Hasse verbunden war(!)) weit entfernt.
Szenisch gibt es einen großen Pluspunkt: Die halbhäßlichen Puppen, die mit großem Aufwand zum Leben erwacht sind, sind ein großer Erfolg bei Kindern, die sich über einen lächelnden grünen Monster-Grinsch freuen können. Die überraschende Choreographie einer Statistentanzgruppe (in einer Ballet buffon müßte doch das Staatsballett zum Zuge kommen?) lenkt davon ab, daß eine sinnvolle Rahmenhandlung sich aus den vielen peppigen szenischen Einfällen nicht ergeben will. Großer Beifall des Publikums für den großen Namen Villazòn und seine Musikanten-Tänzer-Truppe.
Oliver Hohlbach
Bild: Ludwig Olah
Das Bild zeigt: Philippe Talbot (Platée), Inga Kalna (La Folie), Komparserie