Schlagt sie tot! – Malmö, Oper

von Bo Holten (* 1948), Oper in zwei Akten, Text von Eva Sommestad Holten, ins Deutsche übersetzt von Jana Hallberg

Regie: Peter Oskarson, Bühnenbild und Kostüm: Peter Holm, Licht: Per Sundin, Choreograph: Caroline Lundblad

Dirigent: Patrik Ringborg, Opernorchester Malmö, Opernchor Malmö, Leitung: André Kellinghaus, Kinderchor der Oper Malmö, Leitung: Kristina W. Svensson

Solisten: Dietrich Henschel (Martin Luther), Thomas Volle (Philipp Melanchthon), Jakob Högström (Spalatin; Martin Bucer), Reinhard Hagen (Lucas Cranach), Inger Dam-Jensen (Barbara Cranach), Bengt Krantz (Friedrich der Weise; Johannes Oecolampad), Conny Thimander (Landgraf Philipp von Hessen), Stefan Dahlberg (Erasmus von Rotterdam; Huldrych Zwingli), Magnus Loftsson (Andreas Karlstadt), Emma Lyrén (Katharina von Bora) u.a.

Besuchte Aufführung: 11. Mai 2019 (Uraufführung)

Kurzinhalt

Die Handlung der Oper greift zentrale Ereignisse aus dem Leben Martin Luthers auf, beginnend nach dem Anschlag seiner 95 Thesen in Wittenberg und endend mit seinem Tod. Ausgehend von den bekanntesten Texten Luthers wird das Wirken des Reformators wie auch seine Theologie zur Darstellung gebracht. Die Oper beginnt mit einem Gespräch Spalatins mit dem jungen Landgrafen von Hessen über den aufsehenerregenden Angriff Luthers auf den Ablaßhandel. Als nächstes trifft Spalatin Melanchthon, der von Andreas Karlstadt ins Kollegium der Wittenberger Fakultät eingeführt wird. Mit seinen Griechischkenntnissen soll er Luther bei der Übersetzung der Bibel zur Hand gehen. Luther begibt sich in das Atelier Lucas Cranachs, der ihn portraitiert und ihm verspricht, ihm bei der reformatorischen Propaganda behilflich zu sein. Unterdessen ist Karl V. in Köln zum Kaiser gewählt worden. Er bittet den bekannten Humanisten Erasmus von Rotterdam zu einer Stellungnahme über Luther, der sich angesichts des reformatorischen Eifers Luthers besorgt zeigt. Dessen Gebaren nimmt zunehmend aggressive Züge an. In Wittenberg verbrennt er die Bannbulle des Papstes und das kanonische Recht und attackiert Erasmus scharf. Er begibt sich voller Furcht zum Reichstag nach Worms, wo Kaiser Karl V. ihn zum Widerruf seiner Schriften auffordert. Luther weigert sich, wohl wissend, daß er damit den Tod auf dem Scheiterhaufen riskiert. Spalatin entführt Luther auf die Wartburg. Inspiriert von seinen Schriften beginnen Bilderstürmer, angeführt von Karlstadt, und aufständische Bauern, angeführt von Thomas Müntzer, die Reformation auf ihre eigene Weise auszulegen. Luther überwirft sich mit Karlstadt und beginnt in der Auseinandersetzung mit ihm und Erasmus seine Theologie der Rechtfertigung aus dem Glauben allein sowie seine Schriften über die Obrigkeit zu entwickeln. Erzürnt von der Zerstörung des Zisterzienserinnen-Klosters Helfta in seiner Heimatstadt Eisleben wendet er sich an die Mächtigen und fordert sie auf, den Bauernaufstand mit aller Gewalt niederzuschlagen. Sie werden abgeschlachtet und Luther reklamiert dies als Erfolg für sich, womit er Spalatin als Freund verliert. Im Atelier Cranachs findet Luther Trost in der Musik. Cranach rät ihm, die entlaufene Nonne Katharina von Bora zu heiraten. Der Landgraf von Hessen lädt die bekanntesten Reformatoren zum Religionsgespräch nach Marburg ein, um eine geeinte protestantische Front gegen Karl V. zu schmieden. Bucer, Oecolampad, Zwingli, Melanchthon und Luther diskutieren die strittigen Fragen. Eine Einigung scheitert an Luthers starrsinnigem Beharren auf der wörtlichen Interpretation der Einsetzungsworte – „Dies ist mein Leib“ – und seiner darauf aufbauenden Auffassung des Abendmahls als Sakrament. Viele Jahre sind vergangen. In seinen Tischreden bringt der späte Luther sowohl seine Frau als auch seinen Mitstreiter Melanchthon gegen sich auf. Auch von Cranach hat er sich entfremdet. Während die kaiserlichen Truppen näherrücken, stirbt er verzweifelt und verbittert. Melanchthon und Philipp von Hessen treffen sich nach der Belagerung Wittenbergs. Sie glauben gescheitert zu sein, auch wenn Luthers Ideen weitergetragen werden.

Libretto und Musik

Da es sich um ein neugeschriebenes Werk handelt, sollen Musik und Text kurz beschrieben und kommentiert werden. Die ausgesprochen dichte und reichhaltige Handlung dieser dreistündigen Oper baut sowohl auf historischen Ereignissen als auch den originalen Schriften Luthers auf. Ursprünglich auf Schwedisch geschrieben wurde der Text ins Deutsche übersetzt, wobei der Wortlaut von Luthers Schriften berücksichtigt wurde. Die Detailtreue nicht nur der Handlung, sondern auch der theologischen Diskussionen um Luther, die hier aufgegriffen werden, ist imponierend. So wird der reaktive Charakter seiner Theologie, die deshalb kein geschlossenes System bildet, sein symbiotisches Verhältnis mit dem Humanisten Melanchthon, seine Rechtfertigungslehre – das Herz seiner Theologie – ausführlich und historisch getreu präsentiert. Was das Libretto bietet, ist eine scharfe Zeichnung des rigorosen und zuweilen fanatischen Charakters Luthers und ein pessimistisches Bild seines Wirkens, mit dem ein Jahrhundert verheerender Konfessionskriege über Deutschland anbrach. Darin wie auch in dem kraftvollen Gestus der Musik befindet sich das Stück in der Tradition der französischen Großen Oper, die historische Stoffe verarbeitete und oft von zerstörerischen gesellschaftlichen Umstürze handelte.

Wie der Text baut auch die Musik auf originalen zeitgenössischen Quellen auf, genauer gesagt: auf von Luther komponierten Chorälen. Oft ist der Choral „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ zu identifizieren, doch wird das Material ständig variiert, so daß deutlich herausgestellte Zitate eher selten sind. Dennoch ist der häufig polyphone Satz nahezu ständig von Motiven aus Luthers Chorälen durchzogen. Klanglich erinnert der Orchestersatz stellenweise an den ebenfalls von der Musik der Renaissance inspirierten Ton von Pfitzners Palestrina, doch gibt es auch kraftvolle Bläsersätze und wuchtige Akzente, die den Sängern viel Energie abverlangen. Für eine zeitgenössische Oper klingt das Stück insgesamt sehr üppig instrumentiert und quasi tonal. Regelrechte Arien kommen nicht vor, sondern der Text wird eher deklamatorisch vorgetragen, ohne viele Wort- und Verswiederholungen.

Aufführung

Wie Text und Musik auch hält sich die szenische Gestaltung eng an die zeitgenössischen historischen Vorbilder. Alle Personen sind so kostümiert wie auf den berühmten Portraits Cranachs d.Ä., die auch in den Szenen in seinem Atelier zu sehen sind. Die Szene hat architektonisch Renaissancegepräge und die bunte Handlung mit ihren vielen Schauplatzwechseln wird sorgfältig und minutiös in Szene gesetzt. Es gibt viel Bewegung auf der Szene, entweder in Gestalt des Chores oder stummer Tänzer, die Bilder, Requisiten und Möbel ständig heraus- und hereintragen. Der einzige nicht-historisierende Einschlag in dieser Inszenierung ist der bisweilen zu sehende japanische Butoh-Tanz.

Sänger und Orchester

Das Orchester unter Patrik Ringborg trug die Musik zupackend und kraftvoll vor. Gegen den recht kompakten Orchestersatz hatten sich die zumeist tiefen männlichen Solisten den Abend über zu behaupten. Das gelang Dietrich Hentschel in der Titelrolle recht gut. Er hat hier eine Herkulesaufgabe vor sich, denn Luther ist in fast allen Szenen auf der Bühne anwesend und hat, entsprechend der bisweilen an das Cholerische grenzenden Charakterisierung dieser Rolle, auch kaum leise oder ruhige Passagen zu singen. Darstellerisch füllte er seine Rolle voll aus, stimmlich bewegt er sich jedoch an der Grenze des noch Machbaren. Thomas Volle (Philipp Melanchthon), Jakob Högström als Spalatin und Reinhard Hagen (Lucas Cranach) kamen stimmlich besser zur Geltung, auch weil ihre Parts etwas dankbarer geschrieben sind. Stefan Dahlberg (Erasmus von Rotterdam; Huldrych Zwingli) hat die meisten der eher spärlich verteilten tenoralen Glanzpunkte der Partitur zu singen und gestaltete sie tadellos. Schließlich ist noch der Chor zu erwähnen, der musikalisch und darstellerisch souverän auftrat.

Fazit

Dieser Oper sind ein paar Sätze aus dem lutherischen Katechismus vorangestellt, denen zufolge das Stück sich an die „Kinder und Einfältigen“ wende. Tatsächlich handelt es sich bei dieser Oper um einen historisch und theologisch zuverlässigen Lehrgang in Reformationsgeschichte oder vielmehr um das musiktheatralische Analogon zu einem Dokumentarfilm. Die Detailtreue von Musik, Text und Inszenierung ist bewundernswert. Wer sich mit dem Repertoire des lutherischen Gesangbuches auskennt, wird an der klanglich ansprechenden und handwerklich gediegenen Partitur seine Freude haben. Wer sich bisher noch nicht mit dieser Epoche gewaltiger und gewalttätiger Umbrüche beschäftigt hat, kann sich einfach von dem Strom starker Bilder und schöner Klänge fortreißen lassen und nebenbei viel über diesen wichtigen Einschnitt in der europäischen Geschichte lernen. Den Autoren und Aufführenden ist das Kunststück gelungen, eine Masse historischer Ereignisse in eine Form zu bringen, die den Gegenstand differenziert und künstlerisch ansprechend zugleich werden läßt. Ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Opernprojekt, ästhetisch und pädagogisch rundum gelungen.

Dr. Martin Knust

Bild: Jonas Persson

Das Bild zeigt: Dietrich Henschel (Martin Luther); Inger Dam Jensen (Barbara Cranach); Reinhard Hagen(Lucas Cranach)

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