Don Giovanni – Paris Palais Garnier

von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1792); Dramma giocoso in zwei Akten (1787), Libretto: Lorenzo Da Ponte, UA: 29. Oktober 1787 Prag, Gräflich Nostitzsches Nationaltheater (heute: Ständetheater)

Dirigent: Philippe Jordan, auch am Hammerflügel, Orchester und Chor der Opéra national, Paris
Regie: Ivo van Hove, Bühne, Licht: Jan Versweyveld, Kostüme: An D’Huys, Video: Christopher Ash, Dramaturgie: Jan Vandenhouwe, Choreinstudierung: Alessandro Di Stefano

Solisten: Étienne Dupuis (Don Giovanni), Ain Anger (Der Komtur), Jacquelyn Wagner (Donna Anna), Stanislas de Berbeyrac (Don Ottavio), Nicole Car (Donna Elvira), Philippe Sly (Leporello), Mikhail Timoshenko (Masetto), Elsa Dreisig (Zerlina)

Koproduktion mit der Metropolitan Opera, New York (Premiere 8. Juni 2019)

Besuchte Aufführung: 19. Juni 2019

Kurzinhalt

Don Giovanni flieht vor Donna Anna, die sich an ihn klammert. Auf ihren Hilferuf erscheint ihr Vater, der Komtur und wird im Duell von Don Giovanni tödlich verletzt. Er flieht, doch Don Ottavio, Donna Annas Verlobter, schwört Rache.

Danach erzählt Don Giovanni Leporello von seinem neuen Schwarm, der erscheint. Groß ist Don Giovannis Überraschung, als er feststellt, daß es Donna Elvira ist, seine ehemalige Geliebte aus dem spanischen Burgos. Schnell verschwindet er. Der zurückgebliebene Leporello zählt Donna Elvira anhand eines Registers alle Geliebte seines Herrn auf. Sie schwört Don Giovanni ewige Rache.

In der Nähe seines Schlosses trifft Don Giovanni auf Zerlina, die gerade mit Masetto zu ihrem Hochzeitsfest eilt. Sofort macht er auch Zerlina den Hof und lädt zunächst Zerlina, dann die ganze Hochzeitsgesellschaft in sein Schloß ein. Als Zerlina gerade dabei ist, seinen Schmeicheleien zu erliegen, kommt Elvira hinzu. Zerlina hört auf ihren Rat und flieht. Später kommt Donna Anna hinzu und erklärt, Don Giovanni sei der Mörder ihres Vaters, des Komturs. Don Giovanni gibt einen großen Maskenball, wozu auch Donna Elvira und Donna Anna mit Don Ottavio und erscheinen. Immer wieder labt sich Don Giovanni am Essen. Schließlich sitzt er mit Leporello bei einme solchen als plötzlich der Komtur auf taucht. Don Giovanni zögert nicht, ihn auch zum Gastmahl einzuladen. Aber während des Gastmahls verschlingt die Erde den Übeltäter.

Aufführung

Hohe Betonhäuserfronten mit Balkonen und Rundbogenfenstern füllen die Bühne. Zum Teil führen Treppen von einem Gebäude ins andere oder auch auf den Platz, der in der Mitte liegt. Dieser zeigt sich ohne Bäume oder anderer Anpflanzungen. Im Handlungsverlauf rücken die Häuserfronten auseinander oder bilden eine undurchdringliche Mauer zum Bühnenhintergrund. Auch wird der Platz in der Mitte mal größer, mal kleiner. Hier spielen sich die Bühnenereignisse ab. Manchmal agieren die Sänger auch vom ersten Geschoß der Gebäude von den Balustraden herab.

Don Giovanni und sein Diener Leporello tragen schwarze Anzüge, der erstere mit Krawatte und weißem Hemd. Donna Annas Kleid ist grau und halblang, während Donna Elviras dunkelblau ist. Don Ottavios trägt einen Anzug. Masetto hat ein graues Hemd und blaue Hosen an, Zerlina ein schlichtes, graues Kleid. Beim Maskenball Ende des ersten Akts erscheinen alle in prächtigen, bunten Kleidern, zunächst mit Masken, dann nehmen sie sie ab als Don Giovanni in einem weißen Anzug erscheint.

Zum Opernende haben Leporello und sein Herr ein ausgedehntes Mahl als plötzlich der Komtur dazwischen kommt und Don Giovanni in die Unterwelt gerissen wird.

Sänger und Orchester

Mit Energie und starkem rhythmischem Schwung eröffnet Philippe Jordan die ausgedehnte Ouvertüre dieser Mozartoper. Nach anfänglichen Turbulenzen sind die Violinen zum Ende perfekt zusammen. Auch die Bläser zeigen ein ungemein harmonisches Zusammenspiel.

Schon ganz zu Anfang beklagt Leporello sein Schicksal als Diener eines Herrn, der keine Arbeit zu schätzen weiß. Es ist ein Gesang, ähnlich einem Vaudeville Diese Liedform hat Mozart oft angewandt, etwa in der Entführung aus dem Serail. Dabei fällt sofort der klangreiche Baß von Philippe Sly (Leporello) ins Ohr. Es ist die berühmte Registerarie, eine Art Trophäenregister, die alle Geliebten seines Herrn in Zahlen aufzählt. Er zeigt sie Donna Elvira, einer ehemaligen Geliebten seines Herrn: Madamina, il catalogo è questo – Meine Dame, der Katalog ist dieser. Mit korrekter Atemstützung gelingt es ihm, seinen Baß lückenlos die Töne im Legato aneinander zu binde, wobei seine Artikulation makellos ist . Sehr schön, wie er an den langsamen Stellen, z.B. Ma in Ispagna son gia mille et tre – aber in Spanien sind es schon tausendunddrei diese mit dynamischem Impuls betont. Verdienter Applaus.

Schon immer gehört die Verführungsszene Don Giovannis mit Zerlina zu den musikalischen, aber auch zu den menschlich entlarvendsten Theaterszenen. Dabei kommt es sehr darauf an, daß beide den Rollen gerecht werden. Sänger und Sängerin gelingt dies über die Maßen im Palais Garnier in Paris.

Étienne Dupuis (Don Giovanni) beginnt mit männlich grundiertem (es gibt dabei ihm ein männlich-metallisches Fundament) Linienführung in seiner Stimme. Seine lyrische Baritonstimme vermittelt Sanftheit und Süße, was an den gebundenen Quart- oder Quintintervalle besonders auffällt. Daß Zerlina sich von seiner Dolcezza hingerissen fühlte, ist nur zu verständlich.

Elsa Dreisig (Zerlina) ihrerseits antwortet mit unbeschreiblicher Weichheit und Sanftheit ihrer deutlichen und doch zarten Sopranstimme, was in der wiegenden Melodie ihrer Antwort verzaubernd wirkt. Giovannis Gefühle sind daher leicht mitzuempfinden. Ein wunderbares Gesangserlebnis selbst in dieser von edlen Melodien angefüllten Oper! Schließlichgibt ihr Zusammensingen ein Beispiel für Homogenität und ist aufschlußreich für Weibliches und Männliches. Umwerfend schließlich das andiamgehen wir … Étienne Dupuis nimmt seine Stimme vollkommen zurück und Elsa Dreisigs andiam – nachgebend  – ist himmlisch!

Die hinzukommende Elvira (Nicole Car) hebt warnend ihre Stimme gegenüber Zerlina: Ah fuggi il traditor – ah fliehe den Betrüger. Ihr Sopran ist klar und deutlich, doch ihre Spitzentöne fis„, g„ und a„ sind eingetrübt und forciert. Ihre Gesangslinie vermittelt recht gut ihre Bestürzung und Wut gegenüber dem Mann, der sie betrogen hat und ihre Passeggien sind rund und geformt. Aber im Opernverlauf werden ihre Intentionen gut.

Jacquelyn Wagner (Donna Anna), die Tochter des Komturs, hat eine eher schmale Sopranstimme. Sie bringt ihre Klage und Trauer über den Verlust des Vaters zum Ausdruck. Ihr Elan und ihre Wut treiben ihren Verlobten Ottavio glaubwürdig zur Rache an. Bei ihrer bewunderten Rachearie: Or sei chi l’onore rapire a me volse – jetzt weißt du, wer die Ehre mir rauben wollte trüben sich leider ihre Spitzentöne, g„ und a„ ein. Auf der anderen Seite leuchten sie aber auf.

Stanislas de Berbeyrac (Ottavio) Della sua pace la mia dipende – von ihrem Frieden hängt der meine ab ist mit guter Fokussierung und voller Kraft seines Tenors vernehmbar, was ihm einen Zwischenapplaus einbringt.

Leider flößt das Auftreten des Komturs (Ain Anger, wohllautender Baß) zum Opernende kein Frösteln des Erschauerns aus, wie das bei anderen Aufführungen so oft zu erleben ist. Schade!

Zum Schluß sollte man Zerlina (Elsa Dreisig) nochmal erwähnen als sie mit ihrem Masetto (Mikhail Timoshenko, leuchtender Baß) Frieden schließt (Szene 16, 1. Akt): Batti, batti, o bel Masetto, la tua povera Zerlina, staro qui con agnellina le tue botte ad aspettar … Pace, pace, o vita mia … – Schlage, schlage, o schöner Masetto, deine arme Zerlina: ich werde hier wie ein Lämmchen deine Prügel erwarten. …. Frieden, Frieden, o mein Leben … Bezaubernd, mit welch weicher und flehender Stimme Zerlina bittet. Dabei kommen die Koloraturen wie Perlen aus ihrer Kehle, so, wie es eben sein sollte! Großer Applaus. Kaum anzunehmen, daß in unserer Zeit ein Zwist zwischen einem Liebespaar so endet, wobei jeder natürlich weiß, daß alles nur metaphorisch ausgedrückt ist.

Fazit

Das „Modernisieren“ des Bühnengeschehens bringt dem Regisseur Ivo van Hove eigentlich nichts ein. Da Pontes und Mozarts Handlungsvorgabe ist ja metaphorisch gedacht und jede Übertragung in die Wirklichkeit schadet dem Verständnis und dem Vergnügen. Wie angenehm zu erleben war die kurze Szene beim Maskenball, in der alle Figuren – leider außer Don Giovanni (schließlich in weißem Anzug) – in bunten Barockkostümen erschienen!

Sei’s drum. Es war ein gut geschauspielerter und gesungener Opernabend.

Dr. Olaf Zenner

Bild: Charles Duprat Opera national de Paris

Das Bild zeigt: Elsa Dreisig (Zerlina), Etienne Dupuis (Don Giovanni)

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