von Giacomo Meyerbeer (1791-1864), Oper in fünf Akten, Libretto: Eugène Scribe, Gaetano Rossi und Emile Deschamps, in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln, UA: 29. Februar 1836 Paris, Opéra, Salle de la rue Le Peletier
Regie: Peter Konwitschny, Bühne/Kostüme: Johannes Leiacker
Dirigent: Stefan Soltesz, Sächsische Staatskapelle und Staatsopernchor, Knaben des Kinderchors, Choreinstudierung: Jörn Hinnerk Andresen
Solisten: Sabine Brohm (Catherine de Medicis), Venera Gimadieva (Marguerite de Valois), Jennifer Rowley (Valentine von Saint-Bris), Stepanka Pucalkova (Urbain, Page), Tilmann Rönnebeck (Graf von Saint-Bris), Christoph Pohl (Graf von Nevers, Verlobter von Valentine), John Osborn (Raoul de Nangis), John Relyea (Marcel) u.a.
Besuchte Aufführung: 29. Juni 2019 (Premiere)
Der Graf von Nevers feiert auf seinem Schloß den Vorabend seiner Hochzeit mit Valentine, wozu er den Hugenotten Raoul de Nangis eingeladen hat. Während des Fests erhält Raoul einen Brief. Er stammt von Marguerite der Valois, deren Ziel es ist, Raoul mit Valentine de Saint-Bris zu verloben – in der Absicht – einen Hugenotten mit einer einflußreichen katholischen Familie zu verbinden, um die religiöse Zwietracht zu entschärfen. Doch Raoul lehnt die Verlobung ab, da er Valentine (sie hat noch während des Festes ihre Verlobung mit Nevers gelöst) für eine vermeintliche Geliebte von Nevers hält. Darüber ist Graf von Saint-Bris, Valentines Vater, so erbost, daß er die Beleidigung durch ein Duell mit Raoul sühnen will. Unterdessen werden alle vom König nach Paris gerufen. Dorthin eilen auch Raoul und sein Diener Marcel. Doch der Religionsstreit der Hugenotten und Katholiken entlädt sich in einer Katastrophe: die Katholiken überfallen die Hugenotten im Schlaf und töten alle, auch Marcel, Raoul und Valentine.
Aufführung
Die Handlung auf der Bühne ist eigentlich auf den Auf- und Abbau großer Menschenansammlungen reduziert und findet die ersten vier Akte in einem Schloßsaal des 16. Jahrhunderts mit Bogenfenstern statt. Durch die Fenster kann man einen Blick auf eine Landschaft erhaschen, die wohl die Touraine darstellen soll, deren Wein man auf der Feier des Grafen Nevers zuspricht. In diesem Raum kommen die Katholiken zusammen: Die Herren im roten Wams mit Halskrause oder im rotem Kleid die Damen. Die Hugenotten dagegen tragen Schwarz – um zu feiern oder mit dem Schwert in der Hand zu streiten. Raoul besucht hier die Königin im Frauenbad. Die Damen haben sich in Handtücher gewickelt, die Wanne ist aber trocken. Die neue Figur der Catherine de‘ Medici scheint eine Mischung aus Angela Merkel und betrunkener Queen Mum zu sein. Zu den Aktschlüssen formiert sich die Gesellschaft zum Heiligen Abendmahl (Da Vincis bekanntes Bild sieht man raumfüllend auf dem Zwischenvorhang) – und bricht dazu das Baguette. Der Kinderchor gesellt sich als Meßdiener dazu. Im fünften Akt verschwindet der Schloßsaal, die Ermordung der Hugenotten findet in offener Landschaft mit Pistolenschuß und Maschinengewehreinsatz statt.
Sänger und Orchester
Eine wahre Luxusbesetzung ist John Osborn als Raoul de Nangis. Mehrfach klettert er im französischen Tenor mit halsbrecherischen, aber sicher gemeisterten Wechseln zwischen Kopf- und Bruststimme bis zum hohen „Des“, entfacht damit wahre Begeisterungsstürme – und braucht nicht mit den Kräften haushalten, da die Arien gekürzt sind. Jennifer Rowley ist eine begehrenswerte Valentine. Ihr jugendlich dynamischer, aber doch durchschlagskräftiger Sopran zeigt enorm Ausdruckskraft. Doch ihr fehlt eine gewisse jugendliche Leichtigkeit, sie neigt zu engen Spitzentönen, die Schärfe nimmt zu. Sie demonstriert, wie man Koloraturen mit technisch sauberen intonationssicheren Höhen zur Darstellung bringt. Das bekannte Liebesduett Tu l’as dit! Oui, tu m’aimes – Du hast ja gesagt, daß du mich liebst wird zum umjubelten Beweis, daß sich hier (mit Osborn) ein Liebespaar gefunden hat.
Venera Gimadieva als Marguerite ist die Grande Dame und geht als schwerer Koloratursopran durch. Ihr verträumter Sopran verfügt über eine warme und lyrische Stimme, auch in den Höhen. John Relyea ist ein durchschlagsstarker und sehr gutturaler Baß mit absoluter Tiefe. Die Gestaltung des Kammerdieners Marcel erregt auch stimmlich als Hardliner gewaltige Aufmerksamkeit. Stepanka Pucalkova hat die passende clowneske Stimme für den dienstbaren Geist Urbain. Die Luxus-Soubrette spielt sich dankbar in den Vordergrund. Ebenso mit großer Aufmerksamkeit bedacht wird Christoph Pohl als Graf von Nevers. Dieser ausdrucksstarke und facettenreiche Spielbariton gibt seinem Mitleid mit den Hugenotten die dramatische Tiefe. Tilmann Rönnebeck verfügt über die richtige, in der Tiefe sicher aufgestellte, markige Baßstimme, um Grafvon Saint-Bris den abgrundtiefen Charakter zu verleihen. Sabine Brohm in der „neuen Rezitativrolle“ der Catherine de‘ Medici zählt zu dem Urgestein der Semperoper.
Den hohen Ansprüchen dieser Oper an den Chor, an die allgegenwärtige „Stimme des Volkes“, wird der Sächsische Staatsopernchor mehr als gerecht. Die großen Chorszenen wirken lebendig und entsprechend entfaltet sich die große Wirkung dieser Grand Opera. Auch der Kinderchor integriert sich als Meßdiener in einem Aktschluß einwandfrei als solider heller Klangkörper.
Die Anforderungen Meyerbeers in diesen großen Tableaus mitzuspielen sind sehr hoch, und es gelingt Stefan Soltesz nicht so recht, das Orchester, Chor und Sänger zu einer Meyerbeer würdigen Einheit zu verschmelzen. Einsätze kommen häufig asynchron, Tempoänderungen werden nur zeitversetzt übernommen, es klappert häufiger im Zusammenspiel der Klangkörper. Das Verhältnis zwischen Dirigent und musikalischem Ensemble wirkt angespannt.
Fazit
Eigentlich muß man froh sein über jeden Versuch, die Werke Meyerbeers oder einer Grand Opera aufzuführen. Zunächst macht der Versuch im Stile eines französisch-italienischen Sandalen-Farbfilms die großen Tableaus auf die Bühne zu bringen, szenisch und musikalisch stimmigen Sinn. Jedoch erregen die massiven Eingriffe in Handlung und musikalische Fassung im Laufe des Abends den Zorn aller Beteiligten. Anfangs bringt zwar die Eingliederung der im Autographen gestrichenen Auftritte der Valentine mit dem Liebesbekenntnis zu Raoul im ersten Akt und der Auftritt der sonst im Werk nur zitierten Kriegstreiberin Catherine de‘ Medici im vierten Akt zwar keine musikalischen Bravourarien hervor, aber die Handlung wird verständlicher.
Danach nehmen die Eingriffe zu, spätestens die Umwandlung des letzten Aktes in eine aktuelle Ermordung von Minderheiten (Holocaust?) mit neuzeitlichen Feuerwaffen sowie die massive Kürzung von Arien und die Umstellung von ganzen musikalischen Nummern verhindern eine musikalische Ausgewogenheit des Stückes. Die Wandlung des Marcel vom Hardliner zum mitfühlenden Menschen entfällt. Ganz besonders fehlt die Stretta am Ende: das Terzett von Valentine, Raoul und Marcel, das man gerne gehört hätte! Stattdessen spielt am Ende eine Baßklarinette das Thema der Hochzeit zwischen Raoul und Valentine als Solo. Warum nur? Die Frage kann Peter Konwitschny nicht szenisch beantworten, so muß man sie an Stefan Soltesz weiterreichen, der diese Strichfassung abgenickt hat und hörbar große Probleme hat, diese an Solisten, Chor und Staatskapelle zu vermitteln.
Auf der Bühne stehen bei den großen Tableaus Meyerbeers gefühlt mehr als hundert Personen – aber die Zusammenarbeit innerhalb und zwischen dem Orchestergraben sowie der Bühne hakt mehrfach deutlich: Offensichtlich hat auch die Staatskapelle Probleme mit der neuen Reihenfolge. Das Publikum reagiert entsprechend: begeisterter Applaus für Solisten, Chor und Orchester, deutliche Kritik an der Umsetzung.
Oliver Hohlbach
Bild: Ludwig Olah
Das Bild zeigt: Venera Gimadieva (Marguerite de Valois) mit dem Chor