Erl Tiroler Festspiele, Ostern in Erl

Matthäus-Passion

von Johann Sebastian Bach (1685-1750), oratorische Passion nach dem Evangelium des Matthäus, ergänzt durch Choräle und Dichtungen von Picander, UA: 11. April 1727 Leipzig, Thomaskirche

Dirigent: Martin Sieghart, Orchester und Chorakademie der Tiroler Festspiele Erl, Choreinstudierung: Olga Yanum

Solisten: Maria Novella Malfatti (Sopran), Hermine Haselböck (Alt), Johannes Chum (Evangelist), Hui Jin (Tenor), Werner van Mechelen (Baß), James Roser (Jesus), Frederik Baldus (Simon Petrus, Judas Ischariot, Hohepriester, Pilatus), u.a.

Besuchte Aufführung: 19. April 2019 (Premiere)

Parsifal

von Richard Wagner (1813-1883), Bühnenweihfestspiel in drei Akten, Libretto: Richard Wagner, UA: 26. Juli 1882 Bayreuth, Festspielhaus

Regie: nach Gustav Kuhn, Bühne: Peter Hans Felzmann, Kostüme: Karin Waltenberger

Dirigent: Michael Güttler, Orchester und Chorakademie der Tiroler Festspiele Erl, Choreinstudierung: Olga Yanum

Solisten: Adam Horvath (Amfortas), Manfred Hemm (Titurel), Pavel Kudinov (Gurnemanz), Ferdinand von Bothmer (Parsifal), Frederik Baldus (Klingsor), Nicola Beller Carbone (Kundry), u.a.

Besuchte Aufführung: 20. April 2019 (Wiederaufnahme der Übertragung ins Festspielhaus)

Vorbemerkung

Die Tiroler Festspiele Erl wurden 1997 von Gustav Kuhn und Andreas Schett gegründet, die ersten Festspiele begannen 1998 mit Rheingold. Gustav Kuhn war der Intendant der Tiroler Festspiele Erl, er prägte die Festspiele maßgeblich als Dirigent und Regisseur – besonders durch die Opern Richard Wagners. Gerade in der Anfangszeit war sein Regiestiel durch schlichte Einfachheit geprägt, war beliebt bei den Gegnern des Regietheaters.

Spielort für Opern ist das Passionsspielhaus, das alle sechs Jahre für die Passionsspiele benötigt wird und dann nicht zur Verfügung steht. Deshalb wurde im Dezember 2012 das Winterfestspielhaus eingeweiht, das neben einem weiteren Spielort mit einem der größten Orchestergräben auch Garderoben und Probenräume bereit hält.

Im Sommer 2013 wurde das Festspielhaus genutzt, während im Passionsspielhaus das Jubiläum 400 Jahre Passionsspiele begangen wurde. Das Passionsspielhaus verfügt über keinen Orchestergraben, deshalb sitzt das Orchester und der Chor gestaffelt auf mehreren Podien im Hintergrund der Bühne, während der schmale Streifen zwischen Orchester und Zuschauerraum für die halbszenische Darstellung verwendet wird. Insofern kann man nur eingeschränkt von einer Inszenierung sprechen, aber gerade diese Reduzierung auf das Wesentliche, der Zwang schnell auf den Punkt zu kommen und natürlich das Ausbleiben von größeren Regieeinfällen, macht den Charme der Festspiele Erl aus.

Die beiden Häuser stehen auf der grünen Wiese, wie eine Trutzburg an den Hang geklebt. Die Pausengastronomie ist einfach, ein mondänes Publikum wie in Salzburg oder Bayreuth findet sich nicht. Hier giltst der Kunst! Es kann sogar sein, daß man auf eine Schafherde trifft, wenn man vor die Tür tritt. Am 31. Juli 2018 mußte der Intendant der Tiroler Festspiele Erl Gustav Kuhn sein Amt nach zahlreichen Vorwürfen wegen „sexueller Übergriffe“ ruhend stellen. Bis zur Klärung wurde vom Präsidenten Hans Peter Haselsteiner Andreas Leisner als interimistischer Leiter eingestellt. Im Oktober 2018 wurde Bernd Loebe als neuer Intendant präsentiert. Er wird die Leitung ab 1. September 2019 neben der Intendanz der Frankfurter Oper übernehmen.

Die Matthäus-Passion findet bei geschlossenem Orchestergraben auf der Opernbühne des Festspielhauses statt. Auf den hinteren Reihen stehen auf zwei Chorstufen die beiden Chöre, in der Mitte dazwischen die Solisten, davor – bis zum Zuschauerraum – ist das Orchester aufgebaut. Die Streicher sitzen in zwei Gruppen, eine links und eine rechts, vor dem Dirigenten. Dahinter links und rechts vom Basso Continuo die Holzbläser. Die wahrlich bewegende Interpretation hat seinen Höhepunkt in dem Choral Oh Haupt voll Blut und Wunden. Eindringlich und gefühlvoll soll der Choral sein – so eindringlich wie ihn der Rezensent noch nie erlebt hat. Wahrliches Pianissimo und sehr schnell: Wenn ich einmal soll scheiden, aber jede Note genau gespielt, jedes Detail ist hörbar und exakt die Abstimmung zwischen Chor und Orchester. Das Thema des Mitgefühls zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk. Martin Sieghart nutzt jede Wiederkehr zu einer aufpeitschenden Publikumsansprache. Überragend auch das Zusammenspiel des immer auf den Punkt genau präsenten Chores mit den Solisten, wo neben dem stimmlich gelenkigen Tenor Johannes Chum der sehr tief grundierte Baß Werner van Mechelen auffiel, mit viel Eloquenz, selbst in den höchsten Tönen. Auch Hermine Haselböck konnte der Altarie Buß und Reu mit viel Ausdruckskraft den entsprechenden Charakter verleihen, ebenso mit schlanker, dunkel leuchtender Stimme Erbarme mich, mein Gott, der vom Kapellmeister begleitet wurde. Frederik Baldus ist der dienstbare Gestalter in vielen kleineren Nebenrollen.

Parsifal

Aufführung, Sänger und Orchester

Das wichtigste Requisit in der kargen Bühnenausstattung des Parsifal ist ein großer rechteckiger Eßtisch mit einigen Stühlen davor – sogar mit Tischtuch und Eßgeschirr als Analogie zum letzten Abendmahl. Aus diesem Tisch, aus der Tischplatte, wird sich zur Gralsszene wie eine historische Waschschüssel der Gral erheben und auch dorthin wieder entschwinden. Zuvor tritt der Schwan auf, getanzt von einem Ballettsolisten, der kommentierend in das weitere Bühnengeschehen eingreift, ehe er aber erst am Ende den sterbenden Schwan darstellt. Gurnemanz wirkt wie eine Mischung aus Oberlehrer und katholischem Geistlichen – in einem braunen Mantel mit weißem Kragen belehrt er zunächst Parsifal, dann sitzt er mit der roten Strickjacke auf der Holzbank. Amfortas wirkt in seinem weißen Anzug eher wie ein indischer Guru, die rote Wunde im unteren Bereich zieht er erst am Ende aus der Hose. Klingsor scheint in seinem italienischen Modeanzug ein schleimiger Zuhälter zu sein, der mit Kundry auf einer Leiter herumturnt. Parsifal entwickelt sich zu einem Popper mit dunklem Anzug, Kundry von einer heruntergekommenen Latina in Unterwäsche zu einer mondänen Dame von Welt in blau und rot.

Die auffälligste Sängerleistung stellte Pavel Kudinov als Gurnemanz vor – mit teils gutturalen, teils tiefem geschmeidigen Pathos gestaltete er die Partie sehr ökonomisch und intelligent. Allerdings war die Grenze zum Sprechgesang manchmal erreicht. Insgesamt überzeugend ist die Darstellung der Amfortas von Adam Horvath. Mit guter Textverständlichkeit konnte er das Leiden des Amfortas in allen seinen Schattierungen darstellen. Die Stärken der Nicola Beller Carbone als Kundry liegen eindeutig in den lyrischen Erzählphasen, dramatische expressive Ausbrüche wie in und lachte sind ihre Sache nicht. Ferdinand von Bothmer in der Titelrolle teilte sich seine Kräfte ökonomisch ein und hinterließ so einen etwas matten Eindruck. Michael Güttler gelingt eine strukturierte Darstellung. Nicht nur, daß die Zusammenarbeit zwischen Chor und Orchester nahtlos funktioniert. Ihm gelingt es auch die unterschiedlichen Leistungsgrößen der einzelnen Solisten zu einem großen Ganzen zusammenzuführen. Er ist eindeutig mehr als nur der Sohn des „Trompetengottes“ Professor Güttler.

Fazit

Erl ist jedesmal eine Pilgerfahrt aufs Land. Erl steht für einen schnörkellosen und werkgetreuen Blick auf das jeweilige Werk. Insofern bildet das Duett aus Tiefreligiös und Pseudoreligiös einen für Ostern passenden Spannungsmoment. Im Bereich des Orchesters, Chor und musikalischer Leitung befindet man sich durchaus auf Festspielniveau, im Bereich der Solisten sorgt die von Kuhn zementierte Mischung aus Altgedienten und Nachwuchskräften für freudige, aber auch enttäuschende Momente. Auch hier muß die Intendanz Loebe neue Wege finden. Die Ansprache des Publikums ist aber durchaus positiv.

Im Winter 2019/20 wird unter der neuen Intendanz im Bereich Oper Rusalka von Antonin Dvorak und L’elisir d’amore von Gaetano Donizetti aufgeboten, das Silvesterkonzert soll aus der Walzer-Ecke herausgeholt werden und sich eher an den Werken von Dvorak und Smetana orientieren. Einen neuen Chefdirigenten wird es vorerst nicht geben.

Oliver Hohlbach

Bild: Xiomara Bender

Das Bild zeigt: Ferdinand von Bothmer (Parsifal), Blumenmädchen

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