Brühl, Schloß: Haydn-Festival 2009 – ARMIDA

Armida von Joseph Haydn (1732-1809), Dramma eroico in drei Akten, Libretto: Nunziato Porta nach verschiedenen Vorlagen, darunter Torquato Tassos Epos: La Gerusalemme liberata – Das befreite Jerusalem,
Solisten: Verónica Cangemi (Armida), Daniel Behle (Rinaldo), Jud Perry (Ubaldo), Andrew Forster-Williams (Idreno), Ditte Andersen (Zelmira), Dirigent Andreas Spering, Capella Augustina
Besuchte Aufführung: 29. August 2009 (Premiere)

An der Südgrenze Kölns in Brühl steht das vom kurfürstlichen Erzbischof Clemens August 1728 erbaute Rokokoschloß, das durch den Münchener Hofbaumeister François de Cuvilliés ausgestaltet und durch das Treppenhaus Balthasar Neumanns seine Einmaligkeit erhielt. Seit acht Jahren stehen die Kompositionen Joseph Haydns im Mittelpunkt der Brühler Schloßkonzerte. Seit letztem Jahr hebt man den Habsburger Meister aus den von Mai bis August laufenden Festwochen hervor, indem man die letzten anderthalb Wochen (vom 21. bis 30. August) als Haydn-Festival ankündigt, das einzige Haydn-Festival überhaupt in Deutschland, wie man nicht ohne Stolz hervorhebt. Spiritus Rector ist Andreas Spering, der mit der Capella Augustina die Oper Armida (1784) am 29. und 30. August konzertant aufführte.
Kurzinhalt
bruhl-armida.jpgBei den Kämpfen der Kreuzritter gegen die Sarazenen hat sich der Kreuzritter Rinaldo in die schöne Zauberin Armida verliebt und lebt im Lager der Sarazenen. Seinem Freund Idreno gelingt es, Renaldo aus der Verzauberung Armidas zu lösen. Die Oper dreht sich um die Liebe der Beiden und deren schmerzhafte Trennung.
Im weltberühmten Rokoko-Treppenhaus von Balthasar Neumann sitzt das Publikum auf der Galerie und am Fuß der Treppe, dort, wo vor 250 Jahren die Kutschen ankamen und die überreich gekleideten Damen und Herrn in ihren Perücken ausstiegen, um zum Empfang des Kurfürsten zu eilen. Es ist daher kein Platz für eine Bühne bzw. für eine szenische Darstellung. Doch eine gute Akustik und die unverwüstliche Pracht des 18. Jh. ergibt ein für Haydn zeitgerechtes Ambiente.
Sänger und Orchester
Im Kopfthema der Sinfonie stürmt die Capella Augustina unter Andreas Sperings Leitung energisch mit seinen schnellen Noten davon, unterbrochen vom lieblichen, kantablen Seitenthema. Auffallend dabei die rhythmische Präzision der Streicher und die Intonationssicherheit der Bläser, das im folgenden Menuett des Solos der beiden Oboisten noch lyrisch überhöht wird. Haydn entwirft hier eine regelrechte programmatische Abfolge der Opernhandlung, was zu seiner Zeit nicht allgemein üblich war: Kampf, Liebe, pastorale Idylle und Katastrophe.
Daniel Behle (Rinaldo) eröffnet die Handlung vado al pugnar – auf in den Kampf und idolo del mio cor – die geliebte (Armida) im Herzen. Sein starker, lyrischer Tenor läßt solches auch nachempfinden. Doch verschleift er die Koloraturen seines Ziergesangs und die rhythmische Konstanz fehlt ein wenig. Aber die Artikulation ist gut, große Intervalle kommen rein. Insgesamt hat die Stimme Leidenschaft und Pathos, manchmal bis zum etwas unkontrollierten Forte. Alle Sänger haben allerdings mit den Koloraturen ihre Schwierigkeiten. Die Notenketten kommen nicht perlend heraus, die Höhen werden nur mit Anstrengung erreicht und Intonationsstörungen sind besonders beim Bassisten Andrew Forster-Williams (Idreno) an der Tagesordnung, z.B. bei seiner Auftrittsarie: Se dal suo braccio oppresso – Wenn, überwältigt von seinem Arm, wo man bei der Fermate auf il regno istesso – mein Königreich eine unschönes Abgleiten der Stimme erleben muß. Jud Perry (Ubaldo) allerdings meistert seine Tenorpartie ohne größere Entgleisungen.
Zeigte schon die Dänin Ditte Andersen (Zelmira) mit ihrem hohen klaren Sopran die Schönheiten des Ziergesangs, so kann das Publikum bei der Argentinierin Verónica Cangemi (Armida) erleben, wie meisterhaft Haydn die Gesangsstimme zu führen vermochte. Ihr Canto sul fiato – Singen auf dem Atem, so nennt man den Ziergesang der Belcantozeit – ist nicht leicht zu überbieten, gehört Cangemi doch zu den gefragtesten Barocksängerinnen im Sopranstimmenfach. Zahlreiche CDs unter René Jacobs, William Christie und Thomas Hengelbrock beweisen ihre Fähigkeiten. Schon ihre Auftrittsarie reißt uns von den Stühlen: das zweigestrichen A bei oh Numi in: se pietade avete – wenn ihr Mitleid habt, ihr Götter kommt glockenrein. Ihre Stimme trägt, ist rund, angenehm und klar. Was will man mehr! Peinlich genau die Sechzehntelnoten, die Triller, die Ausweitung der Fermaten, ihre Artikulation. Selbst das Orchester scheint mehr mitgerissen, ist noch elastischer, noch dynamischer. Ein Höhepunkt ist zweifellos ihre Wutarie: Odio, furor, dispetto – Haß, Zorn, Abscheu (2. Akt), was sie dem untreuen Rinaldo entgegenschleudert. Die Arie wird in einem irrsinnig schnellen Tempo vorgetragen. Dennoch hat Cangemi keine Atemschwierigkeiten bei den Koloraturen, nirgendwo hört man ein Hakeln beim ungemein schnellen Registerwechseln der Stimme. Zartes Piano und leuchtendes Forte tun ein übriges, den inneren Sinn der Musik zu offenbaren. Unnachahmlich das hinausgeschleuderte hohe C beim Abschluß ihrer Arie: ho cento smanie al cor – der Wahnsinn tobt in meinem Herzen – begeisterter Beifall. Eine Barockoper mit ihrem Belcanto steht und fällt nun mal mit der hohen Kunst des Ziergesangs.
Dr. Olaf Zenner

Das Bild zeigt das Treppenhaus von Balthasar Neumann im Brühler Schloß.

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