von Richard Wagner (1813-1883), Zweiter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen, Libretto: R. Wagner, UA: 16. August 1876, Bayreuth, Festspielhaus
Regie: Markus Dietz, Bühne: Ines Nadler, Kostüme: Henrike Bromber
Dirigent: Francesco Angelico, Staatsorchester Kassel
Solisten: Daniel Brenna (Siegfried), Arnold Bezuyen (Mime), Eglis Silins (Wanderer), Thomas Gazheli (Alberich), Runi Brattaberg (Fafner), Edna Prochnik (Erda), Kelly Cae Hogan (Brünnhilde), Elizabeth Bailey (Stimme eines Waldvogels)
Besuchte Aufführung: 14. September 2019 (Premiere)
Siegfried wird vom Zwerg Mime ohne Respekt oder Furcht zu kennen großgezogen. Wie es der Wanderer prophezeit, gelingt es dem Furchtlosen, das Schwert Nothung aus Trümmern neu zu schmieden. Mimes Ziel ist es, Siegfried gegen Fafner aufzustacheln, damit er diesen töte und ihm, Mime, den Ring verschaffe. Nachdem Siegfried den Riesenwurm getötet hat, bringt er den Ring an sich und erkennt durch das magische Drachenblut die wahren Ziele Mimes. Aus Zorn bringt er ihn um und macht sich auf zum Brünnhildenfelsen, um dort Brünnhilde zu erwecken und ihre Liebe zu erringen. Zuvor trifft er auf den Wanderer – den umherstreifenden Gott Wotan – und zerschlägt seinen Speer, der Wotan die Macht über die Welt sicherte. Wotan tritt ab und macht Siegfried so den Weg frei.
Aufführung
Mimes Höhle ist ein heller weißer Lagerraum, an der hinteren weißen Wand steht quer ein deckenhohes zweistöckiges begehbares Stahlgerüst, in dem Mime seine Habseligkeiten aufbewahrt, von Lebensmitteln über Toilettenpapier bis hin zu einer mobilen Werkbank. Dort schmiedet Siegfried das Schwerte Nothung neu.
Eingeschnürt wird mit Altpapier (man beachte: so kann man keinen Stahl schmieden!), der riesige Teddy-Bär fällt reglos von oben herab, Siegfried reißt die Wände ein, damit man einen Blick auf das leuchtende W (steht für Walhall oder Wotan, wie es beliebt) werfen kann. Fafner ist ein blutverschmiertes Monster im Unterhemd, das Alberich sowie seine Nibelungen (in Unterwäsche!) im Käfig hält und bevorzugt Hustende erschlägt. Neidhöhle oder Gold gibt es nicht, nur unverbindliche Videoprojektionen. Der Tarnhelm ist ein großer Lichtstrahler. Einzig der Ring ist real, ihn raubt Siegfried. Einen Speer hat Wotan auch nicht, nur eine Pistole, die er in der Wissenswette gegen sich selber richtet. So gibt es auch keinen Kampf mit Siegfried, den Wotan einfach passieren läßt. Unter massivem Drängen des Waldvögeleins findet Siegfried die schlafende Brünnhilde. Der omnipräsente Auftritt durch eine Tänzerin erweitert die Rolle drastisch – sie greift auch in weiteren Szenen ein. Die Walküre ruht auf dem weißen Podest, welches schon in der Walküre kein Walkürenfelsen war. Ohne Feuersbrunst kommt weder ein Liebesspiel noch Spannung auf. Dabei hat Wotan ein Paket bereitgelegt: Ein Brautkleid, Sakko und einen Apfel für Brünnhilde. Ob das Freia so gefällt?
Sänger und Orchester
Die musikalischen Höhepunkte im Siegfried sind eigentlich die Schmiedelieder und das Liebesduett zum feurigen Finale. Das wird eindrucksvoll umgesetzt von Francesco Angelico. Unter seiner Leitung erlebt man einen unverstellten Blick auf das Klangbild, das mit großer lyrischer Spielfreude ohne dramatischen Pomp und größere Steigerungen der Lautstärke präsentiert wird. So wird das Liebesduett ohne Feuerzauber von Daniel Brenna (Siegfried) feingliedrig zelebriert. Brenna ist spürbar nach zweieinhalb Akten überfordert, kann aber das Finale stimmlich einwandfrei meistern, den hohen Ton zum Ende singt er nicht, Brünnhilde schon. Für ihn sind auch die Schmiedelieder eine Herausforderung, denn hier zeigt Daniel Brenna zum ersten Mal eine kraftvolle heldentenorale Stimme, deren Rauheit markant, deren technische Feinheiten noch nicht ausgeprägt sind, höhere Töne geht er schon einmal von unten an, zieht die Stimme manchmal auch zu weit hinauf. Ansonsten gleicht er sich im Dialog mit Mime diesem an. Der altgediente Arnold Bezuyen legt die Rolle des Mime als Charakterfachstudie an und nähert sich dem Sprechgesang immer weiter, in der Höhe kann er geschickt manches kaschieren.
Daß der erste Akt nicht zum Sprechtheater wird, verhindert Egils Silins als kraftvoll strahlender und in der Höhe sicherer Göttervater Wanderer. Und er kann dieses hohe Niveau sogar noch steigern, wenn er sich von Erda und Siegfried verabschiedet. Die Brünnhilde, die das Finale Leuchtende Liebe, lachender Tod so unaufgeregt gestaltet, ist Kelly Cae Hogan. Sie kann als jugendlicher Sopran den Dialog auf Augenhöhe gestalten, aber auch der Verzweiflung mit Durchschlagskraft und Lautstärke Raum verleihen. Über ein großes Stimmvolumen verfügt Thomas Gazheli. Mit kluger Gestaltung der Gesangslinie und Einsatz seiner Möglichkeiten gelingt es ihm, die kurzen Auftritte des Antihelden Alberich bitterböse klingen zu lassen. Etwas weniger dramatische Wirkung erzielt Runi Brattaberg als Fafner. Sein tiefensicherer Baß hat nur eine leicht geschwärzte Stimme. Elizabeth Bailey ist mit ihrem verspielten Koloratursopran mit warmer, jugendlicher Stimme nicht ganz so geeignet für das sehr hohe Gezwitscher des Waldvogels.
Fazit
Das Bühnenbild wird allgemein sehr gelobt, weil es so eindrucksvolle Bilder liefert – Bilder aus den heutigen Tagen mit Zäunen, Menschen in Unterwäsche oder mit Pistole und weiß lackierte Spielflächen. Übersehen wird jedoch, daß es zentrale Punkte nicht umsetzt. Den fehlenden Feuerzauber und die Drachenhöhle kennen nur noch altgediente Wagnerianer, die Tänzerin als Waldvogel nervt irgendwann, die Umsetzung. Fafners als menschenfressenden Mörder im Unterhemd ist ganz sicher jugendgefährdend – FSK ab 16? Musikalisch ist die Deutung unter der Leitung von Francesco Angelico ganz sicher ein Gewinn, da er hier unaufgeregt, das Werk Wagners wortverständlich wirken läßt. Kein Sänger wird zugedeckt oder gedrängt, aber daß die Wortverständlichkeit über das Ziel hinausschießt und die Sänger sich dem Sprechgesang immer mehr annähern, steht auf einem anderen Blatt. Auch die (hier minimalen) Eingriffe ins Textbuch muß man beenden. Dem Publikum sind die beiden eingefügten gesprochenen Worte nicht aufgefallen. Jubel, Jubel ohne Grenzen.
Oliver Hohlbach
Bild: Nils Klinger
Das Bild zeigt: Daniel Brenna (Siegfried) li., Statistin Mitte, Eglis Silins (Wanderer) re.