Musik und Text von Richard Wagner, Handlung in drei Aufzügen, UA: 10. Juni 1865, München, Nationaltheater
Regie: Enrico Lübbe, Bühne: Etienne Pluss, Kostüme: Linda Redlin, Video fettFilm
Dirigent: Ulf Schirmer, Chor und Gewandhausorchester, Herren des Chores der Oper Leipzig, Choreinstudierung: Thomas Eitler-de Lint
Solisten: Maegan Miller (Isolde), Daniel Kirch (Tristan), Jukka Rasilainen (Kurwenal), Sebastian Pilgrim (König Marke), Barbara Kozelj (Brangäne), Matthias Stier (Melot), u.a.
Besuchte Aufführung: 5. Oktober 2019 (Premiere)
Der Ritter Tristan führt die irische Prinzessin Isolde, deren Verlobten Morold er einst im Zweikampf getötet hat, seinem Onkel König Marke als Braut zu. Auf der Überfahrt nach England verlangt Isolde Sühne für Morolds Tod: Sie fordert Tristan auf, gemeinsam mit ihr Gift zu trinken. Brangäne hat jedoch das Gift heimlich gegen einen Liebestrank ausgetauscht, so entbrennen Tristan und Isolde in heftiger Leidenschaft füreinander. Isolde heiratet zwar König Marke, trifft sich aber mit Tristan. Melot verrät die Liebenden und verwundet Tristan schwer – Kurwenal bringt den Verletzten nach Kornwall. Tristan stirbt jedoch bei Isoldes Ankunft. Als Konsequenz ihrer Liebe folgt Isolde ihm in den Tod.
Aufführung
Dieses Bühnenbild läßt sich nur schwer real begreifen: auf einer Drehbühne sind die auseinanderfallenden Holzbauteile eines Schoners aufgebaut. Im ersten Akt sieht man einen großen Messeraum. Hier, an einem tisch, wartet Isolde. Tristan sitzt nebenan in einem Raum, der aus dem Gerippe des Decks zu bestehen scheint. Dazu eine Reihe von Treppenhäusern, Türen und Zwischenwänden. Im Laufe der Zeit zerfällt es immer weiter, Markes Hof spielt im ehemaligen Treppenraum der ersten Klasse. Tristans zerfallene Burg ist eine getäfelte Holzwand, zwischen den Planken ein Graben. Der Herrenchor hat einen großen Auftritt als Matrosen, die für Marke stramm stehen und greifen als Statisten zum Schluß Tristans Burg an, wo sie auf den Widerstand Kurwenals treffen. Die Kleidung Markes ist ein dunkler langer Wettermantel, die Kleidung seiner Hofgesellschaft entspricht der typischen englischen Land- und Jagdkleidung der ausgehenden Zeit der Segelschiffe. Auch die Kleidung der Hauptdarsteller paßt in diesen Zeitraum. Auf dieser Spielfläche wird die Handlung wie von Wagner beschrieben vollzogen, der Zaubertrank wird von Brangäne in einem silbernen Becher serviert und nacheinander von Tristan und Isolde getrunken. Zum Finale erhebt sich noch einmal ein hell erleuchteter Schiffsrumpf, Tristan steht von den Toten auf und geht auf Isolde zu. Oder sind es nur zwei von den Doppelgängern, die immer wieder auftauchen?
Sänger und Orchester
Alle Fäden der musikalischen Spurensuche laufen bei Ulf Schirmer zusammen. Sein Tristan ist von Anfang an ein Liebesdrama. Die Dramatik wird lautstark spürbar, aber ihm gelingt es, die Lautstärke für die Sänger zu kanalisieren, die Sänger bekommen Freiräume zum gestalten, werden in den Klangteppich der Tristan-Romantik eingebettet. Der musikalische Leiter und Intendant der Oper Leipzig, kann sich seine Kräfte selber aussuchen. In diesem Falle ist ihm eine Mischung aus altgedienten Recken und Neueinsteigern gelungen.
Da wäre zunächst Daniel Kirch, der die klassischen Wagner-Tenorrollen schon oft gesungen hat – bevorzugt an kleinen Häusern wie Meiningen, Coburg oder Chemnitz. Und auch viele Rollen an der komischen Oper Berlin und nun auch an der Oper Leipzig. Er muß sich hörbar anstrengen, mit viel Kraft kämpft er sich durch den Abend, kommt quasi auf dem Zahnfleisch über die Ziellinie, aber er singt gleichmäßig, zwar nicht mit tenoralem Schönklang, aber hochdramatisch mit großer Leidensmine. Er profitiert von dem großen Strich im zweiten Akt, er erspart ihm den Dialog über die Leuchte, die so lange nicht verlosch. Ebenso profitiert die Isolde von Maegan Miller. Sie ist eher ein jugendlicher lyrischer Sopran, die dramatischen Ausbrüche tragen noch nicht richtig, klingen rauh und angestrengt.
Der Dialog zwischen Tristan und Kurwenal im dritten Akt wird Dank Jukka Rasilainen zu einem sängerischen Höhepunkt. Kurwenal ist kein Untergebener, er ist ein Partner auf Augenhöhe, der die Handlung vorantreibt. Barbara Kozelj ist ein jugendlich schwereloser Wagner-Mezzosopran, der eine wohlige Wärme auch in den tiefen Lagen verbreitet. Sie vermag zu explodieren, wächst mit dem dynamischen Crescendo über sich hinaus. Sebastian Pilgrim als König Marke ist ein jugendlicher Baß mit sicherer Tiefe und klangschönem Timbre. An der Dynamik und Dramatik der Charakterstudie des enttäuschten Liebhabers muß er noch arbeiten.
Fazit
Die vielschichtige Inszenierung, die sich alle Interpretations-Möglichkeiten offen läßt und ohne plakative Regieeinfälle auskommt: ist es eine kafkaeske Realität oder ein Alptraum von Tristan? Ist es eine Liebesgeschichte, haben Tristan, Isolde und Marke Beziehungen untereinander oder stehen sie nur starr und stumm nebeneinander? Kommen sie wirklich zusammen oder sterben sie getrennt? Jeder Zuschauer kann selbst interpretieren, der Regisseur nimmt sich dankenswerterweise zurück.
Ulf Schirmer hat eine glückliche Hand und das Gewandhausorchester stellt hier unter Beweis, daß es zu den führenden Orchestern Europas zählt. Sängerisch kein Festival der ganz großen Wagner-Stimmen, aber eine solide und ausgewogene Mischung überzeugt das Publikum. Durchgängig freundlicher Applaus für das gesamte Ensemble. Die besten Voraussetzungen also: die Oper Leipzig wird in den nächsten Jahren alle 13 spielwürdigen Werke des Meisters im Repertoire haben, da kann man Leipzig als Hochburg der Wagnerianer nennen.
Oliver Hohlbach
Bild: Tom Schulze
Das Bild zeigt: Maegan Miller (Isolde), Daniel Kirch (Tristan)