Weimar, Deutsches Nationaltheater – TURANDOT

von Ferruccio Busoni, chinesische Fabel in 2 Akten, nach dem Drama von Carlo Graf Gozzi (1764), UA: 11. Mai 1917, Zürich
Regie: Lydia Steier; Bühnenbild: Martina Segna; Kostüme: Ursula Kudrna
Dirigent: Martin Hoff, Staatskapelle Weimar, Opernchor des Deutschen Nationaltheaters, Einstudierung: Markus Oppeneiger
Solisten: Sonja Mühleck (Turandot), Thomas Piffka (Kalaf), Renatus Mészár (Altoum), Janine Metzner (Adelma), Frieder Aurich (Truffaldino), Philipp Meierhöfer (Barak/Pantalone), Ji-Su Park (Tartaglia), Susann Günther (Königin-Mutter von Samarkand)
Besuchte Aufführung: 12. September 2009 (Premiere)

Kurzinhalt
weimar-turandot1.jpgIm sagenhaften China geht die Fabel um, dass die wunderschöne Prinzessin Turandot, Tochter des Kaisers Altoum, die Ehe verweigert und jedem Prinzen, der es wagt um ihre Hand anzuhalten, drei Rätsel stellt. Wissen die Wagemutigen keine Antwort, so verlieren sie ihren Kopf, welcher zur Abschreckung anderer auf den Stadtmauern Pekings aufgestellt wird. Doch der fremde Prinz Kalaf fürchtet sich nicht und wagt sein Glück. Gleich zu Beginn zeigt sich Turandot von ihm beeindruckt. Es gelingt ihm die Rätsel zu lösen. Der alte Kaiser frohlockt, doch Turandot ist verzweifelt und droht sich zu erdolchen. Kalaf gibt ihr ebenfalls eine Frage zu beantworten, nämlich seinen Namen, den er zuvor nicht genannt hat, zu erraten. Gelingt ihr dies, so ist sie frei. Truffaldino, Chef der Eunuchen, versucht dank eines Zauberrettichs dem fremden Prinzen seinen Namen im Schlaf zu entlocken. Doch auch dies misslingt. Allein Adelma, Turandots Vertraute, weiß die Antwort. Sie kennt Kalaf aus Kindheitstagen und ist immer noch unglücklich in ihn verliebt. Nachdem Turandot Kalafs Frage richtig beantworten kann, möchte dieser den Palast verlassen. Doch sie hält ihn zurück und gesteht ihm ihre Liebe.
Aufführung
„Schein ist nicht gleich Sein“ könnte das Motto dieser Inszenierung lauten. Die Oper beginnt szenisch am äußersten Rand der Bühne vor den Mauern Pekings, dargestellt durch den eisernen Vorhang. Im Verlauf des Geschehens öffnet sich mehr und mehr der Bühnenraum und offenbart das Innere des kaiserlichen Palastes. Dieser, umgeben von roten und weißen von der Decke herabhängenden Volants, wird einzig beherrscht von einer riesigen freistehenden Treppe, welche zu Turandots Gemach hinaufführt, einem mit wiederum weißen Volants verschlossenen Himmelbett. Sobald sich aber die Bühne dreht, entpuppt sich die Treppe als riesiger Frauenschuh mit roter Sohle und meterhohem Absatz. Es ist klar: Hier regiert ein Vamp! Auch der gesamte Hofstaat präsentiert sich als bizarre Karnevalsgesellschaft. Die Eunuchen (Männer des Opernchores) in halbdurchsichtigen Röcken und Bikerwesten mit dazugehörigen Helmen, Dominas mit ihren auf dem Boden kriechenden Sklaven in S/M-Look, zwei in blauen Schuluniformen steckende junge Dame, die ununterbrochen an roten Lollis lecken, Hofdamen in weißen Gewändern und passend dazu geschminkten Gesichtern wie Totenmasken, die Herren des Gerichts mit künstlich verlängerten und durchnummerierten Gesichtern und der Kaiser selbst, wie auch seine beiden Minister, in schwarzen Mänteln werden von drei golden angemalten Jünglingen auf fahrbaren Gestellen umhergeschoben. Adelma repräsentiert in Hosenanzug, Hemd und Krawatte à la Marlene Dietrich das männliche Prinzip als Kontrast zur geballten Weiblichkeit Turandots, welche gleichzeitig mit zerzausten, wasserstoffblonden Haaren wirkt, als sei bereits am Rande des Wahnsinns.
Sänger und Orchester
Die Staatskapelle Weimar unter der Leitung von Martin Hoff spielte gewohnt souverän, blieb aber, im Gegensatz zum Geschehen auf der Bühne, etwas eindimensional. Reizvoll arbeite das Orchester vor allem die exotischen Momente, Pentatoniken und Ziegeunertonleitern, heraus. Chor und Ensemble präsentierte sich durchweg von ihrer allerbesten Seite voll schauspielerischem Elan, humoristischen Talent und starken, expressiven Stimmen. Besonders Frieder Aurich (Truffaldino) und Renatus Mészár (Altoum) begeisterten mit ihrer betont komischen Darstellung und bester Textverständlichkeit in den Sprechszenen. Sonja Mühleck erfüllt ihre Turandot dank ihres stählernen Soprans und feurigen Temperaments mit Leben und gekonnter Zweideutigkeit. Thomas Piffka spielte hingegen aufgesetzt und wollte stimmlich etwas zuviel. Die Höhen klangen forciert und man dankte der Dramaturgie die Untertitelung trotz Inszenierung mit deutschem Text.
Fazit
Ein absolut würdiger Saisonauftakt für das Weimarer Nationaltheater: Gekonnt wurde hier Busonis Kurzoper zur Wiederbelebung der italienischen Commedia dell’arte in den entstehungszeitlichen Kontext von Expressionismus, Dadaismus und in Frage gestellter Sexualität und Geschlechterrollenverteilung gesetzt. Ein fantastisches Konzept. Es war ein berauschender und vor allem witziger erster Teil dieses Doppelopernabends.

Josephin WietschelBild: Anke Neugebauer
Das Bild zeigt: Der versammelte Opernchor (Hofstaat) macht Renatus Mészár (Altoum) und seinen Minstern Ji-Su Park (Tartaglia) und Philipp Meierhöfer (Pantalone) seine Aufwartungen.

IL PAGLIACCI

von Ruggero Leoncavallo, Drama in 2 Akten, Libretto vom Komponisten
UA: 21. Mai 1892, Mailand
Regie: Lydia Steier; Bühnenbild: Martina Segna; Kostüme: Ursula Kudrna
Dirigent: Martin Hoff, Staatskapelle Weimar, Opernchor des Deutschen Nationaltheaters, Einstudierung: Markus Oppeneiger, Die Ameisenkinder – Chor des Goethe-Gymnasiums Weimar
Solisten: Pieter Roux (Canio), Jana Havranova (Nedda), Alexander Günther (Tonio), Artjom Korotkov (Beppe), Uwe Schenker-Primus (Silvio)
Besuchte Aufführung: 12. September 2009 (Premiere)

Kurzinhalt
weimar-bajazzo.jpgIn einem kleinen italienischen Dorf wird die Ankunft einer Schaustellertruppe gefeiert. Canio, Chef dieser Truppe, lädt das Volk zur abendlichen Vorstellung ein. Es soll eine Komödie gespielt werden, bei der Pagliaccio von seiner Frau Colombina mit Arlecchino betrogen wird. Canio und Beppe verschwinden in eine Schenke und der Krüppel Tonio gesteht Nedda, Canios Ehefrau, seine heimliche Liebe. Diese weist ihn spottend zurück. Gekränkt zieht Tonio davon. Kurz darauf erscheint Silvio, Neddas Geliebter. Er überredet sie noch am selben Abend mit ihm zu fliehen. Tonio beobachtet sie heimlich und holt Canio herbei. Silvio kann unerkannt entkommen, aber Canio, außer sich vor Wut und Eifersucht, fordert den Namen ihres Geliebten. Sie schweigt jedoch. Die Vorstellung beginnt. Canio erträgt die Situation nicht mehr und bricht aus seiner Rolle aus. Wieder fordert er den Namen. Am Ende ersticht er Nedda und den herbei eilenden Silvio auf offener Bühne. Dem Publikum bleibt das Lachen im Halse stecken.
Aufführung
Regisseurin Lydia Steier verlegt die Handlung in das Amerika der 50er Jahre. Scheinbar perfekte Familien in pastellfarbenen Einheitskostümen mit Baseball spielenden Kindern tummeln sich zu Beginn vor den weihnachtlich geschmückten Schaufenstern von „Pagliaccio’s“ und erwarten die Ankunft des Besitzers dieses Geschäftes, Canio, und dessen perfekte Frau Nedda, die im Jackie-Kennedy-Outfit zeigt. Schon während Tonios Avancen dreht sich die Bühne und verlagert die Handlung in den Innenraum. In der Mitte wird eine runde Verkaufstheke von einem riesigen, mit Goldgirlanden geschmückter Leuchter erhellt, rechts führt eine Treppe in die Hinterräume des Ladens. Auch die eigentliche Theater-auf-dem-Theater-Szene findet in der Mitte der Theke statt. Pagliaccio/Canio tritt als Geschenke bringender Weihnachtsmann auf, fünf Mitarbeiterinnen in aufreizenden roten Weihnachtsfrauenkostümen präsentieren die verschiedenen Produkte des Geschäfts und auch Colombina/Nedda nutzt die Vorstellung als Werbeveranstaltung.
Sänger und Orchester
Wie nach der Pause neu erwacht wirkte die Staatskapelle Weimar unter der Leitung von Martin Hoff. Transparent und gleichzeitig dynamisch ausdifferenziert spielte das Orchester und bot den Solisten beste Voraussetzungen für ihre stimmlich anspruchsvollen Partien. Vor allem Jana Havranova als Nedda überzeugte sowohl schauspielerisch als auch stimmlich mit ihrer Darstellung der unsicheren und in Ängsten gefangene Ehefrau, welche krampfhaft versucht, die Fassade ihrer „perfekten“ Ehe aufrecht zu erhalten. Sie verfügt bei allen schwierigen szenischen Aktionen über einen weichen und trotzdem kraftvollen Sopran. Lieblich klang ihre Arie „Stridono lassù“, und sie zeigte außerdem keine Angst vor veristischem Sprechgesang in den dramatischen Momenten. Auch Pieter Roux als Canio spielte und sang seine Rolle ausgezeichnet. Grandios wechselte er vom gutmütigen Spaßvogel zum vor Eifersucht und Wut amoklaufenden betrogenen Ehemann. Verdienten Szenenapplaus spendete ihm das Publikum nach der berühmten Arie „Vesti la giubba“. Sein hoher Tenor besitzt den leider immer seltener werdenden Schmelz. Alexander Günther (Tonio) und Artjom Karatkov (Beppe) stehen schauspielerisch und stimmlich den beiden Hauptdarstellern in nichts nach. Ersterer bot weniger den Eindruck eines verspotteten Krüppels als den eines hinterlistigen Jagos mit Bitterkeit und Sarkasmus in der Stimme. Lieblich weich und zart fließend klang hingegen der Bariton von Uwe Schenker-Primus als Silvio, ein Mann der im Gegensatz zu Canio seine Frau auf Händen tragen würde. Stimmlich und darstellerisch ein echter Charmeur.
Fazit
Auch hier könnte das Motto der Inszenierung wieder „Schein ist nicht gleich Sein“ lauten und bildet somit im Sinne des Gesamtkonzeptes ein perfektes Pendant zu Busonis „Turandot“. Die ungewöhnliche Verlagerung der Handlung bietet den nötigen Spielraum, um den Konflikt weiblicher Abhängigkeit und unterdrückter Sexualität heraus zu arbeiten. Dabei steht dabei das Commedia dell’arte-Motiv etwas im Hintergrund. Abgesehen davon wäre es vielleicht besser gewesen, die Opern in umgekehrter Reihenfolge zu präsentieren, da „Pagliacci“ im Gegensatz zur dadaistischen „Turandot“ Busonis wesentlich ernster und bedrückender wirkte.
Josephin Wietschel

Bild: Anke Neugebauer
Das Bild zeigt: Pieter Roux (Canio) als Pagliaccio und Jana Havranova (Nedda) als Colombina

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