von Richard Wagner (1813-1883), Dritter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen in drei Aufzügen und einem Prolog, Text: R. Wagner, UA: 17. August 1876, Bayreuth, Festspielhaus
Regie: Markus Dietz, Bühne: Mayke Hegger, Kostüme: Henrike Bromber.
Dirigent: Francesco Angelico, Staatsorchester Kassel, Opernchor und Herren des Extrachores des Staatstheaters Kassel, Choreinstudierung: Marco Zeiser Celesti
Solisten: Daniel Frank (Siegfried), Hansung Yoo (Gunther), Albert Pesendorfer (Hagen), Kelly Cae Hogan (Brünnhilde), Thomas Gazheli (Alberich), Jaclyn Bermudez (Gutrune), Ulrike Schneider (Waltraute) u.a.
Besuchte Aufführung: 7. März 2020 (Premiere)
Für Siegfried besitzt der von Alberich verfluchte Ring des Nibelungen ewige Macht. Auch Hagen, Halbbruder des Fürsten Gunther, möchte den Ring besitzen. Als es Siegfried an den Rhein zu Gunther verschlägt, verliert er unter dem Einfluß eines Zaubertranks jede Erinnerung an Brünnhilde, heiratet Gutrune und verspricht Gunther Brünnhilde zur Frau. Haßerfüllt wendet sich Brünnhilde gegen Siegfried und berichtet, daß sie quasi vermählt seien. Für seinen Betrug an Gunther tötet Hagen auf der Jagd Siegfried, doch Hagen erringt nicht den Ring, denn Brünnhilde stürzt sich mit dem Ring in den für Siegfried brennenden Scheiterhaufen. Die Flammen erfassen Walhall, die Götterdämmerung bricht an: Der Ring versinkt im Rhein und die Welt ist erlöst vom Fluch.
Aufführung
Szenische Erinnerungsmomente an die vorausgegangenen Ringteile prägen auch diese Götterdämmerung. Im Vorspiel bevölkern die Nibelungen in Unterwäsche Brünnhildes Yuppie-Küche. Vor dem Aufbruch plündert Siegfried den Retro-Kühlschrank – Vegetarisches mag er nicht. Grane nimmt er mit – es ist ein Sexspielzeug mit Zaumzeug. In der Gibichungenhalle futtert Siegfried mit den Fingern vom Buffet, verschmiert die Torte an Hemd und Tischdecke. Im Hintergrund sehen Wotan und Fricka vom Walhall-W aus zu. Der Ringraub bei Brünnhilde wird sehr handgreiflich und auch als Video übertragen.
Im zweiten Akt tritt Hagens Kind auf, der immer wieder kommentierend eingreift und ihn im Schlußbild angreift, wahrscheinlich tötet. Die Halle besteht eigentlich aus vielen Stühlen, die immer wieder um- und aufgestellt werden. Für die Blutsbrüderschaft und die Beimischung des Zaubertranks bekommt die Halle die Aura eines Trinkertreffs.
Im dritten Akt sieht man das Aquarium aus dem Rheingold wieder. Ebenso die Tänzerin des Waldvogels aus dem Siegfried, die auch mit den Nibelungen interagiert. Für Siegfrieds Trauermarsch stehen die Nibelungen auf, die Gibichungen stehen im Vordergrund. Hagen erdolcht Gunter, Gutrune vertreibt Hagen mit Siegfrieds Schwert. Der Weltenbrand bleibt aus.
Sänger und Orchester
Die musikalischen Höhepunkte in der Götterdämmerung sind eigentlich Siegrieds Rheinfahrt und das feurige Finale. Das wird mit monumentaler Wucht von Francesco Angelico zelebriert. Unter seiner Leitung erlebt man einen unverstellten Blick auf die Wagnerschen Klangbilder, die mit großer lyrischer Spielfreude ohne überzogene dramatische Effekte über die Bühne kommen. Das Staatsorchester Kassel erweist sich als kongenialer Partner. Die Phrasierungen über die langen Bögen der Streicher wirken feinsinnig, läßt das Klangbild der Streicher atmen und erblühen. Die Holzbläser integrieren sich in diesem klanglichen Strom, bleiben aber als Soloinstrumente hörbar. Die Bläser wirken manchmal sehr nervös – bei Siegfrieds Hornruf – aber in tutti, kommen auch Nebenstimmen zum Zuge, werden die Leitmotive klar herausgestellt.
Von dieser sicheren Ausgangslage profitieren auch die Solisten, besonders die beiden Hauptdarsteller. Kelly Cae Hogan ist Dank ihrer dramatischen Strahlkraft eine exzellente Brünnhilde, der echte Heldentenor des Daniel Frank als Siegfried bleibt eine echte Überraschung. Mit tenoraler Wucht stemmt er sich nicht, nein er singt diese Heldentenorpartie wirklich aus, kann auch nachdenkliche Momente mit leiserer Stimme gestalten. Hier wird die Zerrissenheit der Rolle des Siegfrieds glaubhaft. Sicherlich muß er noch einige Stellen glätten, sich die Partie weiter erarbeiten, hat manchmal technische Probleme. Er ist aber auf dem richtigen Weg in die Walhalla der Wagnertenöre.
Sein Gegenspieler Hagen ist mit Albert Pesendorfer luxuriös besetzt, er singt bereits in der Weltspitze – auch in Bayreuth. Seine Rollengestaltung als kaltblütiger und mitleidloser Strippenzieher gestaltet er dank seinem eloquenten Baßbariton mit aller Macht.
Ulrike Schneider kann mit ihrem erfahrenen Mezzo die Waltrautenerzählung als einem ersten dramatischen Höhepunkt gestalten. Die Gutrune der Jaclyn Bermudez (ist als eindimensionale Soubrette eine wichtige Nebenrolle) und der nachdenklich-stille Gunther von Hansung Yoo sind stimmlich ein inzestuöses Liebespaar.
Fazit
Der Ring in Kassel ist geschmiedet und vollendet. Musikalisch ist die herausragende Umsetzung zu feiern, die bildgewaltige Umsetzung eines überbordenden Regietheaterkonzepts ist für altgediente Wagnerianer nicht lustig, für die Psychologen eine spannende Angelegenheit. Das Bühnenbild liefert Bilder aus den heutigen Tagen mit Zäunen, Menschen in Unterwäsche oder mit Pistole und weiß lackierten Spielflächen. Hier ist es hilfreich die übrigen Ringteile bereits gesehen zu haben, denn bestimmte Stereotypen kommen immer wieder. Übersehen wird jedoch, daß zentrale Punkte nicht umgesetzt werden. Den Weltenbrand, Walhall und das Rollenbild der Nibelungen und Gibichungen kennen nur noch altgediente Wagnerianer, die überbordende Personenanzahl und hinzu erfundene Personen wie Hagens Sohn überfordern irgendwann den Zuschauer.
Dieser Knabe erhält zum Schluß von Brünnhilde den Ring und reicht diesen einem Zuschauer weiter. Musikalisch ist die Deutung unter der Leitung von Francesco Angelico ganz sicher ein Gewinn, da er hier unaufgeregt das Werk Wagners wortverständlich wirken läßt. Die Sängerriege ist eine gesunde Mischung aus Nachwuchs und Bayreuth erfahrenen Sängern, aber Wortverständlichkeit und Sprechgesang nähern sich immer mehr an.
Oliver Hohlbach
Bild: Nils Klinger
Das Bild zeigt: Daniel Frank (Siegfried), Jaclyn Bermudez (Gutrune)