von: Georges Benjamn (*1960) Oper in drei Akten, Libretto: Martin Crimp, basierend auf Guillem de Cabestanh –Le Coeur Mangé« (anonymer Text aus dem 13. Jahrhundert), UA: 7. Juli 2012, UA: 7. Juli 2012, Festival d‘ Aix-en-Provence
Regie: Benjamin Lazar, Bühnenbild/Kostüme: Adeline Caron
Dirigent: François-Xavier Roth und das Gürzenich-Orchester Köln
Solisten: Robin Adams (The Protector), Magali Simard-Galdès (Agnès), Cameron Shahbazi (Angel 1/Engel, The Boy), Judith Thielsen (Angel 2/Marie) Dino Lüthy (Angel 3/John)
Besuchte Aufführung (Online-Stream): 02.12.2020 (Premiere)
Agnès ist mit einem reichen Protektor (Beschützer) verheiratet, der zur Gewalt neigt und ihr Zuneigung verweigert. Ein Engel sucht das Ehepaar in Gestalt eines Jungen auf und bietet seine Dienste als Illustrator für ein Buch an, das die Grausamkeit des Protektors beschreiben soll. Der Protektor engagiert ihn. Agnès, die Analphabetin ist, beginnt eine Affäre mit ihm und fordert ihn auf, ein Bild ihrer Liebe zu malen, womit sie ihren Mann konfrontieren kann. Als ihr Mann diese Seite in dem vollendeten Buch liest, will er sich rächen. Er tötet den Jungen und tischt seiner Frau sein Herz zum Essen auf. Als sie erfährt, was sie zu sich genommen hat, springt sie aus dem Fenster.
Vorbemerkung
Eine Premiere im doppelten Sinne: so kündigte Intendantin Birgit Meyer den Abend im Online-Stream an. Denn: zum ersten Mal wurde eine Aufführung der Oper Köln coronabedingt nicht vor Publikum im Theatersaal gespielt, sondern über das Internet auf die heimischen Bildschirme übertragen.
Aufführung
Die Bühne im Staatenhaus ist mit Sand ausgelegt und erinnert an eine Wüstenlandschaft. Die Kleidung der Darsteller ist im ersten Teil altertümlich angehaucht, mit langen Leinengewändern und Kopfbedeckungen, was an die Bibelgeschichte der Geburt Jesu erinnert. Später tragen die Hauptdarsteller aber Jeans und T-Shirt, was nicht zum Gesamtbild paßt. Ansonsten bleibt die Inszenierung ein Spiel mit Metaebenen (d.h. daß man sich von seinen Gedanken distanziert). Die Beziehungen untereinander werden nur erzählt, aber nicht gezeigt. Somit gibt es auch keine Szene des Beischlafs bzw. des Näherkommens. Erotische Stimmung wird von Magali Simard-Galdès (als Agnès) Schauspiel erzeugt, die sich in einer Szene sogar barbusig auf dem Sandboden räkelt.
Sänger und Orchester
Robin Adams (The Protector) singt mit einem sehr grollenden Bariton in der Tiefe, was seine Brutalität gut unterstreicht. Im Zusammenspiel mit seiner Ehefrau betont er besonders die Aggressivität und Überlegenheit durch wütende Blicke, dem Anschwellen seiner Stimme in der Höhe bis hin zu Schreien, verbunden mit unbeweglicher Mimik. Zudem hält er auf der Bühne (vielleicht auch coronabedingt?) immer Abstand zu ihr, so daß sich die beiden nie näherkommen. Ein stimmlicher Kontrast ist der liebliche Countertenor von Cameron Shahbazi (The Boy), der einen sehr kühlen und kalkulierten Engel gibt. Dazu paßt das helle, sehr klirrende Timbre seiner Stimme ausgenommen gut, etwa in der Messerszene am Ende des zweiten Teils ahmt er durch seinen Legatogesang im sotto voce den Unnahbaren, der über allen Dingen steht.
Besonders beeindruckend ist die Leistung von Magali Simard-Galdès (Agnès): ihr glockenklarer Sopran klingt in den Höhen unangestrengt und leicht. Im ersten Teil bringt sie das Unschuldige und Unterwürfige ihrer Rolle auch gesanglich durch einen sehr zarten und leise intonierten Gesang zum Ausdruck. Im zweiten und dritten Teil steigert sie sich, indem sie ihre Wollust genauso schauspielerisch wie auch gesanglich in den Vordergrund bringt. Beispielsweise als sie sich gegenüber ihrem Mann verteidigt, singt sie die Phrase I am not a child – ich bin kein Kind aggressiver und betont auch durch den Wechsel in die Bruststimme die Töne sehr viel eindringlicher. Judith Thielsen (Engel 2) singt mit einem deutlich wärmeren und raumfüllenderen Sopran, Dino Lüthy (Angel 3) überzeugt mit einem strahlenden Tenor. Dabei ist die Aktion der beiden oft übertrieben und grenzt fast schon an eine Karikatur, auch durch die überdeutliche Artikulation des Textes.
Das Orchester bringt unter der Leitung von François-Xavier Roth eine solide Leistung. Durch das ausgeglichene Zusammenspiel zwischen Orchester und Gesang und die dynamische Kontrolle in den einzelnen Instrumenten wird eine stimmungsvolle Atmosphäre erzeugt, die fast an einen Thriller erinnert.
Fazit
Eine große Frage steht im Raum: „Kann eine Oper im Streaming (über Internet) genauso überzeugen, wie live?“ Dies ist natürlich nicht mit „ja“ zu beantworten. Trotzdem ist es eine gute Idee, den Zuschauern eine Möglichkeit zu geben, wenigstens ansatzweise eine Oper mitzuerleben! Leider kann natürlich gerade die Atmosphäre des Bühnenbilds und der Gesamtklang nur bedingt über den Bildschirm vermittelt werden. Er hängt sicher auch stark von der Qualität der Lautsprecher oder dem Empfang zuhause, der technischen Ausrüstung also, ab. Die Abwechslung von Nahaufnahmen und Totalen war gut gewählt, so daß ein Gesamteindruck der Bühne vermittelt wird, sogar auch die einzelnen Partien der Solisten. Die Inszenierung ist unterhaltend, ja spannend und intensiv, allerdings finden sich auch einige Ungereimtheiten: Es fehlt der Zeitbezug über eventuell hinweisende Kostüme. Musikalisch ist der Eindruck aber jedenfalls überzeugend und, besonders durch die hervorragende Leistung von Magali Simard-Galdès, beeindruckend.
Insgesamt ein Lichtblick in diesen schwierigen Zeiten!
Melanie Joannidis
Bild: Paul Leclaire
Das Bild zeigt: Magali Simard-Galdès (Agnès)